Was macht ein großes, buntes Bild von Maria, die den Balken einer überdimensionalen Waage niederdrückt, in einer evangelischen Kirche? Und ein Schwein, das fröhlich einen Dudelsack bläst? Was tut dort ein himmlischer Hofstaat und der Abgrund der Hölle? Und eine Reihe der Apostel und der heilige Hubertus? Sie alle künden von einer Bilderfrömmigkeit, die die Reformation mit der alten Kirche verbindet – und noch häufiger beide trennt. Wegen der zahlreichen Bilder heißen fünf bergische Kirchen in den Orten Müllenbach, Lieberhausen, Marienberghausen, Marienhagen und Wiedenest die „Bunten Kirchen“. Es sind große, unübersehbare Wandmalereien, es sind Bilder, die faszinieren, die irritieren, die Rätsel aufgeben, die zur Stellung herausfordern. Und die fünf evangelisch gewordenen Gemeinden haben sich in der Tat nach allen „Registern der Kunst“ mit dieser Tradition auseinander gesetzt: Die Wandgemälde wurden kommentiert oder (seltener) einfach gelassen, sie wurden übertüncht und wieder freigelegt, restauriert und wieder „entrestauriert“. Mit diesen Auseinandersetzungen, deren Spuren die Bilder noch tragen, erzählen die Bunten Kirchen mehr als ein halbes Jahrtausend Kirchengeschichte: Sie berichten von einer mittelalterlichen Frömmigkeit und den theologischen Reflexionen zum Umgang mit diesen Bildern in Zeiten der Reformation im 16. Jahrhundert. Aus ihnen kann gelesen werden, dass die lutherische Theologie zu anderen Lösungen kam als die calvinistische (auch „reformiert“ genannte) Theologie. Denn die Lutheraner ließen die Bilder bestehen und traten mit ihnen in eine theologische Debatte ein. Die Reformierten dagegen setzten radikal die Bilderlosigkeit, diese immer bedrohte Theologie, um und ließen die Malereien hinter einer neuen weißen Oberfläche verschwinden – zunächst einmal. Manchmal blieb es auch nicht bei dieser Entscheidung des Entweder-Oder. Manchmal berichten die Gemälde auch von den Entscheidungen lutherischer Gemeinden im 19. Jahrhundert, die Bilder nun doch verschwinden zu lassen, wenn auch, wie zu zeigen ist, andere Motive den Ausschlag gaben als die Reformation. Oder sie berichten vom Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts, der das Alte um des Alten willen zeigen wollte, der die Bilder unter den Putzschichten wieder hervorholte und die Gemeinden vor die Frage stellte, wie sie mit dieser theologiefreien Entscheidung theologisch umgehen sollten. Alle diese Debatten treten zu Tage, wenn die Wandmalereien der „Bunten Kirchen“ aus ihrer Geschichte heraus betrachtet und interpretiert werden – und dabei wird sich jede Kirche als Sonderfall erweisen. Aber hinter den Wandmalereien und den Menschen, die sie deuteten, steht mehr: Es stehen Kirchgebäude, die bis in die frühmittelalterliche Siedlungsphase reichen, stehen die Stifte St. Severin in Köln und das Cassiusstift in Bonn, zu deren Zehntgebiet sie gehörten, steht eine Wirtschaftsgeschichte mit Erzvorkommen, die das Bergische Land zu Wohlstand brachten. Und die Bilder haben einen Bezug zur politischen Geschichte, in der vor allem vier Geschlechter die Geschicke dieser Region bestimmten: die Herren von Berg, von Sayn, von der Mark und von Schwarzenberg. Und natürlich spiegeln sie die Geschichte der christlichen Ikonographie wieder, so dass das Bildprogramm der Bunten Kirchen bis in die Antike zurückgeführt werden kann.
Diese Dimensionen sind bei der Betrachtung der „bunten Bilder“ in diesen bergischen Kirchen zu berücksichtigen. Es wird nicht immer möglich sein, jede dieser Ebenen in all ihren Facetten zu beleuchten; oft fehlen auch die Quellen. Aber sicher ist, dass die Wandmalereien ohne die politischen, theologischen oder kunsthistorischen Kontexte wie verloren an den Kirchenwänden „kleben“, zu rein ästhetischen Objekten werden würden. Es wird daher der Versuch unternommen, die Schätze der Wandmalereien der fünf Bunten Kirchen in ihrer Vielschichtigkeit zu entschlüsseln – umso auch ein wenig die Geschichte des Bergischen Landes zu lesen.
Aktualisiert: 2018-07-11
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