Der Autor steht für Lesungen und Pressetermine NICHT zur Verfügung. Eine Nahaufhörerfahrung.

Der Autor steht für Lesungen und Pressetermine NICHT zur Verfügung. Eine Nahaufhörerfahrung. von Hahn,  Friedrich
„Ich bin mit meinem Text am Ende. Der Satz klingt nach schlussendeaus. Nun. Da steht er. Ein Satz wie er lapidarer nicht sein könnte. Ich lese ihn immer und immer wieder. Und dabei mach ich mein Schriftstellergesicht. An dem muss ich auch noch arbeiten. Aber wie macht man ein Exschriftstellergesicht?“ In 40 Jahren hat Hahn nun 40 Bücher und an die 20 Arbeiten für Hörfunk und Bühne veröffentlicht. Im November 2017 dann der Beinbruch. Zeit der Reflexion. Hahn hält inne, zieht Bilanz. Es ist eine Zeit der kalendarischen Vermerke, handwerklichen Überlegungen und poetischen Entwürfe. Und er kommt zu einem Entschluss: Er will sich vom Literaturbetrieb zurückziehen. Und das Schreiben? Nein, das Schreiben kann und will er nicht aufgeben. Aber gibt es ein Schriftstellerleben ohne Literaturbetrieb? Täuscht er uns? Täuscht er sich selbst? Hahn gelingt ein beeindruckendes, weil authentisches Lebens- und Berufsbild von einem, der sich der Literatur verschrieben hat. Was passiert, wenn sich die Literatur in das Leben drängt? Oder umgekehrt: das Leben in das Schreiben? Was ist, was wäre das Gemeinsame? Leben und Literatur suchen das Miteinander in Gegensätzen: Demut – Unmut. Größenwahn – Minderwertigkeitskomplex. Nähe – Ferne. Als eines seiner Vorbilder nennt Friedrich Hahn Bazon Brock, den Künstler ohne Werk, den Generalist mit dem speziellen Drall ins Nebenhinaus. Da, wo es noch das Staunen gibt.
Aktualisiert: 2023-02-08
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Artistengepäck

Artistengepäck von Amanshauser,  Gerhard
Der Maskenball Der Zug hielt in der letzten Station vor der Hauptstadt. Der junge Mann stieg aus, um für seine Reisegefährtin eine Erfrischung zu kaufen. Er hatte die Ankündigung eines verkürzten Aufenthalts in dieser Station überhört und war zu weit zurückgegangen; so mußte er jetzt, einen Papierbecher in der Hand, in den hintersten Teil des Zuges einsteigen, da schon das Abfahrtssignal gegeben wurde. Mühsam arbeitete er sich durch die überfüllten Waggons nach vorne, schwankte hin und her, be­spritzte die Hose eines Reisenden mit Zitronensaft, mußte Beschimpfungen über sich ergehen lassen und stieß schließlich auf die versperrte Tür eines Postwa­gens, die es ihm unmöglich machte, in den vorderen Teil des Zuges zu gelangen. Sie, die er nicht erreichen konnte, warf ungeduldige Blicke durch das schläfrige Zeitungsgeblätter ihres Ab­teils. Da sie von der Existenz des Postwagens nichts wuß­­te, glaubte sie, er habe die Abfahrt versäumt und sei zurückgeblieben. Mehrmals mußten sich verschiedene Beine, die unter den Zeitungen sich ausstreckten, unlustig zurückziehen, um ihr den Weg auf den Gang frei­zumachen. Sie sah nach dem Schaffner aus, doch der zeigte sich nicht; wahrscheinlich hatte er keine Lust mehr, sich knapp vor dem Ziel durch die überfüllten Waggons zu drängen. Im Hauptbahnhof angekommen, verließ sie eilig den Zug, um irgendeinen Bahnbeamten dazu zu bewegen, das Gepäck des jungen Mannes in Verwahrung zu nehmen. Wie ein verlorenes Kind steuerte sie mit ihrem Koffer durch die hereinflutende Menge; einer schickte sie zum andern, bis sie schließlich mit einem mürrischen Schaffner, dem sie den Fall erzählt hatte, auf dem leer gewordenen Bahnsteig zurückkam. Zu ihrem Schrecken war das Abteil leer, das Gepäck verschwunden. Sie behauptete, es sei gestohlen worden, doch der Schaffner erriet die Sache mit dem Postwagen und über­zeugte sie mit einer gewissen höhnischen Freude. Beschämt eilte sie zurück in die Halle – vergebens. Sie är­­­ger­­te sich bei dem Gedanken, er könne geglaubt ha­ben, sie sei einfach davongelaufen. Er wäre zweifellos noch auf dem Bahnsteig gestanden, wenn er nicht eine Frau in den Untergrundbahnhof verfolgt hätte, die er in seiner Aufregung für die richtige hielt, bis er schließlich, als er sich im fahrenden Wag­gon endlich bis zu ihr vorgedrängt hatte, erkennen muß­te, daß es ganz eine andere war. In der ersten Sta­tion stieg er aus, eilte zum gegenüberliegenden Bahn­steig, mußte, wie es ihm schien, endlos warten, und fuhr dann zum Bahnhof zurück. In der Dunkelheit sausten die Lichter eines Gegenzugs vorüber; doch konnte er nicht erkennen, daß dort aus dem Fenster ein Gesicht blickte, in dem Wut und Weinen kämpfte. Auch sie konnte nichts erkennen, nichts als verschwom­mene Lichter. Und so gut gelaunt war sie abgereist! Neben ihr im Koffer die blaue Maske mit den schwarze Reiherfedern, das blaue Kostüm, das sie selbst ge­näht hatte, voll Erwartung auf den großen Maskenball. Es ist unmöglich, in einer Millionenstadt jemand zu finden, von dem man nichts weiß außer dem Vor­na­men. Nichts? Ein gewisser rätselhafter Ausdruck der Augen, der sich so deutlich in der Erinnerung spiegelt, bedeutet der nicht mehr als Name und Wohnung? Wer sich davon leiten und nicht ablenken ließe, käme der nicht wie ein Schlafwandler zum Ziel? Er läutete noch am selben Abend bei einem Freund. Der begrüßte ihn im Kostüm eines Clowns, mit weiß­ge­pudertem Gesicht und rotgeschminkten Lippen. Er wur­de in eine Gesellschaft geführt, die sich gerade ko­stümierte. Man hatte ausgiebig dem Wein zugesprochen. Jemand stülpte ihm über den Kopf eine große Mas­ke in Form eines Affenschädels, die vermutlich deshalb übriggeblieben war, weil sie heiß und beengend sein mußte. Vergeblich wehrte er sich dagegen; alle fanden ihn originell, und man brachte ihm einen Stroh­halm, mit dessen Hilfe er Wein trinken konnte. Er sprang dann im Zimmer herum, steckte den Strohhalm in alle Gläser und hatte bald den Stimmungsgrad er­reicht, den die Gesellschaft verlangte. Danach fuhr man zum Ball. Dort herrschte schon reges Getriebe. Der Affenschädel behinderte allerdings die Sicht; außerdem zwang er seinem Träger eine Rolle auf, die ihm nicht lag. Doch es war noch zu früh, die Maske abzunehmen; so verlegte er sich aufs Trinken. Schließ­lich bemerkte er eine blau Maskierte, die nicht weit von ihm an einem Tisch saß, auf dem halbvolle Gläser und Aschenbecher herumstanden, zurückgelassen von einer Gesellschaft, die sich in den Tanz zerstreut hatte. Die vorgebeugte Gestalt zwischen den leeren, achtlos verstreuten Sesseln drückte Verlassenheit aus. Über die Augen fiel schwarzes Gefieder. Ihren schlanken Körper umhüllte ein blauer Stoff, der sich wie bei Tänzern eng anschmiegte. Nichts war unpassender, als sich dieser Gestalt mit einer Affenmaske zu nähern. Sie folgte ihm zwar zum Tanz, doch gab sie sich wenig Mühe, ihre Gleich­gül­tigkeit zu verbergen. Er führte sie also zurück und fragte, ob sie Durst habe. Sie wollte Zitronensaft. Er wandte sich zum Buffet, in der Absicht, sich dort gleichzeitig seiner Maske zu entledigen. Es herrschte aber ein solches Gedränge, daß es lange dauerte, bis er schließ­lich, von der Maske befreit, mit einem Glas Zitro­nen­saft wiederkam. Der Platz, auf dem er die blau Maskierte zurückgelassen hatte, war leer. Er suchte ein wenig herum. Jemand stieß ihn an, so daß er die Hälfte seines Getränks ver­schüt­tete. Da gab er die Suche auf. Es lag ihm nicht viel an der blau Maskierten, die offenbar langweilig war und die man vorhin sicher nicht zufällig allein am Tisch zurückgelassen hatte. Er trank also selbst den Rest des Zitronensafts. Dabei fiel ihm ein, daß er an diesem Tag zum zweiten Mal Zitronensaft trank, obwohl er das Ge­tränk nicht mochte.
Aktualisiert: 2020-04-24
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