Im Jahr 1968, fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung seines beeindruckenden Berichts Geheimnis und Gewalt, legte der Pariser Schriftsteller und Silberschmied Georg K. Glaser (1910–1995) eine Erzählung vor. Deren Protagonist Weh ist der 1908 in Frankfurt am Main geborene Eugen Weidmann, der am 17. Juni 1939 in Versailles durch die Guillotine hingerichtet wurde.
Eines Nachts treffen in der Pariser Emigration nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten der Ich-Erzähler, unschwer als Glaser selbst zu erkennen, und Weidmann aufeinander, vermittelt über den gemeinsamen Freund Willy Mainzer. Während dieser Weidmann wegen seiner angeblichen wirtschaftlichen Erfolge bewundert und daran zu partizipieren hofft, wird der Erzähler immer misstrauischer. Mit knapper Not entkommen die beiden schließlich einem Anschlag Weidmanns. Wenig später stellt sich heraus, dass Weidmann ein lange gesuchter mehrfacher Mörder ist. Der Autor unternimmt es in seiner Erzählung, dem dunklen Rätsel dieses Mannes auf die Spur zu kommen, der ihm »verwandt« erscheint.
Die Geschichte des Weh handelt von Flucht und Vertreibung, der Ohnmacht vor dem heraufziehenden Krieg wie der Verwandtschaft in der Einsamkeit und davon, wie das Eigentümliche das Allgemeine bestimmt.
Der Band enthält ein Nachwort von Ralph Schock und wird um einen Brief Glasers an Max Horkheimer in der Causa Mainzer, ein Porträt Glasers von Gustav Regler sowie weitere Dokumente ergänzt.
Aktualisiert: 2023-04-12
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Georg K. Glaser, ein schreibender Arbeiter, der, wie Franz Jung, aus dem Umfeld der revolutionären Bewegung stammt, stellt sich in seinem Werk dem Ende der Weimarer Republik, dem Aufstieg des Nationalsozialismus und den Gründen für den Untergang der deutschen Arbeiterbewegung.
In seinem großen Bericht Geheimnis und Gewalt, einer Mischung aus Autobiographie, Erzählung und Exilliteratur, der 1951 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, setzt Glaser sich im Spiegel seiner eigenen Biographie so aufrichtig wie schonungslos mit der Hoffnung und den Katastrophen des 20. Jahrhunderts auseinander. »Es geht nicht um Fieberkurven, Lebensdaten, die ich aufzeichne, ich habe nicht die Geschichte eines Trampeltiers geschrieben, sondern die der Graugans Martina. Man kann Autobiographie dazu sagen, muss aber bedeuten, was es ist: der sich selbst Beobachtende, aus dem einzigen Grund, weil es der Menschenleib, die Menschengestalt ist, weil man das an sich selbst am besten beobachten kann. Also mit Abstand zu sich selbst, unter Einbeziehung typischer Schicksale. Das ist doch das Wesentliche.«
Geheimnis und Gewalt erzählt von der Brutalität der Familie, der Rebellion der Jugend und dem Vagabundenleben, der Züchtigung in den Erziehungsanstalten, den ersten literarischen Versuchen und davon, wie die anfängliche revolutionäre Heilserwartung und der bedingungslose Gehorsam gegenüber den Weisungen der Partei durch den Aufstieg des Nationalsozialismus, die Gewalt der Straßenschlachten, dem Kampf um die Saar und der erzwungenen Emigration im Verlauf der Geschichte mehr und mehr erschüttert wird, um nach der Erfahrung von Krieg und Zwangsarbeit im deutschen Lager einer tiefen Verzweiflung und der endgültigen Abkehr von der Partei zu weichen.
Glasers unversöhnlicher Bericht stellt den Versuch eines Renegaten dar, an der Verständigungskraft der Sprache jenseits der politischen Verführung festzuhalten und zeugt so in einem von den Grenzen der Vereinnahmung durch die Kollektive der 20er und 30er Jahre und der dadurch bedingten Selbstaufgabe wie von der Einsamkeit der Vernunft und der Verlassenheit des Einzelnen.
Der Band wird von Michael Rohrwasser herausgegeben und enthält neben einem editorischen Bericht ein Nachwort des Herausgebers.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Horkheimer hatte 1946 das Gespräch mit Adorno über eine mögliche Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit an der Dialektik der Aufklärung mit der Frage beendet: »Wieweit hat man an der Selbsterhaltung teilzunehmen und wieweit ist sie Wahnsinn?« Es ist die Frage, wie nach Auschwitz die Kritik der politischen Ökonomie als »Existentialurteil« zu entfalten wäre.
Marx war es noch möglich gewesen, das Wahnhafte in ironischer und religionskritischer Anspielung auf den Universalienstreit aufzulösen. Mit der Apokalypse des Johannes erläutert er nach der Wertformanalyse im Kapital die »gesellschaftliche Aktion der Waren«, die eine Ware zum allgemeinen Äquivalent macht: als wären sie die zehn Herrscher, die einem »Tier« ihre »Kraft und Macht« übergeben, sodass »niemand kaufen oder verkaufen« könne, wenn er nicht »das Zeichen oder den Namen des Tiers« habe oder die »Zahl seines Namens«. Das Tier muss jedenfalls für die Gesellschaft wie ein Universale für den Universalienrealisten wirklich existieren, aber Waren sind keine mythologischen Könige, die es zu diesem Zweck dickfüttern könnten – und Marx erweist sich genau hier als ein Universalienrealist wider Willen, darin der Logik des Abaelard intuitiv vielleicht ebenso verbunden wie der negativen Theologie des Judentums.
Dieser ›Wille‹ ist zwar unmittelbar aus der frühen junghegelianischen Kritik am Staat hervorgegangen, über dessen Funktion vermag aber erst die Kritik der politischen Ökonomie Entscheidendes beizutragen: dem fortdauernden Gewaltverhältnis zwischen den Staaten entsprungen muss der Souverän beständig dafür sorgen, dass Geld nicht nur als Tauschmittel fungiert, sondern eben darin zugleich das Maß für eine durchschnittlich notwendige Zeit zur Produktion dessen, was getauscht wird, anerkannt wird; dass mit dem Geld also der Gegensatz zwischen den je konkreten lebendigen »Privatarbeiten«, die nur nominalistisch einander gegenübergestellt werden können, und der abstrakten universal gesellschaftlichen Arbeit, »Arbeit sans phrase«, als aufgehoben erscheint. Das ist die im Tausch bejahte Voraussetzung – »Sie wissen das nicht, aber sie tun es« – für die unendliche Verhandlung über einen ›gerechten Lohn‹. Und solche Gerechtigkeit wird entweder im Hinblick auf die Souveränität des einzelnen Staats oder auf den die Nationalökonomien umspannenden Weltmarkt eingeklagt (zum einen tun sich dabei – um die entsprechenden Schlagworte zu verwenden – die ›Souveränisten‹ oder Nationalisten, zum anderen die diesen so verhassten ›Globalisten‹ oder Neoliberalen hervor). Aus ihrem inneren Zusammenhang, den Marx als Modifizierung des Wertgesetzes aufgedeckt hat, ergibt sich jedoch: keine Souveränität ohne Weltmarkt, kein Weltmarkt ohne Souveränität.
All das fasst die Negative Dialektik beinahe en passant in der »Maßkategorie der Vergleichbarkeit« zusammen: sie ist es tatsächlich, die Nationalökonomie und Weltmarkt stets vermittelt und zugleich in die Krise treibt, unwahr allein dadurch, dass bei ihrer Geltung Hunger kein hinreichendes Motiv für Produktion sein kann. Tilgte man sie aber blindlings – wie allenthalben unter dem Banner der Autarkiepolitik, der das Zerbrechen des Weltmarkts (wieder einmal) gerade recht käme –, setzten sich aufs Neue anstelle der »Rationalität, die noch als Versprechen dem Tauschprinzip innewohnt«, unmittelbare Aneignung, Gewalt und Vernichtungswahn ungehemmt durch. Und letzterer zielt mit der ihm eigenen Logik auf die Juden, insbesondere auf deren Souveränität in Israel.
Wahre Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens hingegen will, »daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde«, so Adorno – oder wie es in der Kritik des Gothaer Programms heißt: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« Das schlechthin Unvernünftige, das darin besteht, den inneren Sinn der Zeit zum äußeren der gesellschaftlichen Synthesis zu machen und darauf die Messbarkeit des substantiell Verschiedenen zu begründen, erscheint zwar nur unter einem einzigen Gesichtspunkt als der Vernunft zugänglich: dass es abgeschafft wird. Die conditio sine qua non dieser Abschaffung ist und bleibt allerdings, dass sie in einem der unmittelbaren Aneignung, der Gewalt und dem Vernichtungswahn genau entgegengesetzten Sinn erfolgte: in dem Sinn, in dem das Kapital – darin liegt noch immer die Pointe der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die sogar den Fortschrittsbegriff überdauert – seine eigenen Voraussetzungen untergräbt, dem stets vermittelten Zwang gehorchend, die ›lebendige Arbeit‹, also die ›Privatarbeiten‹, soweit sie fürs Individuum immer Selbsterniedrigung zur Selbsterhaltung sind, überflüssig zu machen. Die Befreiung vom Kapitalverhältnis folgte überhaupt keinem Zwang, sondern im Gegenteil dem Urteil, dass es ihn nicht geben soll.
Aktualisiert: 2023-01-12
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Klappentext der Erstausgabe im Agis Verlag von 1932 Georg Glaser, 21 alt, vor Monaten noch Fürsorgezögling, beschreibt in Form einer Selbstbiographie die Erlebnisse eines Kriegsjungen. Er ist immer allein. Und das einzige, was er hat, ist: Hunger! Der Krieg ist aus. Der Vater kommt zurück. Er hat den Jungen nie gesehen, prügelt ihn, und der Junge läuft davon. Schluckebier hetzt durch die Dörfer. Bettelt, stiehlt und verbirgt sich bei den Straßenmädchen der Stadt. Dann steckt man ihn in die Fürsorge. Schluckebier sieht plötzlich, dass es noch tausend andere Schluckebiers gibt, und dass alle diese Schluckebiers Hunger haben. Hunger und Schläge und ein bisschen Kameradschaft untereinander – das ist alles, was die Fürsorge ihnen geben kann. Schluckebier sieht und erlebt noch mehr. Er lernt die Methoden der Erzieher kennen, ihre Freude am Quälen, ihre grausamen Strafen. Bis dann eines Tages alles, was sich bei den Jungens an Erbitterung gesammelt hat, in einer Revolte explodiert. Diese Revolte ist der Höhepunkt im Leben Schluckebiers und zugleich der Höhepunkt dieses kleinen Romans.
Aus dem Nachwort von Michael Rohrwasser Die Metaphern der Hoffnung und des Aufstands sind in dem Roman Schluckebier so signifikant wie trotzig gegen ein Stärkeres gesetzt. Bedrohlicher ist das immer aufs Neue anklingende Bild des Eingeschlossenseins, das als Fluchtpunkt nur noch Tod und Verrücktwerden zulässt. Denn auch die Revolte, die in den letzten Abschnitten scheinbar im Stil der proletarisch-revolutionären Literatur beschworen wird, hat zwar alle existentielle Berechtigung, trägt aber die Züge der Unterdrücker in sich. Glasers Erzählung berichtet von einer Angst, die ins Innere greift. Die Bremse des Zuges, die sich löst, die Ventile des Dampfkessels, die sich nicht mehr öffnen lassen, lösen den Schrecken aus vor dem, was hier freigesetzt wird, einer bête humaine, geboren in den Fabriken und Fürsorgeheimen.
Ausstattung Der von Michael Rohrwasser herausgegebene Band enthält Glasers Texte aus den Jahren 1931–1936. Dabei handelt es sich neben dem Roman Schluckebier um Erzählungen und Skizzen, die als Vor- oder Begleittexte zu Schluckebier fungieren sowie um vier Erzählungen aus der Zeit des Exils. In einem ausführlichen Nachwort skizziert der Herausgeber Lebens- und Werkgeschichte.
Aktualisiert: 2023-03-30
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Alle Ideologie beruht auf Verdrängung der Gewalt; noch dort, wo sie Gewalt fetischisiert, bildet der blinde Fleck des Souveräns den Ursprung. Denn ausgeblendet wird ja nicht Gewalt als solche, sondern dass durch sie die Einheit der Gesellschaft erst Bestand hat. An diesem blinden Fleck tritt im Politischen selbst zutage, wie Aufklärung sich weigert, ihre eigenen Bedingungen zu begreifen – darin ist sie zunächst nichts anderes als die frühe Gestalt des Engagements. In dieser ‚Dialektik des Leviathan‘, wie sie der erste Teil des Buchs im Anschluss an die Dialektik der Aufklärung zu umreißen versucht, erhält die Gegenüberstellung von Hobbes und Spinoza eine Schlüsselrolle. Die These lautet, dass ein kritischer Begriff des Staats ohne die Kritik der spinozistischen Auffassung von Substanz nicht zu haben sei, deren problematische Aspekte nicht zufällig in der französischen (und italienischen) Linken (Althusser, Deleuze, Negri…) wiederkehrten. Umgekehrt war es gerade die Problematik dieses Substanzbegriffs, die es Marx erst ermöglichte – zusammen mit der Hegelschen Dialektik und zugleich gegen sie gerichtet – die Kritik der politischen Ökonomie zu entfalten.
Wenn die neueste Ideologie der Linken wie der Rechten, in Frankreich wie in Deutschland, vielfach das Heideggersche „Sein“ und den Carl Schmitt’schen „Begriff des Politischen“ an die Stelle von Substanz und Souveränität setzt (Agamben, Badiou, Mouffe…), ist es mit jener ‚Dialektik des Politischen‘ auf dem Boden der klassischen Metaphysik und Aufklärung nicht mehr getan. Dem heutigen Triumph Heideggers und Schmitts zu widersprechen, geht es im zweiten Teil des Buchs: Jean-Paul Sartres „Engagement gegen den Tod“ und Jean Amérys Appell, den Leib zu „substantiieren“ (wie das Manfred Dahlmann jüngst ausgedrückt hat), bedeuten einerseits Annäherung an die entscheidenden Fragen einer Philosophie nach Auschwitz – gerade auch, was die Frage des Souveräns betrifft. Andererseits verkehrte sich bei beiden regelmäßig die kritische Intention, sobald man den Gegenstand des Engagements mit der politischen Linken teilen und also Politik machen wollte. Dass sie vielmehr zu sabotieren sei, hat allerdings Améry – ohne sich dessen unbedingt bewusst zu sein – in seiner Parteinahme für Israel vorgeführt wie kaum ein anderer. Der von Adorno formulierte kategorische Imperativ, der zugleich das Politische als „Stand der Unfreiheit“ begreift, erweist sich als die einzige Möglichkeit, dieser Sabotage auf den Grund zu gehen. Hier spannt sich aber auch der Bogen zum ersten Teil des Buchs zurück: Aus der Kritik an Spinozas Substanzbegriff lässt sich keine Kritik an Heideggers Sein zum Tode entwickeln, so wie auch der Gegensatz zwischen der Vernunft als Selbsterhaltung, die in der Dialektik der Aufklärung kritisiert wird, und der Vernichtung um der Vernichtung willen, die das Selbstopfer einschließt, dialektischer Vermittlung nicht mehr zugänglich ist, sondern zur Intervention nötigt. Davon legt jener Imperativ Zeugnis ab. Nur wer sich dabei jedoch die eigene Ohnmacht immer wieder eingesteht, die im notwendigen Engagement gegen den Antisemitismus so fatal wie nirgendwo hervortritt – spätestens dann, wenn der eben erst bezwungene Antisemit in neuer Gestalt wiederaufersteht –, wird auch die antisemitische bzw. antizionistische Gewalt nicht unterschätzen. (Diese Unterschätzung ist das Merkmal aller liberalen Anstrengungen, die Antisemiten zurückzudrängen.)
Der dritte Teil schließlich versammelt – in Anlehnung an Adornos Engagement-Essay – Einzelstudien zur Kritik des politischen Engagements, wie sie sich an und in den Werken von Literatur und Essay, Musik und Film erschließt (Thomas Bernhard, Berthold Brecht, Hanns Eisler, Jean-Luc Godard, Elfriede Jelinek, Imre Kertész, Claude Lanzmann, Georg Lukács…).
Aktualisiert: 2022-11-22
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Die Zeitschrift sans phrase verfolgt kein ‘Programm’, weder ein theoretisches noch ein politisches: Ihr einziges Interesse besteht in Ideologiekritik – darin, dem kollektiv wirksamen Wahn zu widersprechen in dem Wissen, dass er dem Innersten der Gesellschaft entspringt, dort, wo das Subjekt die Krise ‘bewältigt’, die das Kapitalverhältnis seinem Wesen nach ist. Der so gefasste Vorrang des Objekts erfordert allerdings einen Subjektbegriff, der in dem der Charaktermaske nicht aufgeht: Das notwendig falsche Bewusstsein in seiner Notwendigkeit zu durchschauen, setzt Freiheit voraus, wie jeder kategorische Imperativ sie beinhaltet – erst recht der von Marx, “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”.
Ideologiekritik bedeutet damit nichts anderes, als das Existentialurteil zu entfalten, dessen Abbreviatur nach Adorno lautet: “Das Ganze ist das Unwahre”. Doch wie das Unwahre selbst bestimmt, d.h. negiert wird, kann es per se niemals unabhängig von geschichtlicher Erfahrung sein und ist damit unabdingbar angewiesen auf den neuen kategorischen Imperativ: noch im Stande der Unfreiheit die Freiheit zu behaupten, “Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole”.
Solche Dialektik ist negativ, das heißt: sie gibt das Antinomische in keinem ihrer Begriffe preis. Aufzulösen wäre es nur, wenn jener Marxsche Imperativ in die Tat umgesetzt würde. Ein Verständnis hingegen, das Wirklichkeit nicht in Begriffen erschließt, die sich selbst kritisieren können, herrscht dieser Wirklichkeit das im Geld repräsentierte Mit-sich-selbst-identisch-Sein als eine ihr angeblich von Natur aus zukommende Eigenschaft auf. Anders, mit Freud gesagt: wer sich die Welt nur als Ansammlung von Zeichen denkt, macht sich unfähig, reale, von ihm getrennte Objekte libidinös zu besetzen.
Essayistisches Schreiben, das es allein rechtfertigt, eine Zeitschrift zu gründen, führt darum auch nicht Idiosynkrasien narzisstisch vor – und weiß dennoch, was es ihnen verdankt: Von ihnen zehrt der Gedanke, der über die Begriffslogik hinausgeht; sie sind die einzig mögliche – unmittelbare – Anwesenheit des Leibs im Denken. Aber auf sie sich einzuschränken und auf Begriffsbestimmung zu verzichten, wäre wiederum Regression des Denkens. Diese Gratwanderung hat die Begrifflichkeit des Essays mit dem Formsinn der Kunstwerke gemein. Nur fehlt ihr deren Evokationskraft, und schon deshalb kann sie sich selbst ohne Reflexion aufs Ästhetische im engeren Sinn nicht wirklich entwickeln.
Die Zeitschrift ist dabei wie in allen anderen Fragen der Kritik keineswegs pluralistisch. Sie hat nicht zuletzt das Ziel, den Konsens, auf den der Pluralist sich berufen muss, als der Form Kapital äquivalent bloßzulegen. Aber sie verteidigt mit größtem Engagement noch den Pluralismus gegen autoritäres Potential wie antiautoritäre Gewaltphantasie, die ihm selbst entspringen und beide – von attac bis occupy und Kommendem Aufstand – so auffällig die antikapitalistische Regression der Gegenwart kennzeichnen, terminierend in den schlimmsten Formen des Politischen: deutscher Ideologie und deren djihadistischer Fortsetzung. Die totale Vermittlung, die durchs Unwesen Kapital gesetzt ist, und das auf Totalität zielende Ungeheuer, das sie beseitigt, sind von der Kritik als Einheit zu begreifen, und dennoch dürfen sie ihr nicht eins sein, will sie ein Bewusstsein ihrer eigenen Voraussetzungen haben.
Wissenschaftliche Abhandlungen zu veröffentlichen, überlässt die Zeitschrift den dafür zuständigen Institutionen. In ihr werden keine Diskurse oder Narrative beschworen oder analysiert, denn dies ist die Selbstzerstörung des Pluralismus: Sie rufen in ihrer bewusst im Unverbindlichen gehaltenen Form und ihrem den Wahrheitsbegriff leugnenden Inhalt letztlich jenen Gegensouverän auf den Plan, der die Gesellschaft nicht nur auflöst in diffuse barbarische Vielheit. Anders als der Souverän, der die Form als Ausbeutungsform objektiviert, das heißt als ewig und allgemein verbindlich mittels Todesdrohung zu garantieren vorgibt, polt sie sein in der Krise notwendig auftauchender Kontrahent inhaltlich gezielt auf Vernichtung um der Vernichtung willen.
Am Hass, der Israel entgegenschlägt, weiß diese Zeitschrift darum sans phrase die heute gefährlichste Konsequenz solchen Wahns zu erkennen und zu denunzieren.
Aktualisiert: 2022-11-22
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Der Leib ist auf der Ebene des individuellen Lebens, was die Krise auf der Ebene des gesellschaftlichen: Dem Geist erscheint er als das Hinzutretende, das er nicht nur nicht los wird, an dem zugleich seine Vermittlungen abprallen und die Synthesis scheitert. Nur im Bewußtsein dieses Hiatus, das in der Kunst bis zum Äußersten geschärft werden kann, erschließt sich nach Auschwitz die Kritik der politischen Ökonomie – als eine, die dem sinnlosen Leid keinen Sinn gibt; und dafür steht Adornos Werk.
Aktualisiert: 2022-11-22
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