Vietnam I
Die stille Avantgarde
Nach über 30 Jahren kehrte ARCH+ Chefredakteur und Mitherausgeber Anh-Linh Ngo für dieses Heft erstmals in sein Geburtsland zurück. Jenes Land, das sich als Präfix eines Krieges in den Sprachgebrauch eingenistet hat. Jener Krieg, vor dessen politischen Folgen seine Familie floh, als er noch ein Kind war. Als Flüchtlingskind kam er vor 33 Jahren nach Deutschland, als „Kontingentflüchtling“, wie es damals im schönsten Bürokratendeutsch hieß. Über diese Wortschöpfung wären heute viele froh, sind doch (Ober-)Grenzen wieder en vogue.
Angesichts der spürbaren Verschiebungen und Relativierungen, die die Globalisierung mit sich bringt, sehnen sich viele Menschen wieder nach festen Grenzen und klaren kulturellen Identitäten. Der gegenwärtige Auftrieb „identitärer Bewegungen“ ist ein Zeichen dafür. Wir leben in Zeiten, die bestimmt sind von Angst – Angst vor Überfremdung, vor dem Verlust der „eigenen“ Kultur. In diesem Kontext könnte man die beiden Ausgaben über Vietnam, von denen dies die erste ist, aus der individuellen Perspektive des Migranten als eine klischeehafte Suche nach den eigenen Wurzeln und aus politischer Sicht als Versuch einer lokalen Identitätskonstruktion missverstehen. …