Vorwort
Dass mein Buch „Kaltstart“ heißt, ist schnell erklärt. Mein Leben lang war ich selbstständig unterwegs. Die Selbstständigkeit hat es in sich. Du hast so viele Risiken im Gepäck, dass du wahrscheinlich, wenn du darüber nachdenken würdest und du schon genug Erfahrungen hättest, um alles einordnen zu können, erst gar nicht als Selbstständiger loslegen würdest. Zum Glück war ich jung und naiv, sodass ich keine Vorstellungen hatte, worauf ich mich dabei einließ. Einmal ins kalte Wasser gesprungen, darfst du nicht mehr aufhören zu schwimmen, du musst immer weiter. Die Haie schwimmen mit dir mit, sind aber erst einmal nicht angriffslustig. Sie beobachten, was du machst. Sie warten auf deinen ersten Fehler und schnappen nach dir. Gerade so konnte ich mich losreißen. Niemals aufhören, immer weiter schwimmen.
Während ich auf der einen Seite nach dem Erfolg schnappte, schnappte auf der anderen Seite das Leben. Da war ja noch das Private. Auf dieser Seite des Lebens sind es nicht die Haie, es sind die Menschen. Verwandte, Freunde, sogenannte Freunde, Freundschaftsanwärter, Bekannte, einfach alle, die nicht geschäftlich mit mir zu tun hatten. Entweder das Eine oder das Andere brachten mich in meinem Leben oft dazu, wieder von vorn anzufangen.
Kein Mensch wird da geboren, wo er den Erfolg oder das Glück seines Lebens einfangen bzw. finden wird. Diese Orte finden die meisten Menschen überhaupt nicht, manche suchen nicht einmal danach, weil sie glauben, schon am richtigen Ort zu sein, oder haben keine Vorstellung, dass es für sie woanders vorteilhafter sein könnte.
Türkischstämmige Menschen sind dabei, meiner Meinung nach, am schlechtesten dran. Sie werden in der Türkei geboren, an einem Ort, an dem sie höchstwahrscheinlich nicht glücklich werden könnten, wenn sie blieben. Dann gehen bzw. gingen die Eltern noch als Gastarbeiter nach Deutschland. Wieder ein Ort, den sie sich nicht freiwillig aussuchten. Allerdings steigt die Chance zum Glücklichsein, denn sie haben zumindest anfänglich Arbeit und können sich selbst entscheiden, ob sie glücklich werden sollen oder nicht.
Ironie und Sarkasmus sind bei mir reichlich vorhanden. Das sollte man wissen, damit man mich später im Buch besser versteht. Denn zumeist meine ich es zwar so, aber auf eine andere Art und Weise doch nicht. Wenn man nicht mitzieht, kann man meinen grauen Zellen vielleicht nicht folgen.
Meine Sprache ist einfach gehalten. Das habe ich mir über die Jahre hart erarbeitet. Das musste so sein, denn ich stellte fest, dass bei meinem Gegenüber nur ein Teil von dem ankam, was ich eigentlich sagen wollte. Bei mir gibt es sogenannte „Fremdwörter“ nicht. Meine Autobiografie, mit vielen Anekdoten, Erfahrungsberichten und Kritiken, die erstmals von mir aufgeschrieben wurden, ist leicht zu lesen und zu verstehen. Schon oft hörte ich: „Du kannst aber Dinge schön verständlich erklären.“ Das Wissen und die Einfachheit der Sprache machen es letztendlich aus. Es gibt verdammt kluge Menschen auf der Erde, nur die sprechen so eine komplizierte Sprache, bespickt mit vielen Fach- und Fremdwörtern, dass sie auch nur von sehr klugen Menschen ansatzweise verstanden werden. Wichtige Themen wie Migration, Integration, Islamkritik, Wirtschaft, Arbeit und viele mehr bleiben in der Luft hängen und erreichen die, die es angeht, in keiner Weise, weil sie zu kompliziert ausgedrückt werden.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass mir die Frauen zu allerliebst sind und ich auch homosexuelle oder Transmenschen kenne. Sie sind alle gemeint, wenn ich beispielsweise von „Freunden“ spreche. Ich hänge kein Gendersternchen oder Binnen-I dran, weil für mich selbstverständlich alle gemeint sind. Manchmal passiert es mir vielleicht doch unbewusst.
Auch wenn es den Anschein hat, dass ich als Erdoğan-Kritiker geboren wurde, so kam das erst mit der Zeit. Erst, als er aus dem Demokratie-Zug ausstieg, wurde meine Kritik schärfer. Erdoğan-Kritik kann man so einfach formulieren, dass sie auch bei denen ankommt, die ihn nicht mögen. Der gesunde Menschenverstand verbietet es eigentlich, ihn zu mögen. Wie kann man einen Alleinherrscher mögen, der für andere denkt und entscheidet und das Land, das man über alles liebt, zugrunde richtet? Am wenigsten kann ich das verstehen, wenn es die Deutschtürken es sind, die in einer Demokratie leben und eine Diktatur gutheißen. Diese Menschen können wohl in Deutschland niemals glücklich werden. Sie denken oft, dass in der Türkei alles besser ist, bleiben aber in Deutschland, weil hier die Sicherheit gegeben ist, die sie nicht missen möchten. Verkorkste Situation, kann ich nur sagen. In meinem Buch soll es aber um mich gehen und nicht um meine politische Meinung. Ich bin dafür, dass es gerecht zugeht und die Menschenrechte bewahrt werden und das überall, nicht nur in der Türkei, nur darum dreht es sich bei mir.
Gäbe es die vielen Fotos aus meiner Kindheit nicht, würde ich sagen, ich bin nie jung gewesen. Das Private brachte es mit sich, dass ich ins eisige Wasser geschmissen wurde und ich im Ganzen nie zur Ruhe kam. Es reichte nicht, dass ich die Aufs und Abs der Türkei mitmachen musste, es kamen auch die privaten Probleme dazu, die es zu bewältigen galt.
In der ganzen Zeit wurden über einhundert deutsche und Schweizer Marken und Unternehmen durch mich in den türkischen Markt eingeführt. An der Türkei kann man profitieren, wenn man sie zu händeln weiß und einen ehrlichen Lotsen an seiner Seite hat, der ich immer sein wollte und war. Niemand sollte schlecht über mich reden und alle sollten mich wegen meines Könnens, Wissens, meiner Loyalität und Ehrlichkeit schätzen – das war immer meine Motivation. Ich hatte ein stressiges Leben voller Kaltstarts. Dieses Mal habe ich sogar einen Dissidenten-Status, wenn auch mit einem Nachteil: Ich wurde in der Türkei nicht verhaftet und saß nicht ein. Im Nachhinein stelle ich fest, dass das eigentlich echt schade ist. Wenn ich schaue, wie viele Fördergelder und Stipendien denen zuteilwerden, die in der Türkei kurz oder lang einsaßen, habe ich ein Manko, mit dem ich leben muss.
Ich hätte Bände vollschreiben können, so viel, dass man sich fragen müsste, ob einer allein, in nur einem Leben, dies alles erlebt haben könnte. Selbst mein Vorwort ist eine Bedienungseinleitung dafür geworden, wie das Buch „Kaltstart X“ zu verstehen ist. Auf die chronologische Folge habe ich beim Schreiben verzichtet, obwohl alles irgendwo schon weitergeht. So kann man auch einige Episoden überspringen und an irgendeiner anderen Stelle weiterlesen.
Der Leserschaft möchte ich irgendwo begegnen und den Austausch suchen. „Ich habe recht intensiv gelebt“ – wenn das jemand sagt, stellen sich die meisten wohl Sex & Drugs vor. Nichts von all dem trifft auf mich zu. Als ich es mit 13 Jahren schaffte, eine Zigarette anzuzünden, zog ich zweimal daran und hörte direkt mit dem Rauchen auf. Die Erlebnisse eines Jugendlichen, der aus seiner Zeit als 17-Jähriger erzählt, decken sich in keiner Weise mit meinem Leben. So anders war alles und doch habe ich sehr intensiv gelebt und tue es immer noch. Manchmal würde ich es lieber langsamer angehen, aber dafür habe ich keine Zeit und die Muße schon gar nicht. Ich habe noch viel vor und die Zeit wird knapp. Los geht’s!