„Feuer, Feuer, die Synagoge brennt!“ Diese Nachricht verbreitet sich am 18. Februar 1881 wie ein Lauffeuer in dem hinterpommerschen Kleinstädtchen Neustettin. Das Unglück geschieht zu einer Zeit, als in Deutschland die antisemitische Agitation eine Hochblüte erlebt. Judenfeindliche Parteien verbreiten ungehindert ihre Hetzparolen. die besonders in den deutschen Ostprovinzen auf fruchtbaren Boden fallen. Erst wenige Tage vor dem Unglück hat in Neustettin der antisemitische Berliner Krawallpolitiker Ernst Henrici eine seiner üblen Brandreden gegen die Juden gehalten, das Klima des Hasses erreicht den Siedepunkt.
In diese Stimmung fällt der Brand des jüdischen Gotteshauses wie der Funke in ein Pulverfaß, die Emotionen kochen über. Erbitterte Juden bezichtigen die christlichen Fanatiker der Brandstiftung, Christen im Gegenzug ihre jüdischen Mitbürger, die eigene Synagoge angezündet zu haben. In Neustettin und ganz Hinterpommern kommt es zu antisemitischen Ausschreitungen. Nachdem die behördlichen Ermittlungen zunächst keine greifbaren Hinweise auf einen Täter ergeben haben, setzt die antisemitische Bevölkerung Neustettins durch Verbreitung vager Verdächtigungen und Gerüchte alles daran, den ungeliebten Juden selbst die Brandstiftung ihrer Synagoge in die Schuhe zu schieben. Im Oktober 1883 schließlich erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen fünf Mitglieder der Neustettiner jüdischen Gemeinde. Es folgt ein aufsehenerregender Sensationsprozeß, der in der Presse des In- und Auslandes Schlagzeilen macht.
Dieser Fall, der auch noch heute aufgrund mancher aktueller Parallelität der Ereignisse von Bedeutung bleibt, ist nicht nur eine spannende Kriminalgeschichte, bei welcher der Leser bis zum Schluß um den Ausgang des Verfahrens rätselt, sondern das Geschehen vermittelt auch höchst interessante Einblicke in die politischen und sozialen Zustände Deutschlands, Hinterpommerns und Neustettins ausgangs des vorigen Jahrhunderts. Ferner zeigt der Prozeß in eindringlicher Anschaulichkeit die juristische und psychologische Problematik der Richtigkeit von Zeugenaussagen; und mit beklemmender Anschaulichkeit wird schließlich deutlich, daß der im Nazideutschland in radikalster Konsequenz praktizierte Antisemitismus nicht über Nacht entstanden ist, sondern dessen Ursache unter anderem auch in der bereits lange zuvor von Teilen der Bevölkerung offen praktizierten und tolerierten Judenfeindschaft begründet liegt.
„Der Prozeß um den Brand der Synagoge in Neustettin“ besteht aus mehreren Teilen: In der „Vorgeschichte“ wird zunächst das Entstehen der Antisemitismusbewegung im Deutschen Kaiserreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts skizziert und anschließend das Neustettiner Lokalgeschehen vor und nach dem Synagogenbrand anhand zeitgenössischer Quellen nachgezeichnet. Besonderen Wert wird hierbei auf den Beitrag des fanatischen Rassenantisemiten Ernst Henrici gelegt, der heute fast in Vergessenheit geraten ist.
Es folgt die auf zeitgenössischen Prozeßberichten beruhende Wiedergabe des eigentlichen Strafverfahrens, das bis zum Reichsgericht ging.
Im Anhang schließlich wird unter dem Titel „Biobibliographische Anmerkungen“ Lebensweg und literarisches Werk von drei interessanten Schlüsselfiguren des Geschehens dargestellt, nämlich der beiden bekannten Berliner Rechtsanwälte Erich Sello und Hermann Makower sowie des geistigen Miturhebers der hinterpommerschen Vorfälle Ernst Henrici, der sich auch als Dichter versuchte und später als unsteter Kolonialabenteurer in Togo und Amerika hervortrat.
Die abschließende „Bibliographie von Einführungsliteratur zum Antisemitismus in Deutschland ausgangs des 19. Jahrhunderts“ will den Einstieg bieten in ein tieferes Studium dieses uns heutigen Zeitgenossen vielfach unbekannten Phänomens vor hundert Jahren.
Das 329seitige Buch ist mit Abbildungen versehen. Das Titelbild wurde von dem Schifferstadter Künstler Giuseppe Sinigoi gestaltet.
Weitere Informationen unter:
http://www.gehove.de/publikat/infosyn.html
Aktualisiert: 2020-08-28
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