Bausteine zu einer Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs X

Bausteine zu einer Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs X von Brandt,  Gisela, Hundsnurscher,  Franz, Mueller,  Ulrich, Sommer,  Cornelius
Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs“ bietet fünfzehn der zwanzig in Paderborn gehaltenen Referate, einen Überblick über die in den Bänden I-X (1994- 2012) publizierten Artikel sowie eine Liste der in den Konferenzbänden „Historische Soziolinguistik des Deutschen“ I-X (1994-2011) veröffentlichten Beiträge zur Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs. Eröffnet wurde die Tagung mit einem die zwei Jahrzehnte gemeinsamer Bemühungen um die Gleichbehandlung von Frauen in der deutschen Sprachgeschichtsschreibung reflektierenden Projektbericht, der Frauen seit dem Ende des 8. Jahrhunderts als Trägerinnen lateinisch-deutscher und seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Trägerinnen deutscher Schriftkultur ausweist (Gisela Brandt). Hervorgehoben wird, dass die vorgestellten Frauen sich mit ihrem Schreiben in eine große Zahl gesellschaftlicher Diskurse integriert zeigen und sich zumeist sicher in darin ausgebildeten Kommunikations- und Ausdrucksformen bewegen; dass sie nicht nur frei und vielfach souverän mit tradierten Text- und Satzmustern umgehen, sondern den Umgestaltungsprozess der Literatur- und Schriftsprache auf förmlicher und semantischer Ebene mittragen. Es gebe also keinen sachlichen Grund, ihr Wirken in Überblicksdarstellungen zur Geschichte der deutschen Sprache zu übergehen. Nicht nur die Konferenzbeiträge, auch andere Publikationen [vgl. die Bibliographie BRANDT 2008, BGwS VIII, 201ff.] böten hinreichend Material, diese Diskriminierung zu beenden. Die anderen Referenten unterstreichen diese Einschätzung exemplarisch. Patrizia Mazzadi benennt Stilzüge des in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts von Elisabeth von Saarbrücken nach französischer Vorlage verfassten Prosaromans „Sibille“. Monika Rössing-Hager unterstreicht die agitatorische Gestaltungskraft der Flugschriftautorinnen der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts mit einer Rechtfertigungsschrift der Pfarrfrau Katharina Schütz-Zell. Oliver Pfefferkorn macht auf die dichterische Sprache in Catharina Regina von Greiffenbergs in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts verfassten Andachtsbüchern aufmerksam. Federica Masiero hebt an Dorothea Christine Leporins in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts gedruckten Streitschrift für Frauenbildung und Frauenstudium den partnerschaftlichen Disputationsstil hervor. Britt-Marie Schuster unterstreicht in ihrer geschlechtskonfrontierenden Studie zum Reportagestil Erika Manns, Gabriele Tergits und Kurt Tucholskis aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts den gemein4 samen Rückgriff auf einen etablierten Textsortenstil, der offen ist für individuelle und geschlechtliche Eigenarten. Die Hälfte der Beiträger setzt sich mit weiblichem Sprachhandeln in den Textsorten Privatbrief und Tagebuch auseinander. Elvira Topalović macht am Beispiel von Geheimbriefen wegen Hexerei zum Tode verurteilter Frauen deutlich, dass Emotionalität sich nicht notwendig mit weiblichem Schreiben verbindet. Daniele Prutscher und Henry Seidel verweisen mit ausgeprägterer regionalsprachlicher Lautung, weniger regelmäßiger Großschreibung und geringerem Fremdwortanteil auf eine stärkere sprechsprachlich-gemeinsprachliche Bindung weiblichen Schreibens. Rainer Hünecke zeigt mit einer ebenfalls geschlechtskonfrontierenden Studie, dass weibliche Syntax nicht weniger Komplex und nicht weniger variabel sein muss als männliche Syntax. Dana Dogaru macht darauf aufmerksam, dass individueller weiblicher Briefstil nicht ein Leben lang gleich bleiben muss, sondern sich mit beruflicher Bildung und Eintritt in neue gesellschaftliche Funktionalbereiche verändern kann. Zsuzsanna Gerner beschreibt die Identitätsinskription einer zu wiedergutmachender Zwangsarbeit in den Ural verschleppten Frau in Briefen an ihre Angehörigen. An autobiographischem weiblichem Schreiben wird von Sigita Barniškienė mit Bezug auf die kurländische Adlige Elisa von der Recke die kohäsive Kraft der Orts- und Personenreferenz betont; von Kirsten Sobotta mit Bezug auf die Pfarrerstochter Helene Hildebrandt die selbstbewusste Identitätskonstruktion; von Nadja Geck mit Bezug auf zumeist junge bürgerliche Frauen die differenzierte Bewertung des Zweiten Weltkrieges. Arnika Lutz verweist mit einem Vergleich von autentischem weiblichem Sprechen im klinischen Pflegealltag mit dessen Reflexion in den fiktiven Textsorten Roman und Fernsehserie auf lediglich partielle Übereinstimmungen. Als Initiatorin der Konferenzreihe und Herausgeberin der Tagungsbände bedanke ich mich herzlich bei allen, die ihre Forschungsergebnisse bei uns vorgestellt und mit uns diskutiert haben. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Irmtraud Rösler (Rostock), Frau Dr. Berner (Potsdam), Herrn Dr. Rainer Hünecke (Dresden), Frau Dr. Kirsten Sobotta (Magdeburg) und Frau Prof. Dr. Britt- Marie Schuster (Paderborn), die über zwei Jahrzehnte die universitäre Anbindung der Konferenzen gesichert haben, Herrn Prof. Dr. Ulrich Müller (Salzburg) und dem Hans-Dieter Heinz Verlag (Stuttgart), die die Publikation der Sammelbände ermöglichten, sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die wiederholt AuslandsgermanistInnen mit Reisemitteln unterstützt hat.
Aktualisiert: 2021-01-20
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