Zur Funktion der Chora in Platons ,Timaios’ und des Äthers in Kants ,Übergangsschrift’
Erwin Sonderegger
Wer damit rechnet, dass unsere faktische Erfahrung auf etwas beruhen muss, das nicht selbst wieder Erfahrung ist, kann zur Frage gedrängt werden, was den Übergang vom Einen zum Anderen ermögliche und wie dieser Übergang zustandekomme. Sowohl Platon als auch Kant haben diesen Übergang thematisiert, jener im ,Timaios’, dieser im ,Opus postumum’.
Platons Dialog ist durch zwei Götteranrufungen in zwei inhaltlich sich ergänzende Teile geteilt. Der erste Teil zeigt die Welt unter rein noetischen Voraussetzungen (eingekleidet in die Geschichte der Tätigkeit des Demiurgen). Vergleichbar dazu legt Kant in seinem Werk ,Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft’ das Apriori für die Naturwissenschaft dar. In der Einleitung zum zweiten Teil des Dialogs führt Platon die Chora und einen neuen Typ von Grund ein, den man den Sachzwang nennen könnte. Diese zwei Ergänzungen zu den anfangs vorgestellten Voraussetzungen ermöglichen es ihm, im zweiten Teil des Dialogs die faktische Welt darzustellen, die Welt mit oder in der Chora. Dem entspricht im ,Opus postumum’ die Einführung des Äthers, der, wie Platons Chora, es erlaubt, von der rein noetischen zum empirischen Welt überzugehen.