Was im Leben zählt
Kreditierung und Selbstkreditierung alter Menschen im lebensgeschichtlichen Interview
Marie-Luise Hermann
Wenn alte Menschen erzählend Rückschau halten, können sie ihr Leben vergegenwärtigen, ordnen, neu bewerten und bilanzieren. Dass dies klärende und heilsame Wirkungen hat, zeigt sich in der Alterspsychotherapie.
Die Darstellung des eigenen Lebens ist keine lineare Chronik, kein Revue passieren lassen, kein Monolog vor einem schweigenden Zuhörer, sondern wird zwischen Erzähler und Zuhörer gemeinsam gestaltet und bewertet. Wie dies vor sich geht, zeigt diese Einzelfallstudie. Zwei Frauen erzählen in zweistündigen narrativen Interviews über Glück und Unglück in ihrem Leben. Sie stellen dar, was und wer ihnen in guten und schweren Zeiten Zuversicht gab, worauf sie setzten, auf wen sie bauten, woraus sie Mut schöpften, und wer sie ermutigte. In der Terminologie dieser Studie sind dies Formen des Kreditgebens und Kreditnehmens.
Das Untersuchungsinstrument – entwickelt aus dem psychoanalytischen Beziehungs- und Kommunikationskonzept der Kreditierung – erfasst, wie herausfordernde Lebensaufgaben erzählend und in der Interviewsituation bewertet werden. Es beleuchtet, wie narrative Identität hergestellt wird und bewirkt ein Konzentrat dessen, was in einem Leben wirklich zählt.