Ökonomie und Gesellschaft / Experiments in Economics /Experimente in der Ökonomie

Ökonomie und Gesellschaft / Experiments in Economics /Experimente in der Ökonomie von Becker,  O, Bohnet,  I, Bolle,  F
Inhalt Ernst Fehr, Simon Gächter: Soziale Kräfte und Lohnbildung: Einsichten aus der experimentellem Arbeitsmarktforschung Frans van Winden, Ronald Bosman: Experimental Research in Public Economics Otwin Becker, Friedel Bolle: Expectations in Economics: Rational or not? Reinhard Tietz: Experimentelle Wirtschaftsforschung - Wege zur Modellierung eingeschränkter Rationalität Geert Woltjer: Experimental Macroeconomics James Heckman, Jeffrey Smith: Social Experiments: Theory and Evidence Gregor Brüggelambert: Marginal Trade und die Hayek-Hypothese: Erfahrungen mit der computerisierten Börse Maik Heinemann: Künstliche Experimente und Konjunkturforschung: Eine exemplarische Betrachtung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts Hans Fehr, Wolfgang Wiegard: Numerische Gleichgewichtsmodelle: Grundstruktur, Anwendung und Erkenntnisgehalt Bruno S. Frey, Iris Bohnet: Experiments, Theory - and Reality? Editorial Bis in die achtziger Jahre hinein wurde die Auffassung vertreten, daß sich aus der Unmöglichkeit der Durchführung von Laborexperimenten in den Sozialwissenschaften ein grundlegender Unterschied zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften ergibt. Diese Auffassung wurde bis vor kurzem auch von Wirtschaftswissenschaftlern geteilt. So vertreten Samuelson/Nordhaus in der zwölften Auflage ihrer Principles of Economics den Standpunkt: "Die Welt der Wirtschaft ist außerordentlich kompliziert. Wirtschaftswissenschaftler.können nicht die unter Laborbedingungen durchgeführten Versuche der Chemiker oder Biologen nachahmen, weil sie nicht ohne weiteres andere wichtige Faktoren beeinflussen können. Ähnlich wie die Astronomen oder Meteorologen müssen sie sich weitgehend damit begnügen, Beobachtungen zu machen" (P.A. Samuelson/W.D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, 8. Aufl. Köln 1987, S. 35 f). Die Anzeichen mehren sich, daß diese Auffassung nicht mehr länger Gültigkeit beanspruchen kann. So schreibt etwa Hey: "Since (neoclassical) economic theory employs a formal deductive system (as in the physical sciences), it 'provides the basis for experimental abstraction' (as in the physical sciences). In principal, therefore, if that is what one wants to do, one can employ experimental techniques to investigate any area of (neoclassical) economics and to test any (neoclassical) economic theory. since all neoclassical theories are, by definition, well structured, it follows that we can in principle reproduce them in the laboratory and subject them to tests on their own terms" (J.D. Hey, Experiments in Economics, Oxford 1991, S. 13, 16). Die geradezu explosionsartig gestiegene Zahl der Experimente - man könnte geradezu von einer experimentellen Revolution in den Wirtschaftswissenschaften sprechen - belegt und unterstreicht inzwischen nachdrücklich die prinzipielle Möglichkeit der Durchführung von Laborexperimenten. Diese Entwicklung ist sowohl aus wissenschaftssoziologischer als auch aus methodologischer Sicht interessant, wirft sie doch unter anderem die Frage nach den Ursachen für die veränderte methodologische Auffassung über die Rolle kontrollierter Experimente in den Wirtschaftswissenschaften auf. Ist sie als ein Indiz dafür anzusehen, daß sich das Wissenschaftsprogramm der Ökonomen in den letzten zwanzig Jahre geändert hat? Oder ist die zunehmende Bedeutung kontrollierter Experimente auf theoretische Entwicklungen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften zurückzuführen? Oder läßt sich die Entwicklung wissenschaftssoziologisch durch Neuerungen in der Computertechnologie erklären, die zu einer Senkung der relativen Preise kontrollierter Experimente geführt haben? Zugleich stellt sich aber auch die Frage nach der Relevanz anderer Experimentalformen. Denn immerhin haben Experimente unterschiedlichster Art im wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsprozeß immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Feldexperimente, Rechenexperimente, Computerexperimente, soziale Experimente sind nur eine kleine Auswahl von geläufigen Experimentbegriffen in den Wirtschaftswissenschaften. Ist die rapide Zunahme von Laborexperimenten auch als Beweis für die Inferiorität anderer Experimentalformen zu werten? Oder gibt es Problembereiche, bei denen andere Experimentalformen zweckmäßiger als kontrollierte Experimente sind? Oder können verschiedene Experimentalformen komplementär zueinander sein? Eine Beantwortung dieser Fragen setzt einen weiten Experimentbegriff voraus. Ein solcher Experimentbegriff wird diesem Band zugrunde gelegt und bestimmt auch die Auswahl der zu behandelnden Experimentalformen. Allgemein wird hier als Experiment jede systematische und wiederholbare Erzeugung von Daten verstanden, die durch isolierte Variation derjenigen Faktoren gewonnen werden, die die Zustände bzw. Prozesse einer künstlichen oder natürlichen Welt auf relevante Weise bestimmen. Der vorliegende Band gibt einen Überblick über verschiedene Arten von Experimenten und ihren methodischen Status in den Wirtschaftswissenschaften. Behandelt werden Fragestellungen, Techniken, Ergebnisse und Probleme von Labor-, Rechen- und Feldexperimenten auf verschiedenen Gebieten der Ökonomie wie z.B. Finanzwissenschaft, Arbeitsmarkt- und Makroökonomie. Die Aufsätze geben Aufschluß darüber, welchen Beitrag Experimente bei der Theorieprüfung und -entwicklung sowie bei der Lösung wirtschaftspolitischer Probleme zu leisten vermögen. Die Autoren diskutieren diese Frage aus unterschiedlichen Perspektiven, indem sie anhand von ausgewählten Beispielen häufig praktizierte Experimente darstellen sowie sich kritisch mit dem Erkenntnisgewinn derartiger Experimente auseinandersetzen. Fünf Artikel sind Laborexperimenten gewidmet. Der Beitrag von Fehr/Gächter behandelt das Problem, daß die von Ökonomen vielfach verwendeten Ex-Post-Daten keine direkte Diskriminierung zwischen konkurrierenden Theorien ermöglichen. Kontrollierte Experimente versprechen eine Lösung dieses Problems, weil durch sie die Daten produziert werden können, die für eine empirische Diskriminierung von Theorien notwendig sind. Die Überprüfung der Effizienzlohntheorie zeigt, daß soziale Kräfte (Fairness, Reziprozität) eine signifikante Rolle bei der Lohnbildung und Erklärung der Arbeitslosigkeit spielen. Van Winden/Bosman geben einen Überblick über Forschungsergebnisse von kontrollierten Experimenten, die sich mit für die Finanzwissenschaft so wichtigen Problemen der politischen Entscheidungsfindung befassen. Behandelt werden Fragen der Bereitstellung öffentlicher Güter und des Free-Rider-Verhaltens, des Wahlverhaltens, des Zustandekommens von Gruppenentscheidungen und der Beeinflussung politischer Willensbildung durch Interessengruppen. Obwohl Wirtschaftssubjekte häufig schlecht informiert sind und sich durchaus fehlerhaft verhalten und somit keine rationalen Erwartungen bilden, gelangen Becker/Bolle in ihrem Beitrag zu dem Schluß, daß es keine bessere Erwartungsbildungshypothese gegenwärtig gibt. Trotz nicht-rationaler Erwartungsbildung der Individuen zeigen Marktexperimente, daß Märkte dennoch effiziente Ergebnisse produzieren. Im Licht dieser Erkenntnisse liegt es nahe, den Rationalitätsbegriff bei der Analyse individuellen Verhaltens einzuschränken. Im Beitrag von Tietz werden Wege zur Modellierung eingeschränkter Rationalität untersucht. Es wird argumentiert, daß kontrollierte Experimente, bei denen Wirtschaftssubjekte keine wohldefinierten Zielfunktionen besitzen, eine größere Erklärungskraft als jene Experimente besitzen, die von einem streng rationalen Verhalten ausgehen. Kontrollierte Experimente bei eingeschränkter Rationalität werden von Tietz anhand des mikroökonomischen Ultimatumspiels und des makroökonomischen KRESKO-Modells illustriert. Dieses Modell ist, wie auch Woltjer in seinem Aufsatz betont, eines der wenigen rnakroökonomischen Experimente, das die Interdependenz der Märkte berücksichtigt. Neben einem Überblick über makroökonomische Experimente präsentiert und diskutiert Woltjer Ergebnisse eines von ihm selbst entwickelten makroökonomischen Spiels. Während in den bislang vorgestellten Experimenten die Wirtschaftssubjekte unter künstlich geschaffenen Umweltbedingungen entscheiden, verbleiben die Wirtschaftssubjekte bei Feldexperimenten in ihrer "natürlichen" Umgebung. Heckman/Smith diskutieren in ihrem Aufsatz methodische Probleme bei der Beurteilung der Effizienz wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf der Basis von sozialen Experimenten. Ein zweites Beispiel für Feldexperimente wird von Brüggelambert durch die Beschreibung und Analyse von Wahlbörsen vorgestellt, deren Ziel es ist, die Ergebnisse von Wahlen zu prognostizieren. Während bei den Labor- und Feldexperimenten Daten generiert werden, die aus dem Verhalten der Individuen resultieren, die an dem Experiment teilnehmen, werden bei den Rechenexperimenten Daten durch den Experimentator selbst (unter Einsatz von Computern) erzeugt. Von Heinemann werden Rechenexperimente im Rahmen der Entwicklung und Prüfung von Konjunkturtheorien diskutiert. Er zeigt, daß diese Experimente zwei Funktionen erfüllen können. Sie bezwecken einmal, zu Aussagen über die Realität zu gelangen, zum anderen fungieren sie als Instrument der Modellanalyse, indem sie helfen, Modellimplikationen zu erschließen. Zu den Rechenexperimenten zählen auch die numerischen Gleichgewichtsmodelle, deren Grundstruktur und Anwendungen als Instrument der Politikberatung von Fehr/Wiegard beschrieben und beurteilt werden. Der Band schließt mit dem Beitrag von Frey/Bohnet. Sie kritisieren, daß insbesondere in kontrollierten Experimenten die in der Realität gegebenen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zur Veränderung von Institutionen systematisch vernachlässigt werden. Sie plädieren für eine verstärkte Orientierung auf institutionelle Experimente.
Aktualisiert: 2018-11-08
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