Kampfparanoia und Prozeßsucht als abnormer Lebensinhalt; forensische Fallbeispiele u. gutachterliche Stellungnahme; Neudruck des Werkes von Julius Raecke, vermehrt um aktuelle Beiträge und biographische Notizen zu Julius Raecke
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Aus dem Vorwort der Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
Praktisch jeder Richter, jeder größere Betrieb und jede öffentliche Behörde kennt ihn: den sogenannten Querulanten. Einen Menschen, der sich immer ungerecht behandelt fühlt, der überall Böses wittert, sich ständig beschweren will. Der Schweizer Psychiater Thomas Knecht beschreibt ihn als jemanden, "der sich leicht ins Unrecht gesetzt fühlt, der aus geringfügigem oder vermeintlichem Anlass Klage erhebt oder sich bei Behörden und Institutionen beschwert oder ständig offensichtlich unbegründete Anträge stellt." Nach Angaben des Arztes soll der Anteil dieser Menschen bei etwa 0,5 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung liegen.
Es handelt sich häufig um sehr empfindliche Menschen mit verdichtetem Rechtsbewusstsein, deren Anliegen durchaus nachvollziehbar und verständlich sein können.
In einem Beitrag der "Klinischen Wochenschrift" von 1927 schreibt Professor Raecke: "Die Justiz hat heute gegenüber dem genuinen Querulanten einen recht schweren Stand. Solange die Verpflichtung besteht, daß jede noch so schrullige Eingabe geprüft und beantwortet werden muß, kann sich die Behörde nicht vor überflüssigen, ja höchst unzweckmäßigen Bescheiden zurückhalten, die statt zu beruhigen, den Streitsüchtigen nur immer mehr aufreizen und unendliche unproduktive Arbeit verursachen.(.) Um die endlosen Zivilprozeßstreitereien genuiner Querulanten abzuschneiden, sollte viel häufiger ihre Prozeßfähigkeit angezweifelt werden."
Dass Verwaltung und Justiz verpflichtet sind, jede noch so schwer nachvollziehbare Eingabe zu prüfen, mag man im Hinblick auf die anfallende Arbeit bedauern, es ist jedoch schlichter Ausdruck eines Rechtsstaats. Dazu gehört auch, dass dem Einzelnen gegenüber dem Staat eingeräumte Rechte erst dann tatsächlich wirksam sind, wenn sie unparteiisch überprüft und gegebenenfalls auch erzwungen werden können - durch unabhängige Gerichte. Erst die Rechtsschutzgarantie gibt den materiellen Freiheitsrechten ihren vollen Charakter.
Es ist das große Verdienst von Professor Julius Raecke, sich bereits im Jahre 1926 in seiner Monographie "Der Querulantenwahn" eines bis heute aktuellen Phänomens erstmals umfassend und aus psychiatrischer Sicht angenommen zu haben – und damit bis heute die Diskussion zu diesem Thema zu bereichern.
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Aus der wissenschaftlichen Einleitung von Professor Dr. med. Henning Saß, Aachen:
In der Querulanz finden wir die krankhafte Steigerung einer Tugend, des Rechtsgefühls, das in Bezug auf die eigene Person außerordentlich leicht verletzbar ist, jedoch gegen das Empfinden anderer hartnäckig und ohne Rücksicht durchgesetzt wird. Querulanten sind misstrauische, kränkbare, nörgelsüchtige, sensible Menschen, die sich jedem vernünftigen Vorschlag widersetzen, sich ständig über falsches Verhalten anderer beklagen, sich leicht erregen und mit den gegebenen Verhältnissen unzufrieden sind. Dies kann sich steigern zum Querulantenwahn, also der unkorrigierbaren Überzeugung, in böswilliger Weise fortwährend Rechtskränkungen zu erleiden. In der Regel erfolgt dies in einer paranoiden Entwicklung aus einem hyperthymen, kampflustigen, starrköpfigen, dabei sensitiven Charakter heraus, beginnend mit einer wirklichen oder vermuteten Rechtskränkung, wodurch es zu einem erbitterten, oft viele Jahre lang fortgesetzten Kampf um das vermeintliche Recht oder zum endlosen Prozessieren kommen kann, bis die Mittel erschöpft sind. Eine besonders ausgeprägte Form ist der Kampfparanoiker, der durch ein meist empörendes Erlebnis in seinem Rechtsgefühl gekränkt ist und in einer paranoischen, fanatischen Weise nach Vergeltung sucht.
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Zum weiteren Inhalt:
Der wahnhafte Kampf des Querulanten wird irgendwann zu seiner ausschließlichen Daseinsberechtigung. Die Belange anderer werden weitestgehend ignoriert, während die Möglichkeit zur Selbstreflexion nur selten gegeben ist. Seine Opfer ("Gegner") verfolgt der querulatorische Kampfparanoiker mit allen Mitteln. So repräsentiert der Querulant eine Geisteshaltung, die Missbehagen bei seiner Umgebung auslöst.
Der Richter sieht den Querulanten in der Breite seiner fanatisch-unbelehrbaren Tätigkeit naturgemäß früher als der forensische Psychiater, der schlussendlich mit der Begutachtung beauftragt wird. Der Arzt befasst sich mit dem Querulanten erst, wenn die Gerichte und Behörden ihn schon lange kennen und sein Verhalten ohne jedes realitätsgerechte Verständnis seiner Umwelt eine Entwicklung genommen hat, die seine geistigen Fähigkeiten anzweifeln lässt.
Aktualisiert: 2019-12-30
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