Werkzeuge und Methoden für die Erarbeitung von Richtstrategien in der Grobblechherstellung
Marvin Laugwitz
Produkte aus Stahl haben eine hohe Bedeutung und finden als Strukturbauteile in einer Vielzahl an Branchen Anwendung. Ein großer Anteil des Stahls wird zu Flachprodukten gewalzt und mit Wasser gekühlt, um die geometrischen Abmessungen sowie die mechanischen Eigenschaften der Halbzeuge einzustellen. Bei diesen Prozessschritten können bereits durch geringe Abweichungen Ebenheitsfehler entstehen. Im Sinne einer sicheren Prozessführung und einer hohen Produktqualität gilt es diese Fehler bestmöglich zu beseitigen. Hierzu werden typischerweise Rollenrichtmaschinen eingesetzt. Aufgrund der hohen Komplexität dieses Prozesses wird das Richten auch heutzutage noch überwiegend erfahrungsbasiert gesteuert und die Frage nach der Anzahl der notwendigen Richtstiche sowie der jeweiligen Richtintensitäten bleibt vor dem Richten meist unbeantwortet. Um das Erfahrungswissen modellbasiert zu stützen haben sich Ansätze zur Prozessbeschreibung, -optimierung und -regelung des Richtens kontinuierlich weiterentwickelt. Zusätzlich werden auch moderne Methoden wie Datenbankanalysen und Finite-Elemente-Methode immer leistungsstärker. Das Ziel dieser Arbeit ist, moderne Methoden und bestehende Ansätze zu verknüpfen, weiterzuentwickeln und eine Systematik zu erarbeiten, welche in der Lage ist, die oben genannte Frage nach passenden Richtstrategien für das Warmrichten von Grobblechen zu beantworten und so die Grundlage für eine Prozessoptimierung zu bilden. Hiermit soll es möglich sein, die Anzahl und Intensität der Richtstiche systematisch abzuleiten, sodass der Richtprozess bestmöglich ausgelegt werden kann.
Um das Ziel umzusetzen, wurde eine umfassende Systematik bestehend aus einzelnen und ineinandergreifenden Methoden realisiert. Die Systematik besteht aus einer Abfolge von drei übergeordneten Methoden. Die erste Methode stellt die Ebenheitscharakterisierung zur Umwandlung gemessener Ebenheiten in charakteristische Kennwerte dar. Hier wurden bestehende Ansätze aus dem aktuellen Stand der Technik zur Beschreibung der Ebenheit mittels charakteristischer Kennwerter speziell an typische Merkmale für Grobbleche angepasst. Zusätzlich wurden fehlende Kennwerte, um alle Informationen der Ebenheit ganzheitlich und detailliert zu erfassen, erarbeitet und ergänzt. Die einzelnen Ansätze wurden schließlich zu einem Programm („Flatness Characterization – FlaCh“) zusammengefasst, dass die Ebenheit digitalisierter Walztafeln vollautomatisch auswertet und die charakteristischen Kennwerte in eine Datenbank speichert. Die hierzu notwendigen Ebenheitsmessungen stammten aus archivierten Betriebsdaten eines industriellen Grobblechwalzwerks. Die zweite Methode basiert auf dem Data-Mining zur Datenbankanalyse und Verknüpfung der Ebenheitskennwerte mit prozesstypischen Produktionsbedingungen oder Produkteigenschaften. Die Identifizierung kritischer Einflussfaktoren, bei denen besonders häufig und starke Ebenheitsfehler auftreten, ebnet die Grundlage für eine Prozessoptimierung. Wenn bekannt ist, unter welchen Einflussfaktoren Ebenheitsfehler entstehen, können einerseits diejenigen Prozesse angepasst werden, die für die Entstehung der Fehler verantwortlich sind. Andererseits können die hier im Fokus stehenden Richtstrategien erarbeitet werden, welche die vorhandenen Fehler möglichst effizient beseitigen. Die Ableitung von Richtstrategien stellt die dritte Methode dar. Diese umfasst FE-Analysen des Richtprozesses zur Untersuchung des Einflusses von Prozessschwankungen und von Ebenheitsfehlern auf das Richtergebnis. Erarbeitet wurden 2D FE-Richtmodelle für die Untersuchung typischer Prozessschwankungen, Schwerkraft und abwickelbarer Ebenheitsfehler sowie 3D FE-Richtmodelle für die Ableitung von Strategien zur effizienten Beseitigung nicht abwickelbarer Ebenheitsfehler. Eine chronologische Abfolge der drei Methoden erlaubt die Identifizierung von relevanten Klassen für die Untersuchung und Modellierung von FE-Modellen, die speziell an die Eigenschaften dieser Klassen angepasst sind. Dies ermöglicht eine praxisnahe Untersuchung des Richtprozesses auf Grundlage von FE-Modelle, um die Ebenheitsfehler so effizient wie möglich zu beseitigen.