Metamorphosen in Gewebe und Geflecht
Singen heißt mich das Herz von Gestalten, verwandelt in neue
Leiber. Ihr Götter, gebt, habt ihr doch auch sie einst verwandelt,
Gunst dem Beginnen und leitet mein stetig fließendes Lied vom
ersten Ursprung der Welt bis herab zu unseren Tagen.
Publius Ovidius Naso
A-tisket a-tasket
A green and yellow basket
Ella Fitzgerald
Zu den ältesten handwerklichen Produktionsweisen gehören das Töpfern, das Weben und das Flechten. Diese Arbeitsformen stellen Dinge her, die etwas fassen, das elementar zum Leben gehört. Keramik umfaßt Speisen und Getränke, Gewebe umfaßt, in Form von Kleidung, den Körper. Geflecht, in der Form des Korbes, umfaßt möglicherweise den Menschen im Säuglingsalter, danach Erzeugnissse der Landwirtschaft.
Der Hahn im Korb ist die eine Seite, die andere die Taube, die als Opfer zum Altar in einem Korb getragen wird. Knollen, Kernobst, Eier werden in Körben gesammelt, wie überhaupt der Korb das Sammelgefäß schlechthin ist.
In der traditionellen neapolitanischen Lotterie werden die bezifferten Täfelchen oder Würfel in einem Korb mit enger Öffnung aufbewahrt. Die Zahl, die dem Spieler daraus in die Hand fällt, gewinnt oder eben nicht. Ein Glückskorb also, wie auch das Füllhorn der Fortuna mitunter als geflochten abgebildet wird.
Im Mittelalter bekam der abgewiesene Freier von der Braut einen Korb, in den er steigen sollte, um sich in die Kemenate heraufziehen zu lassen. Der Korb war bodenlos, und der Freier hatte das Nachsehen. Ein Schicksalskorb.
Körbe sind wie Textilien unverzichtbare Gegenstände der Zivilisation und haben eine gemeinsame Struktur. Weben und Flechten schaffen aus Fäden und Zweigen das Material für Requisiten des Alltags.
Wie man aus Ton nicht nur Gefäße, sondern auch Kunstwerke herstellen kann, so gilt das ebenso für Gewebe und Geflecht. Wie auch immer verändert, verfremdet, kaschiert Gewebe und Geflecht erscheinen, bewahren sie doch die Erinnerung an ihre archaische Funktion. Der funktionelle Ursprung des Materials bleibt gleichsam als Gedächtnis des Kunstwerkes in ihm bestehen.
Birgitta Hüttermann geht in der Bearbeitung von Gewebe sehr weit. Sie fügt Wachs hinzu. Eigentlich keine unbekannte Sache. Wir kennen Wachstuch, etwa als Decke für den Gartentisch oder als Plane über im Freien Gelagertes. Wir kennen die englische Wachsjacke, ein wetterfestes Kleidungsstück, dessen Stoff eine gewisse Starre aufweist, die Regen abweist und Wärme isoliert.
Hier aber geht es nicht um Funktion. Konkrete Kunst zeigt Strukturen, setzt Formen in Ausdruck und vermag das Auge zu täuschen. Die mit Bienenwachs oder Paraffin oder einem Gemisch aus beidem gestärkten Stoffteile werden zu Wachstafeln, die teilweise wie Marmor oder Granit wirken. Wo die textilen Elemente gefächert angeordnet sind, hält man sie für Ziegel eines Dachs oder Metallplatten.
Die Einzelteile der gefächerten Reliefs nennt die Künstlerin „Zettel“ in Anlehnung an jene Wunsch- oder Gebetszettel, die Gläubige an der Jerusalemer Klagemauer hinterlassen. Wo bleiben diese Zettel? Nun, irgendwann fallen sie zu Boden, werden zusammengekehrt und abtransportiert. Allerdings nicht in den Papiermüll, sondern sie gelangen an einen sakralen Ort, wo sie aufbewahrt der göttlichen Abarbeitung harren. Der religiöse Aspekt wird in diesen Arbeiten bewußt geöffnet.
Die auf großformatiger Fläche angeordneten Wachstafeln zeigen gefärbte Risse und Brüche, die wie Zeichen zu lesen sich anbietet. „Lesezeichen“ heißen vertikale Reihen solcher Tafeln.
Zur Enstehung dieser Formen sagt die Künstlerin:
Ursprung war zunächst die Batik, mit der ich in unterschiedlichen Facetten etwa 25 Jahre gearbeitet habe. Bei dieser Methode wird Wachs eingesetzt als Mittel der „Reservierung“ des Stoffes bei Färbevorgängen; der zuvor mit flüssigem Wachs behandelte Teil des Stoffes nimmt die Farbe des Färbbades nicht an. Zum Schluss wird das Wachs entfernt. Es verbleiben im gefärbten Stoff noch die charakteristischen, zufälligen „Bruchstruktur-Linien“, die bei den Färbungen durch Farbeintritt in den Stoff durch Brüche im Wachs hervorgerufen werden.
Birgitta Hüttermanns Kunst ist keine im Gebrauchssinn „angewandte“, sie ist meditativ. Die assoziativen Ausflüge des Betrachters in die Archaik von Gewebe und Wachs verleihen den Arbeiten nicht nur räumliche, sondern auch historische Tiefe. Mit Honig und Bienenwachs begegnen uns uralte Produkte, die, vor ihrer Herstellung durch Bienenzucht, zunächst nur gefunden und gesammelt wurden.
Sammeln führt unweigerlich zum Korb und damit zu Diana Stegmann. Sie macht als gelernte Korbflechterin „Angewandte Kunst“ im wahren Sinn. Sie flicht Weidenruten zu Korb-Wellen oder Wellen-Körben. Der Korb behält seine bergende, einen Innenraum schaffende Funktion und verschließt sich auch keineswegs seines einschlägigen Gebrauchs. Dennoch zeigt sich ein Eigenleben.
Die Welle setzt das Geflecht der Weiden in Bewegung, so wie die Zweige der lebenden Pflanze vom Wind gebeugt und gebogen werden. Nach außen haben die unbeschnitten überstehenden Enden eine abweisende Wirkung, die Stacheln gleichkommt. Diese Körbe scheinen nicht alles und jedes vereinnahmen zu wollen. Sie lassen den, der sie füllen will, zögern, ja zweifeln, ob einem derart widerständigen Korb einen Inhalt anzuvertrauen nicht riskant sei.
Barrikaden und Schützenwälle in den Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts, als noch Infanterie gegen Infanterie im freien Feld mit Bajonetten aufeinander loszog, waren durch Korbgeflechte befestigt. Wir sehen das dokumentiert auf zeitgenössischen Schlachtengemälden. In dieser militärischen Funktion zeigt sich eine andere Anmutung des Weidengeflechts als im Behaglichkeit ausstrahlenden Korbsessel.
Der Internet-Anbieter „Pflanzmich.de“ preist seine Ware an:
„Die Bindeweide ist eine ideale Bindeweidenart, die häufig von Weidenflechtern zur Herstellung von Körben, Zelten, Sesseln u.a. genutzt werden. Sie wächst sowohl an sonnigen, als auch an schattigen Orten auf allen Böden. Bei guter Pflege und idealem Standort wird sie bis zu 8 Metern hoch und selten bis 10 Metern. Die Bindeweide verzaubert mit ihren schlanken, aufrechten Ästen das Auge des Betrachters. An dieser Weide werden Sie viel Freude haben.“
Diana Stegmann beschreibt die Objekte „Basket wave“ so:
Das Rumpfgeflecht besteht aus eingesetzten, kurzen, paarweise geflochtenen ungeschälten Weidenruten, die gerade so viel verflochten werden, um zwischen den Staken Halt zu finden.
Im Inneren des Flechtkörpers schmiegen sich die Weiden an, nach außen abstehende Weidenspitzen kennzeichnen einen neuen Raum, eine Räumlichkeit zusätzlich zum Flechtkörper entsteht und beschreibt die Bewegung der horizontalen Staken im Objekt.
Dehnt sich nun die Form nach innen, liegen die Weidenspitzen ganz flach nebeneinander und am Flechtkörper an, wogegen sie sich an bauchigen Stellen abspreizen und abstehen.
Im Gesamtobjekt entstehen so Übergänge und Linien, eine Bewegung außerhalb des eigentlichen Körpers, ein Wechsel mit einer Licht- und Schattenwirkung.
Die Spitzen haben nach außen alle exakt die gleiche Länge.
Die geflochtene Gesamtform des Körpers ist in sich organisch und fließend. Es ergeben sich weiche Formen die Einbuchtungen und Ausbeulungen widerspiegeln.
Beide Künstlerinnen bringen den Gestaltwandel ihres Materials zur Geltung. Ihre Werke beleben den Raum, die Reliefs in flacher, die Weidengeflechte in ausgreifender und einnehmender Weise. So bildet das Ensemble der Objekte in der gemeinsamen Ausstellung einen harmonischen Gegensatz.
Jörg W. Gronius