Weltachse
Erzählungen
Barbara Tilg
Was für ein seltener erzählerischer Ton kommt einem in diesem Buch entgegen: eine neue Erzählerinnenstimme in der großen Vielfalt der zeitgenössischen österreichischen Literatur.
Gleich am Beginn findet man ein wunderliches Bild von der Bestattung eines Kleinbauern, eines „Handwerkers und Landrebellen“, der nicht in einer Kirche oder Gruft, sondern mitten in seiner Werkstatt „in einem Steinsarg aus Basalt bestattet werden“ wollte (Weltachse). Die Sprache ruft etwas Altes, Rebellisches in Erinnerung, das, besonders im Tiroler Oberinntal, weit zurückführt bis ins revolutionäre 16. Jahrhundert.
In einer anderen Erzählung trägt eine Skateboardfahrerin den Strichcode der vereinheitlichten Warenkennzeichnungen auf der Stirn. Sie ist Tätowierungskünstlerin, kennt den kulturellen Reichtum der Zeichen und protestiert gegen dessen Verschwinden (Die tätowierte Stadt). Ein Gemeindebediensteter in einem Recyclinghof findet beim Sortieren in einem Altpapiercontainer Buchseiten mit Hölderlinversen, eine ihn ergreifende rätselhafte Sprache, die er „aus dem tiefen Container hinauf in die Welt“ schreit (Vom Abgrund nämlich).
Das Hörbarmachen anderer Sprachen, die sich in der geschichtslosen Reklamewelt fremd oder archaisch ausnehmen, macht die eigentümliche Schönheit der Erzählungen dieses Bandes aus. In ihnen rumoren der kritische Geist des Ungleichzeitigen und der Sinn für das Archäologische und die Geologie, die eine besondere Rolle in den Erzählkonstellationen spielen. Denn immer geht es der Autorin um eine menschliche Geologie, um den Zusammenhang von Innen und Außen und um die verborgenen Erschütterungen und Bruchstellen in uns selber.
(Univ.-Prof.Dr. Hans Höller im Klappentext)