Warten
Konstruktionen von langer und kurzer Dauer in der Literatur
Nicole Mattern, Stefan Neuhaus
Der Begriff ›Warten‹, der ursprünglich ›seinen Blick auf etwas richten‹ bedeutet, kann bei unterschiedlichen literarischen Zeitkonzeptionen die Konstruktion von Zeiten kurzer und langer Dauer zur Folge haben, die anschließenden Handlungen können negative oder positive Folgen zeitigen. So wird z.B. Anselmus’ langes, zukunftsgerichtetes Warten auf Serpentina in E.T.A. Hoffmanns „Der goldne Topf“ mit einer Liebesheirat und einem Rittergut in Atlantis belohnt, während Schillers Feldherr Wallenstein wartet und scheitert, weil er nicht im ›richtigen‹ Augenblick zu handeln vermag. Gustav von Aschenbachs existentieller Kairosmoment, das erstmalige Erblicken von Tadzio in Thomas Manns „Der Tod in Venedig“, ereignet sich, als Aschenbach kurz warten muss, während sich Hans Castorps Aufenthalt auf dem bzw. im „Zauberberg“ ins Unendliche zu dehnen scheint und doch nur den vermutbaren
Tod im Krieg aufschiebt. Die zivilisatorische Leistung des Wartens in einem Bildungsroman scheint sich hier in ihr ironisches Gegenteil zu verkehren.
In der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Warten werden unterschiedliche Bedeutungen und Auswirkungen diskutiert, nicht selten unter einem positiven Vorzeichen, etwa in Joseph Vogls „Über das Zaudern“, in dem eine Variante des Wartens als Schwellensituation zwischen Handeln und Nichthandeln beschrieben wird.
Der Sammelband möchte das Warten auf eine umfassende Phänomenologie und Literaturgeschichte des Wartens verkürzen, indem er unterschiedliche Aspekte des Wartens sowie den (leit-)motivischen Gebrauch in Texten der deutschsprachigen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart näher beleuchtet.
Mit Beiträgen u.a. von Helga Arend, Andrea Bartl, Anna Braun, Michael Braun, Frederike Middelhoff, Ruth Neubauer-Petzoldt, Johannes Waßmer und Christian Wiebe.