Von Munsalvaesche zum Artushof
Stellenkommentar zum fünften Buch von Wolframs "Parzival" (249,1-279,30)
Susanna Backes
Parzivals Besuch auf Munsalvaesche ist eine Schlüsselszene in Wolframs Gralroman. Die unterlassene Frage bleibt der blinde Fleck des ganzen Romans. Sie eröffnet die Dimension einer nicht zu sühnenden Schuld, die scheinbar jenseits der Fähigkeit zu moralischem Tun steht. Folgerichtig kann das Problem im Handlungszusammenhang des Romans zunächst auch nicht gelöst werden: Die Erzählung wird einfach fortgesetzt. Hierdurch entsteht eine unauflösbare Spannung, welche die ganz eigene Dramaturgie des Parzival bestimmt.
Nach dem Verlassen der Gralburg wird Parzival in seinen jeweils zweiten Begegnungen mit Sigune und Jeschute mit seiner Schuld konfrontiert. Parzivals Fähigkeit zum Mitleid ist in beiden Szenen das wiederkehrende Thema. Während Sigune ihm die unterlassene Frage vorwirft, muss er in der Begegnung mit Jeschute seine frühere Torheit erkennen.
Wird er zunächst von Sigune wegen seiner Mitleidlosigkeit verflucht, weil er nicht nach dem Leiden des Gralkönigs gefragt hat, so zeigt die unmittelbar folgende Begegnung mit Jeschute und Orilus, dass sich Parzival in seinem Handeln sehr wohl von unmittelbar empfundenem Mitleid leiten lässt.
In einem Sach- und Stellenkommentar zu den Versen 249,1- 279,30 werden neben Wort- und Sacherklärungen auch die wichtigen Interpretationen reflektiert. Neue Deutungsansätze für einzelne Szenen stehen neben sachkulturellen und historischen Erläuterungen.
Zwei Probleme aus der Sigune-Begegnung werden in Exkursen ausführlich behandelt: Sigunes Sitz auf der Linde und das Gralschwert. Beide Motive haben seit jeher die Forschung zu widerstreitenden Deutungen angeregt, die kritisch beleuchtet und zum Teil widerlegt werden.