Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der Bildenden Kunst des Mittelalters

Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der Bildenden Kunst des Mittelalters von Horch,  Caroline
Bekanntlich gab es im Mittelalter so gut wie keine „autonome“ Kunst, insofern sie stets an bestimmte Funktionen gebunden war. An Memorialbildern können Funktionen von „Kunst“ im Mittelalter besonders gut gezeigt werden, wenn die meist zahlreichen Quellen genutzt werden. Die Historikerin und Kunsthistorikerin Caroline Horch koordinierte und integrierte in ihrer Nimwegener Dissertation historische und kunsthistorische Ansätze: „Die ganze Dimension der Aussagemöglichkeiten der Memorialbilder kann nur dann erfasst werden, wenn man sich auf den Versuch einlässt, die Bildwerke wieder in das Geflecht der historischen, religiösen, politischen und künstlerischen Beziehungen 'einzuweben', in dem sie entstanden sind und in dem sie ihren Platz hatten.“ Aufgrund dieser Methode, die Kunstgeschichte als Geschichtswissenschaft versteht, konnte sie zahlreiche neue Vorschläge zur Lösung bis dato offener Fragen, u.a. Datierungsfragen, machen. Vor allem wird deutlich, dass Form, Funktion und Inhalt von Memorialbildern in einem sich ständig verändernden Verhältnis zu einander standen. Das Memorialwesen war im Mittelalter mehr als das, was heute unter Totengedächtnis verstanden wird: es umfasste eine Vielzahl von (unter anderem sozial-caritativen) Verpflichtungen, welche die Stifter für die Zukunft in Gang setzten. Neben liturgischem Gedenken einer Gebetsbruderschaft durch Fürbitten mit Namensrezitation sowie Armenspeisung umfasste Memoria auch die Vergegenwärtigung des Verstorbenen sowie den praktischen Umgang mit Bildwerken. Ein Memorialbild vermochte aber weitaus mehr zu leisten als nur die Vergegenwärtigung des Verstorbenen. Die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten war eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit, und die Verpflichtung zur Memoria war integrativer Bestandteil des Lebens. Nach der ausführlichen Betrachtung der historischen Grundlagen der Memoria untersucht Horch fünf teils sehr bekannte Bildwerke. Das Miniatur-Bild Bischof Ottos von Bamberg im Michelsberger Nekrolog (bald nach 1139) diente unter anderem dazu, den Anspruch des Michelsberger Konvents auf Ottos Heiligsprechung zu dokumentieren. Am „Cappenberger Kopf“ (um 1160) zeigt die Autorin den Funktionswandel von Memorialbildern. Hier wird deutlich, dass nur die konkrete Verwendung ein Werk wirklich zum Memorialbild machte. Das Kopfbild wurde erst Ende des 19. Jh. als Bild Kaiser Friedrichs I. Barbarossa erkannt. Das Verständnis der Naumburger Stifterfiguren als Memorialbilder ermöglicht zugleich Antworten auf die Fragen „Was verbindet die Gemeinschaft der zwölf Naumburger Stifterfiguren?“ und „Aus welchem Grunde wurden sie an dieser Stelle, im Westchor des Naumburger Domes, errichtet?“ Für eine Datierung des Bildnisses Herzog Rudolfs IV. von Österreich in Wien auf um 1360 erschließt Horch gute Gründe, vor allem zeigt sie aber, dass das Memorialbild auch jene Gemeinschaft der Lebenden, die mit der Memoria betraut war, legitimieren und ihren Fortbestand sogar materiell sichern helfen konnte. Am (ehemaligen) Bild Bischof Gebhards II. (†995) im Kloster Petershausen bei Konstanz zeigt Horch, dass es entbehrlich wurde, nachdem Gebhard heiliggesprochen worden war, denn nun bedurfte er der Memoria nicht mehr.
Aktualisiert: 2019-01-08
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