Nature morte: In diesem französischen Begriff für „Stilleben“ schwingt die Vergänglichkeitsrhetorik des niederländischen barocken „still leven“ mit, das der Maler Matthias Holländer mit einer ganz eigenen Bildsprache neu belebt.
Matthias Holländer erforscht seit 1979 leidenschaftlich naturhistorische Museen und Sammlungen mit der Kamera. Viele seiner Gemälde (der vorliegende Band vereint Werke aus den Jahren 1987–2010) verdanken sich solchen Expeditionen in diese frühen Inventare einer ersten globalen Bestandsaufnahme der Schöpfung. Hinter der Sammlungsästhetik und Präsentation der Geschichte unseres Herrschaftswissens entdeckt er die Präparate als der Zeitlichkeit preisgegebene Einzelschicksale, gebrochen nicht nur im von Alter und Ära geprägten Glas der Vitrinen. Doch nicht nur die im museal gestoppten Zeitstrom quasi eingefrorene „Nature morte“ interessiert den Künstler. Holländer richtet seinen Blick genauso auf das, was ganz ohne schützendes Schauglas in lebendiger Natur betrachtbar ist und das er „wie gewachsen“, scheinbar, malerisch ins Bild fasst. Die feine Lasurtechnik, Holländers eigenständige Weiterentwicklung des Stils der alten Niederländer, könnte dazu verführen, seinem „Realismus“ oberflächenverliebtes Abbilden um seiner selbst willen zu unterstellen. Tatsächlich aber geht es um anderes als klassische Natur- und Landschaftsmalerei: Holländer analysiert Sedimentschichten, die sich im Sosein der vorgefundenen Objekte niedergeschlagen haben, ob es sich nun um eine Kirsche, eine Tierhaut, ein Baum oder Panorama handelt. Und: Er verstrickt sich in seiner archäologischen Malerarbeit in Prozesse, die er selbst als unabsehbar und unberechenbar – und damit ihrerseits naturgewaltig – beschreibt. „Den Realisten Matthias Holländer interessieren Strukturen“, befindet Alissa Walser (siehe ihr Essay in diesem Band). „Nicht nur die Strukturen dessen, was er malt, die ja nichts weiter sind als stets im Werden begriffene, ins immer Größere oder Kleinere sich verästelnde räumlich-zeitliche Anordnungen von zum Beispiel Heuhalmen, Blättern oder Zweigen. Schon immer auch die Strukturen der Malerei. Bildstrukturen. Streifen und Grids (…). Aus Matthias Holländers Bildern spricht der tiefe Wunsch, etwas mit uns zu teilen. Etwas Existentielles. Sie machen keine Angst. Sie stellen einfach etwas fest, was sich anders nicht feststellen lässt: Dass wir, wie sie selbst, vergehen, während wir noch schauen, im Schauen vergehen.“ Chronist unwiederbringlichen Vergehens – und dabei nicht auf Versöhnlichkeit gestimmt – ist Holländer auch in einem dritten Schwerpunkt seines Oeuvres. In dessen Zentrum steht sein monumentales Bild „Matrix“, das junge Wehrmachtssoldaten ins rötliche Licht der kommenden Schlachten stellt. Zerstörung, die bis heute weiter wirkt – und deren Darstellung verstören soll: nichts könnte weiter entfernt sein vom Frieden des „stillen Lebens“. Nature morte im Fall der Soldaten bedeutet Tod und Schuld. Und die Unmöglichkeit, Vergangenheit mit Nostalgie zu übermalen.
Aktualisiert: 2020-05-26
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Seit über 25 Jahren erkundet der vielfach ausgezeichnete Maler Matthias Holländer mit seiner Kamera die Tempel der alten, nun selbst schon historischen Museen für Naturgeschichte und Anatomie. Eigentlich beginnt alles so harmlos – eine Recherchearbeit für seine Malerei, ein photographisches Notizbuch. Aber dann taucht er – bevorzugt in Wien und Paris – ein in eine Welt aus von Präparaten bewohnten Vitrinen, die im Licht oft kathedralenartiger Schauräume über Spiegelungen und Reflexe rätselhaften Kontakt miteinander aufzunehmen scheinen. Oder er entdeckt, wie ein einziger Lichtstrahl eine unscheinbare Vitrine im Halbdunkel einer Asservatenkammer in einen Diamanten verwandelt und ihren Inhalt in eine Reliquie.
In diesem Buch ermöglicht der Maler erstmals Einblicke in sein photographisches Paralleluniversum und bringt einige ausgesuchte Negative und Dias aus seinem Fundus zu Papier, gleichsam als Blick in den „Zeichenblock“ des Malers. So legt der Künstler bei seiner digitalen Ausarbeitung des ursprünglich durchweg analogen Materials besonderen Wert auf die zeichnerische Feinheit, die Linien und Strukturen in seinen meist schwarzweißen Fine Art Prints auf edlen Papieren: ein analytisches Schauen in sein Archiv-Material wie in die Kindheit der Bilder, ein Blick auf das bildnerische Fundament, wie es erst die digitale Distanz ermöglicht. Christoph Bauer schreibt dazu in seinem Textbeitrag „Das Schillern der Erscheinungen“ in diesem Band: „Das Prinzip seiner Kunst ist, frei nach Benedetto Croce, das im Sehen konzentrierte Auge, das sich in produktiver Weise das zueigen macht, was ihm ‚die‘ Wirklichkeit im selben Augenblick darzubieten und zu entziehen sucht. Aller theoretischen Skepsis zum Trotz bleibt das ‚Augentier‘ Holländer seiner Recherche (die zugleich Obsession ist) treu, durch außerordentlich genaue Beobachtung, wie die Dinge – im Bild – aufscheinen, dort real werden und wieder vergehen, zur (Be-)Deutung von Welt vorzudringen: Jedes Bild eine Welle, die insistierend an der Natur des Geschauten nagt.“ Bereits 1996 bemerkte Adolf Muschg 1996 in seinem Essay ‚Im Spiegel der Klinge‘ über den Maler: „Holländer ist keineswegs nebenbei Photograph, er zeigt auch, dass er es ist, wenn er malt, aber er malt keine Photographie.“ Im Umkehrschluss dazu zeigt dieser Band jetzt auch eindrucksvoll, dass Holländer beim Photographieren keineswegs nebenbei Maler ist.
Aktualisiert: 2020-05-26
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