Die Wahrnehmung des Fremden, genauer, eines Menschen nichtdeutscher Herkunft in Deutschland, reduziert sich meist auf ein Wissen, das über Medien vermittelt wird und weniger aus eigenen Erfahrungen durch interkulturelle Kontakte erworben wird.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der medialen Konstruktion des Fremden, des Türken im Speziellen, in den Medien und auch hier insbesondere in deutsch-türkischen Filmen, seit Beginn der Arbeitsmigration nach Deutschland in den 1960er Jahren bis zur Gegenwart.
Wie hängt Identität mit Migration zusammen? Eigentlich geht es um Ausländer, die keine sind; wo gehören deutsche Türken hin?
Fatih Akın, Ayşe Polat, Neco Çelik und Sinan Akkuş gehören zu einer Reihe von Filmemachern, die als Lichtblick am deutschen oder deutsch-türkischen Film-Himmel gelten. Durch deren ethnischen Hintergrund werden ihre Filme oftmals als Migrantenfilm klassifiziert, einfach weil sich die Regisseure in irgendeiner Art und Form mit dem Thema Migration und Integration auseinandersetzen.
Hier wird betrachtet wie sie ihre gewählten Motive und Themen im Lebensraum Deutschland konzipieren und charakterisieren. Dabei spielt die vom Regisseur intendierte Blickkonstruktion, also die Perspektive, die der Film dem Zuschauer nahe legt, eine große Rolle. Wie gehen die Regisseure mit Stereotypen um? Ändern sich hier Identitätsbilder, oder sind diese gleich bleibend?
Mediale Wirklichkeitskonstrukte arbeiten vor allem mit Bildern und visuellen Vorstellungen, die die Menschheit seit Kindesalter als Vorurteile mit sich herum trägt. Medien verstärken und erzeugen selektierte und bereits interpretierte symbolische Wirklichkeiten für unsere visuell geprägte Welt. Sie erhärten diese Bilder, die wir von Fremden haben. Somit werden Stereotypen erzeugt, also sehr verallgemeinerte, einseitige Darstellungen. Selbst ein ratsames natürliches Misstrauen gegenüber den Medien kann dem nicht standhalten.
Negative Stereotypisierungen sind an der Tagesordnung. Dabei werden ethnische Minderheiten oftmals als zu diskriminierende und auszugrenzende oder ausgrenzende Wesen gezeigt, als Opfer und Problemgruppe, bedrohlich und kriminell. Die Stereotype werden ins mediale Bild übersetzt, indem verallgemeinerte, einseitige Darstellungen visualisiert und konstruiert werden.
Nachrichten berichten ereignisreiche Geschehnisse selten aus der Sicht oder im Interesse der Betroffenen und meist gibt es auch keine O-Töne. Solche negativen Nachrichten können Angst hervorbringen und die Einstellung des Zuschauers mitunter beeinflussen. Ausländer werden dadurch zum Auslöser eines Problems gemacht. „Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland werden als Sorgenkinder betrachtet, die ihrer einheimischen Umgebung Schwierigkeiten machen und dadurch Aufmerksamkeit finden.“ Medien entwerfen Weltbilder, analog zu den Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung: die Standardisierung der Wahrnehmung als „Schubladen-Denken“ und die Definition sozialer Situationen einer unübersichtlichen Gesellschaft.
Türken in Deutschland haben sich noch immer nicht von Vorurteilen befreien können. Aber wie bekommt man konservierte Bilder aus den Köpfen der Menschen? Wie macht man aus Ausländern Inländer? Der Deutsch-Türke sollte endlich diese Bindestrich-Identität ablegen und als Deutscher mit türkischen Wurzeln, wie damals die Beutetürken, in Deutschland weiterleben dürfen. Denn, Die Stimmung vieler Deutsch-Türken wird immer gereizter. Mittlerweile löst allein die Frage „Woher kommst du?“ einen gigantischen Aggressionsstrom aus. „Zeiten ändern sich und manchmal in die richtige Richtung!“ , sagt zumindest Cem Özdemir, der Hoffnungsgeber der Grünen.
Migranten haben auch heutzutage nur wenig Anteil am Diskurs über ihre Rolle in der deutschen Gesellschaft. So sind deutsche Mainstream-Medien angelegt. Der Blick von außen dominiert noch immer; der Fremde bleibt und ist ambivalent. Fernsehen und Printmedien funktionieren weiterhin über Klischees, weil Auflagen existieren, die noch nicht wegzudenken sind, schließlich ist man ja abhängig von Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Das muss genutzt werden solange wie es Schubladendenken gibt, die dem zuzuordnen sind. Klischees vom fanatischen Moslem und der türkischen Importbraut erfüllen sich noch immer. Ehrenmorde sind interessanter als „migrantische“ Alltagsgeschichten.
Damit sich aber Meinungsbilder in der Allgemeinheit ändern können, muss integrativer berichtet werden. Auch sollten mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien arbeiten, doch sind es gerade mal 1/50, die hier tätig sind, und der Quotenausländer im TV ist immer noch gang und gäbe. In Film, Literatur, Kunst, Politik und Wirtschaft gibt es in Deutschland türkischstämmige Deutsche, die Karriere gemacht haben. Bei ihrer Suche nach einem individuellen Platz in der Gesellschaft scheint für Deutschtürken die ethnische Zugehörigkeit keine bedeutende Rolle mehr zu spielen. Die Prägung durch zwei oder mehr Kulturkreise ist für sie Normalität. Ziele und Lebensweisen von Türken und Deutschen haben sich angenähert und angeglichen und viele Deutschtürken denken sogar weiter als nur bis zum deutschen Horizont. Sie tun auch nicht mehr das, was von ihnen erwartet wird und was man von ihnen kennt.
Der Begriff „Türke“ klingt fast anklagend und für viele wie eine Beleidigung, die einen Stempel aufdrückt und eine Rolle zuschreibt, die man ablehnt. Man ist einfach viel mehr und eigentlich alles andere, als ein Mitglied einer radikal islamischen Vereinigung. „Die Türken“ sind heute nicht nur im gesellschaftlichen Mainstream angekommen, sondern auch im filmischen.
Die in Deutschland produzierten Filme der 70er und 80er, bis in die 90er Jahre hinein, die das Leben von Migranten darstellen, sind allesamt klischeebehaftet. Türken wurden als temporäre Gäste angesehen, sind aber mit dem Heranwachsen der nachfolgenden Generationen und ihren Integrationsproblemen endlich als Teil der deutschen Gesellschaft realisiert und akzeptiert worden. Empfindliche Berührungspunkte wir es noch eine Weile geben. Dazu zählen die Religion und einige Traditionen, die befremdlich wirken und sich nicht mit den deutschen vereinbaren lassen, wie z.B. das Beschneidungsthema in Meine verrückte türkische Hochzeit oder Evet, ich will. Es handelt sich teilweise um unvereinbare grundlegende Lebensansichten, die zu Konflikten führen können. Die Zeiten, als stereotype Bilder, den Zuschauer an streng isolierte Orte, mit mysteriösen islamischen Bildern führen, sind eigentlich vorbei oder sollten sie zumindest. Schlechtes Deutsch, fremder Glaube und Armut im Ghetto weichen realistischeren Bildern.
Die Herkunft der Filmemacher ist in ihren Filmen zwar präsent, aber nicht nur darauf zu reduzieren, denn sie bedienen ebenso verschiedene Genres mit ihren Filmen. Die türkische und deutsche Sprache gehört zur Normalität der Filme, da sie in einem türkischen oder zumindest multikulturellen Milieu spielen – und damit sind die deutschen Teilkulturen mit eingeschlossen – und realistischere Alltagsgeschichten zeigen. Fraglich ist, ob das ökonomische Interesse an Türken verantwortlich ist oder es einfach Zeit ist die Parallelwelt der Türken aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten? Zumindest haben sich die Angehörigen der nachfolgenden Migrantengenerationen fast unbemerkt selbst befreit. Das ist daran zu bemerken, dass sich Künstler von dem Zwang befreit haben politisch korrekt zu sein.
Aufgrund der Tatsache, dass deutsch-türkische Schauspieler in Deutschland nur klischeebehaftete Rollen bekommen, suchen sie sich immer öfter Arbeit in Istanbul. Dort werden sie noch herausgefordert. Die türkische Filmindustrie entwickelt sich konträr dazu. Migration spielt heute kaum noch eine Rolle und sie bedienen mit ihren Filmen sehr unterschiedliche Genres. Rollenbeschränkung auf Kleinkriminelle, Putzfrauen, mysteriöse Exotinnen und Gemüsehändler findet man hier zumindest nicht. Die Filme werden international vertrieben und orientieren sich dabei am amerikanischen Mainstreamkino. Sie stellen ein Türkeibild dar, das hierzulande in der medialen Wirklichkeit nicht existiert. In Deutschland fehlt noch die Selbstverständlichkeit für dieses Thema. Das Schubladendenken in den Kategorien Ethnie, Nation, Kultur lässt sich in den meisten Bereichen unseres Lebens noch nicht abschaffen.
In einem Interview, dass „Tiger“ mit dem Schauspieler Ismail Deniz in seiner „Süper Tiger Show“ geführt hat, sagt dieser zu diesem Thema:
„Ich wollte ja Schauspieler werden, um nicht Zuhälter und Drogendealer zu werden [...] Dann willste Schauspieler werden, machst ’ne Ausbildung oder machst keine [...] was wirste dann: Du wirst Verbrecher oder Ehrenmörder im Fernsehen [...] und wenn’s ’ne gute Rolle gibt für Türken, dann wird die leider von Deutschen gespielt. Die sind wohl auch die besseren Türken.“
In Deutschland werden die Angebote der Rollen im Fernsehen nur ganz allmählich differenzierter. Nursel Köşe hat dasselbe Schicksal wie viele türkische Schauspielerinnen jenseits der 40, sie dürfen in Deutschland nur noch die Kopftuch-Mami spielen (Anam). In Auf der anderen Seite lässt Fatih Akın sie eine Prostituierte spielen, „weil sie so sexy ist“, sagt er. Mehmet Kurtuluş hat die Rolle des Cenk Batu als Tatort-Kommissar türkischer Herkunft versteht sich, was noch als exotische Randerscheinung bezeichnen werden kann. Der Frauenschwarm Erol Sander war schon Kriminalhauptkommissar Sinan Toprak, Kommissar Mehmet Özakın in Mordkommission Istanbul und Durmuş Korkmaz, ein türkischer Unternehmer im Tatort. Er war aber auch schon Peter, Frank, Phillippe Russel und Winnetou. Es scheint, dass gutes Aussehen und Internationalität Rollenangebote ermöglicht, die nicht klischeebelastet sind.
Dass Türken Rollen besetzen, in der sie als Vertreter einer sozialen Schicht der deutschen Gesellschaft fungieren, zählt nicht unbedingt zur Normalität. Sie besetzen weiterhin mehrheitlich ethnische Rollenprofile, wie z.B. Obst- oder Dönerverkäufer, gewaltbereiter Macho-Ali und unterdrückte Kopftuch-Ayşe. So werden kontinuierlich Klischees von vorgestern bedient. Die Vermischung der Kulturen ohne klare Abgrenzungen als ein Stück Alltagsnormalität zu betrachten liegt hoffentlich nicht mehr in allzu ferner Zukunft.
Das Bild des Türken im Film dagegen hat sich verändert. Zumindest werden Klischees von türkischen Filmemachern wenn überhaupt nur noch in Komödien benutzt. Sie sprechen über sich selbst und sie lachen auch über sich selbst. Sie alle streben danach das Klischee zu überwinden und zum selbstbewussten Deutschen türkischer Herkunft anerkannt zu werden.
Der postmigrantische Film der letzten Jahre ist mainstream-tauglich und diese Tatsache verliert fast schon wieder an Bedeutung, weil der „Türke“ schon über diesen Problemen steht und gerne nur noch Filme machen möchte, mit Themen, die darüber hinausgehen. Für viele Filmemacher, ist es heute nicht mehr wichtig Mainstream-Kino zu machen. Mainstream-Kino, das sind Filme für die Masse; es bedeutet Kommerz.
Trotzdem ist der Anspruch ein Millionenpublikum anzulocken und das zu zeigen, was die Mehrheit will, nicht weit verbreitet. Regisseure mit migrantischem Hintergrund haben sich durch ihre Filme emanzipiert und zum Teil etabliert. Die Filmer wollen als solche anerkannt werden und machen daher auch mal Spartenkino. Jenseits des Mainstreams zu arbeiten ist Underground und „angesagt“.
Ein Film voller skurriler Ereignisse und überzeichneter Klischees, der auf Mainstream keinen Wert gelegt hat, ist Schwarze Schafe.
Darin werden u.a. drei junge Deutsch-Türken gezeigt, die unter allen Umständen Sex haben wollen, egal wo und mit wem. Aber wen wollen sie eigentlich beeindrucken mit ihrer plumpen Anmache, ihrem Playboy-Shirt oder einem Großdruck eines Leoparden-Gesichts auf einem Proletenhemd? Der KitKatClub will die Jungs nicht: falsche Sprache, falsches Aussehen, falsche Klamotten. Die Mädels auf der Goa-Party am Müggelsee, sind auch unter Drogen nicht zu haben und beschimpfen die drei als „Kanaken“, die angeblich ein Portemonnaie geklaut hätten. Wie kommen die eigentlich dazu? Aber der Film will gerade provozieren.
Ein Film über Verlierer, Deprimierte, Proleten, deutsche Schnösel, Klugscheißer, Perverse, Satanisten und Kranke – eben der normale Berliner Durchschnitt. Sie werden nicht als mitleiderregende Milieufiguren gezeigt und werden für ihre Taten, die sogar bis ins Lächerliche abdriften, in keinerlei Weise bewertet.
Wenn es um Darstellungen geht, in denen Klischees aufgebrochen werden sollen, kann es auch von Vorteil sein, auf einen Schlag ein großes Publikum damit erreichen. Also kann Mainstream auch wichtig sein für deutsche Filmemacher mit ethnischer Herkunft. Wenn die Erfahrungen der eigenen Herkunft, auch wenn dafür die political correctness für einen guten Zweck über den Haufen geworfen werden muss, nutzbar gemacht werden kann, bevor es andere wieder auf eine falsche Art und Weise tun, ist das doch nur legitim.
Filmemacher türkischer Herkunft sehen „den Fremden“ aus einem anderen und weiteren Blickwinkel, als ihre deutschen Kollegen bzw. widmen sie sich anderen Themen. Der Gesinnungswandel der nachkommenden Generationen der einstigen Gastarbeiter bewirkt ein Umdenken in sich und hoffentlich auch in den Köpfen der deutschen Betrachter.
Die Befreiung von veralteten Klischees und Rollenerwartungen, eine neue Selbstverständlichkeit und Normalität, die die Identität des Fremden, abseits der Scheinmoral der Gesellschaft und die Glaubwürdigkeit der Medien, annimmt, statt sie zum Problem zu machen, gehört auch auf die deutsche Tagesordnung.
Zum Abschluss noch eine Anmerkung, um den Umgang mit der gegenwärtigen Generationen zu erleichtern: die heutigen Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund fühlen sich als Deutsche, Berliner, Europäer oder Weltenbürger. Bei Fragen, die die Wörter Kopftuch, Schweinefleisch und Alkohol beinhalten, könnte manch einer die Augen verdrehen, denn viele bemühen sich um ein deutsches Image und wollen „normal“ behandelt werden.
„... auch Deutsche (kriegen) ohne weitergehende Sprachkenntnisse ihr „Good Morning“, „Buona sera“, „Bon jour“, ihr „Bye-bye“, „Ciao“, „Au revoir“ hin, türkische Entsprechungen hingegen sind nicht geläufig.“ Es wird Zeit, dass „Merhaba“ genau so alltäglich klingt und andere Lebenswelten und kulturelle Unterschiede in einer Gesellschaft als Bereicherung betrachtet werden.