Gesellschaft von Tikal bis irgendwo

Gesellschaft von Tikal bis irgendwo von Sperling,  Urte, Tjaden-Steinhauer,  Margarete
GESELLSCHAFT VON TIKAL BIS IRGENDWO Europäische Gewaltherrschaft, gesellschaftliche Umbrüche, Ungleichheitsgesellschaften neben der Spur Studien zu Subsistenz, Familie, Politik, Bd. 3 Tikal war bis zu seinem Untergang im späten ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung ein glänzendes Herrschaftszentrum einer altamerikanischen Hochkultur, derjenigen der heute so genannten Maya. Deren Nachfahren gerieten nach der spanischen Conquista unter Gewaltherrschaften europäischen Typs, die in dieser oder jener Form bis heute andauern. In diesem Buch werden historische wie aktuelle Facetten insbesondere dieses Typs gesellschaftlicher Herrschaft - nicht nur am Beispiel Amerikas, sondern auch Europas selber - betrachtet. Die europäischen und außereuropäischen Ausprägungen zivilisatorischer Gewalt und die Geschichten ihrer Opfer werden als historische Phänomene behandelt, die aus frühgeschichtlichen Umbrüchen hervorgegangen sind und die zu beenden, neuen gesellschaftlichen Umbrüchen gleichkäme. Die Fachbeiträge zu diesem Buch stehen im Kontext einer differenzierten Kritik des Begriffs des geschichtlichen Fortschritts, die die Herausgeber/innen in ihrem Einleitungsbeitrag vortragen, ohne diesen Begriff einfach über Bord zu werfen. Außerdem wenden sie sich in abschließenden Bemerkungen den politischen Reizwörtern "Reform" und "Revolution" zu, von denen sie sagen, sie wollten sie "vorsichtig betrachten". Die Abbildungen auf dem Schutzumschlag symbolisieren den theoretischen Rahmen der Beiträge zu diesem Band. In ihm wird die Gewaltsamkeit benannt, die den Prozeß der Zivilisation nicht nur in seinen europäischen und neo-europäischen Ausprägungen durchzieht und zu deren Opfern auch der gefangene Maya-Fürst in Toniná (8. Jh. u.Z.) gehört. Charakteristisch ist auch die langfristige Betrachtung der Geschichten menschlicher Gesellschaften, symbolisiert durch das Startdatum des Maya-Kalenders (11.08.3114 v.u.Z.) wie des gegenwärtigen Zeitalters der Maya, das im Jahr 2012 zu Ende geht. Inhalt: Urte Sperling, Margarete Tjaden-Steinhauer, Lars Lambrecht, Thomas Mies, Karl Hermann Tjaden: Statt einer Einleitung: Anmerkungen zum Fortschritt in der Geschichte Margarete Tjaden-Steinhauer, Karl Hermann Tjaden: An Ape's View of Human History - revisited Lars Lambrecht: Phönizier, Hebräer, Griechen - Weichenstellungen für den west-europäischen Entwicklungsweg? Neue Fragen zu einem Forschungsprogramm Margarete Tjaden-Steinhauer, Karl Hermann Tjaden: Maya, Inka und Azteken - Altamerikanische Kulturen und europäische Gewaltherrschaft: Unterwerfung, Anpassung und Widerstand Urte Sperling, Margarete Tjaden-Steinhauer: Generative Körpervermögen und gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen Rolf Czeskleba-Dupont: Historisch-geographische Bedingungen und Voraussetzungen der us-amerikanischen Hegemonie Karl-Rainer Fabig: Genvarianten und Umweltgifte Bernd Reef: Das neoliberale Programm und der Abbau des Sozialstaats Urte Sperling, Margarete Tjaden-Steinhauer, Lars Lambrecht, Thomas Mies, Karl Hermann Tjaden: Schlußbemerkungen: Reform und Revolution - vorsichtig betrachtet Bibliographie, Register. Es ist kein Zufall, daß der dritte Band der Reihe "Studien zu Subsistenz, Familie, Politik" (sieht man von den Einleitungs- und Schlußbeiträgen der Herausgeber/innen ab) mit Thesen zur gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte der Menschen seit der frühen Eiszeit ("aus der Sicht der Schimpansen") beginnt und weiterhin einen Fachbeitrag zur kritischen Gendiagnostik und Umweltmedizin enthält: die Beziehungen der Menschen zur Natur - zur Umwelt wie zu sich selber als Naturwesen - sind der Kern aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Und die besondere Gewalttätigkeit, welche, so ein weiterer Beitrag, die führenden Gesellschaften im Westen Eurasiens vor allem seit der europäischen Antike kennzeichnet, hat viel mit der Gewalt zu tun, welche Mitlebewesen durch den Modus agrarischer Produktion angetan wurde und wird, der sich mit unserem Zivilisationstyp entwickelt hat. Von den Maya und anderen Kulturvölkern Altamerikas wird ausführlich gehandelt. Wenn sie auch alles andere als herrschaftsfreie Gesellschaften ausbildeten, unterschieden sie sich doch nicht zuletzt wegen ihres anderen Umgangs mit der übrigen Natur von den Machthabern europäischen Typs, die sie bis heute unterjochen. In Europa entstand, zumal in modernen Zeiten, auch eine besonders ausgeprägte gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen. Das zeigt die zusammenfassende Behandlung entsprechender Herrschaftspraxen und -ideologien, vom klassischen Patriarchat und dem kirchlichen und staatlichen Abtreibungsverbot bis zur reproduktionsmedizinischen Bevormundung der Frauen im Gebrauch ihrer Körpervermögen. Neokolonialismus und Imperialismus sind andere Äußerungen eines Typs von Gewaltherrschaft, dem es besonders um die Kontrolle natürlicher Potentiale und Ressourcen geht, wie am Beispiel der USA gezeigt wird. All dies wirft schließlich auch ein Licht auf die aktuelle "Sozialpolitik" in unserem Land: dient sie nicht vor allem der besseren und billigeren Ausnutzung der Arbeitsvermögen der abhängig Beschäftigten? Dies sind Gedanken über die Vorgeschichte und Geschichte von Gesellschaften, die die Selbsterhaltung der Menschen und die ihrer Mitlebewelt anscheinend kaum mehr interessiert.
Aktualisiert: 2023-03-30
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