Wissenschaftliche Publikationen, die Bundesregierung und die Medien verbreiten seit einigen Jahren, die Reallöhne der Arbeitnehmer heute seien nicht höher als vor 20 oder 25 Jahren. Die unteren 40% der realen Stundenlöhne seien sogar deutlich gesunken, während die oberen leicht zugenommen hätten. Diese Feststellungen – z.B. von Marcel Fratzscher (Präsident des DIW), einer DIW-Studie von Karl Brenke und Alexander Kritikos, einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation oder von Sahra Wagenknecht – blieben bisher unwidersprochen. Sie wären, falls sie stimmten, ein schlimmes Zeugnis für die Lohnergebnisse der Gewerkschaften.
Diese Aussagen sind jedoch falsch. Sie beruhen vor allem auf gravierenden statistisch-methodischen Fehlern bei der Bildung von Zeitreihen und auf Fehlinterpretationen von Daten. Dem wird in diesem Buch akribisch nachgegangen. So wird z.B. aufgezeigt, dass die Zeitreihen durch die rasant gestiegene Zahl der Teilzeitbeschäftigten der letzten Jahrzehnte massiv verzerrt sind, da deren niedrigere Verdienste den gesamtwirtschaftlichen Durchschnittslohn nach unten drücken, selbst wenn die Löhne aller Beschäftigten erhöht werden.
Der Verfasser hat ein Verfahren entwickelt und begutachten lassen, mit dem dieser negative Teilzeiteffekt ausgeschaltet werden kann. Danach ergibt sich eine deutliche Steigerung der Realverdienste und auch die Aussage, die unteren Löhne seien sogar gesunken, offenbart sich als Mythos. Statt dessen zeigt sich, dass es den Gewerkschaften auch in den letzten Jahrzehnten, die wegen der hohen Arbeitslosigkeit lohnpolitisch schwierige Zeiten waren, gelungen ist, die Arbeitnehmer angemessen am Wohlstandszuwachs der Gesellschaft zu beteiligen – der lohnpolitisch neutrale Verteilungsspielraum wurde weitgehend ausgeschöpft.
Aktualisiert: 2021-09-24
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In der Vergangenheit haben sich die zeitweiligen Abweichungen der Entwicklungen von Arbeitseinkommen und Kapitaleinkommen letztlich immer wieder ausgeglichen. Seit der Jahrtausendwende zeigt sich jedoch aufgrund der erheblichen Zunahme von atypischer Beschäftigung, rückläufiger Tarifbindung und gesunkener Mitgliederzahl der Gewerkschaften ein dramatischer Trend zulasten der Arbeitseinkommen. Die Dramatik der zunehmenden Unterausschöpfung des Verteilungsspielraums konnte nur durch das lohnpolitische Gegensteuern in der Krise 2008/9 etwas abgeschwächt werden.
Die Berechnung des jährlichen Verteilungsspielraums und seines Ausschöpfungsgrades wird ausführlich dargelegt. Dabei wird im Einzelnen der Nachweis erbracht, dass die übliche Lohnformel mit ihren Zuwächsen von Arbeitsproduktivität und Verbraucherpreisen den Verteilungsspielraum tendenziell zu hoch ausweist. Dennoch ist sie für die Lohnpolitik in vielen Bereichen unverzichtbar und hilfreich. Auch wird eine modifizierte Lohnformel vorgestellt.
Als ähnliches Verteilungsmaß werden die Arbeitseinkommen den Unternehmensgewinnen gegenübergestellt. Das starke Ungleichgewicht in der Entwicklung könnte durch eine verhältnismäßig geringe Erhöhung der Löhne wieder ins Lot gebracht werden.
Aktualisiert: 2021-09-28
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