Groteskenspiegel

Groteskenspiegel von Gerresheim,  Bert, Roemer,  Werner
Karlheinz Nowald aus Außenwelt – Innenwelt, Spiegel – Zerrspiegel, Etüde mit Zitaten In den Zeichnungen und Plastiken von Bert Gerresheim wird Lebenswirklichkeit und Erfahrung, Gesehenes, Ge- und Erlebtes, Gewolltes, Vorgestelltes und Geträumtes vexierend gespiegelt und im Bildwerk gebannt. Dabei erscheint natürlich keine klassische Welt. Eher eine labyrinthische und groteske. Im Dezember 2012 schreibt er in einem Brief: „alles ist mir eine gute groteske.“ ln unserer Korrespondenz erwähnt er da das Wort zum ersten Mal, aber seitdem taucht es immer häufiger auf. Im April 2015 fällt ihm „das groteske des gesamten lebensambientes“ auf, am 16. Juli fühlt er sich „im grotesken unterwegs“, und am 25. Juli fragt er: „sind die grotesken verzerrte signale des wunderbaren?“ Auch in den Titeln der Plastiken, Frottagen, Projekte kommt es zur Sprache: verballhornt als Ensoresken und Böcklinesken oder einfach in den Benennungen der Zeichnungen, zum Beispiel in groteske / der gute tod, groteske ohne flugmöglichkeit, vogelzwittergroteske, groteske Darwinstunde – verkappter unglücksrabe und einer ganzen Bronzegruppe von vexiergrotesken. Diese Werke haben handliche Größen, und ihr Habitus erinnert an die Zwitterwesen von Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel, an diese zusammengesetzten Wesen und Unwesen höllischer Abkunft. Bei Gerresheim deuten die Titel ihr Aussehen an: schnabelgnom, koboldfisch, meereszwitter, maskenbold, schellenratte … Nun ist das Wort grotesk seit einem Jahrhundert in die Inflation geraten. Ursprünglich war es nur eine Sachbezeichnung, der Name für die am Ende des 15. Jahrhunderts in den römischen Grotten entdeckten antiken Fresken mit ihren zusammengesetzten Ornamenten. Sie wurden auch als sogni dei pittori bezeichnet, Malerträume. Sie bestanden „aus einer symmetrischen Verschlingung von stilisiertem Pflanzenwerk mit phantastischen Menschen- und Tiergestalten, mit Satyrn, Kentauren und ähnlichen Fabelwesen, mit Köpfen, Masken und Fruchtschnüren, mit Vögeln und Insekten, Waffen, Gefäßen und dergleichen.“ Im Zeitalter der Aufklärung erfuhr das Wort eine Bedeutungserweiterung, diente der Unterscheidung einzelner Literatur- und Kunstgattungen und wurde in die Nähe des Komischen und Burlesken gestellt – als Gegensatz zum Erhabenen. Und so wurde es auch am Ende des 19. Jahrhunderts noch verstanden, wie man in der dritten Auflage von Meyers Konversations-Lexikon von 1887 nachlesen kann: „Bezeichnung einer Gattung des 137 Niedrig-Komischen in der Literatur, der Musik und den bildenden Künsten, welche das Närrisch-Seltsame, das abenteuerliche Zusammenstellen heterogener Gegenstände, ein Produkt ungezügelter Phantasie, in sich faßt.“ Längst aber hat sich der Bedeutungshorizont noch weiter ausgedehnt, so weit, dass Wolfgang Kayser in seinem Standardwerk über Das Groteske in Malerei und Dichtung (1957) meint, „daß weite Bereiche des gegenwärtigen lyrischen Schaffens den Begriff des Grotesken zu ihrer Deutung nahelegen.“ Oder, noch nachdrücklicher, Peter Fuß in Das Groteske (2001): „Moderne Kunst ist wesentlich grotesk.“ Dem möchte man achselzuckend zustimmen. Sieht man nun auf der Website des Duden nach, welche Bedeutungsspektren das Wort grotesk aktuell auffächert, dann trifft man auf so viele Möglichkeiten, dass man kapituliert: „abenteuerlich, absonderlich, absurd, ausgefallen, bizarr, eigentümlich, eigenwillig, extravagant, komisch, merkwürdig, seltsam, sonderbar, ungewöhnlich, wunderlich; (bildungssprachlich) exzentrisch, kurios, skurril; (umgangssprachlich) abgedreht, schrullenhaft, schrullig, ulkig, verrückt: (salopp) irre: (abwertend) lächerlich.“ Hat das nicht etwas von Irrsinn? Wollen wir es da nicht lieber von der Produktionsseite aus ansehen und nachschauen, was aus dem Zusammenstoß von Künstler und Wirklichkeit im Werk geworden ist? Theorien erblassen. Der Traum, der Schlaf der Vernunft, gebiert Ungeheures, Fantastisches, auch Närrisches. Es ist ernst und es ist heiter – Leben und Kunst. Fragen wir den Künstler, so antwortet er auf jeden Fall erst mal ernst: mit einer Erklärung und am Ende mit einer Bitte, in einem Brief vom 16.7.2015: „das groteske ist ein wunderliches assoziationsfeld – bereits mit dem vexieren kommt das groteske ins blickfeld, weil die sichtbare lebenswirklichkeit in die umverwandlung gerät und ausdrucksformen annehmen kann, welche die gegebenen daten ins mögliche, vermutbare und fremdartige verzerren – verwandeln sich die daten, das spiegelbild, der spiegel selbst oder auch der die daten spiegelnde, der den spiegel in händen hält? – die groteske, dieses vielgesichtige ,grottengeschenk‘ einer antikentrunkenen renaissance, dieses pflanzen-menschen- und tiervexierspiel ist doch zerrspiegelbildlich auf unsere gegenwärtigkeit zu überblenden – da kann man nur beten: heiliger eulenspiegel – spiegle für uns – spiegle uns – spiegle jetzt und in alle narrenzeit –“
Aktualisiert: 2020-11-26
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Oostender Stundenbuch

Oostender Stundenbuch von Ensor,  James, Gerresheim,  Bert, Roemer,  Werner, Tricot,  Xavier
Im Dialog mit James Ensor Seit vielen Jahren reist Bert Gerresheim in unregelmäßigen Abständen nach Ostende an die Kanalküste, um dort im Hotel ‚Rubens‘ am Visserskaai abzusteigen und tagsüber bei sonnigem als auch windigem Wetter in der Stadt oder am Meer zu sein. Was ihn immer wieder dorthin zieht, zeigen die Frottage-Zeichnungen des „Oostender Stundenbuches“. Immer dann, wenn Gerresheim durch größere Aufträge lange und intensiv von Arbeiten im plastischen Medium in Anspruch genommen war, bemüht er sich anschließend, seine spezifisch graphischen Fähigkeiten zu reaktivieren. Denn die Zeichnung erlaubt ihm, Distanz zu der repräsentativen Größe und dem dramatischen Ernst seiner bildhauerischen Werke zu nehmen. Wie zur körperlichen und seelischen Entspannung widmet er sich dann dem unprätentiösen, ludischen Arbeiten in seinen Zeichnungen, die auch das kleinere Format erlauben. Im Grunde sind es banale Bildgegenstände in den Blättern, die man anderenorts auch antreffen könnte, wäre da nicht eine eigenartige magische Atmosphäre in den Darstellungen, die auf den genius loci eines James Ensor zurückzuführen ist, der 1860 in Ostende geboren wurde, als Malergenie die längste Zeit seines Lebens dort verbracht hat und mit dem den Düsseldorfer eine langjährige Seelenverwandtschaft verbindet. Was Gerresheim an Ensor fasziniert, ist zunächst einmal eine tiefe Beziehung zum Phantastischen, die zweifellos ein Erbe der flämischen Tradition von Hieronymus Bosch bis Pieter Brueghel ist. Beide lassen ihrer Vorstellungskraft freien Lauf. Neben dem konkret Sichtbaren steht bei ihnen das bloß Vorgestellte, Erinnerte, Geträumte. In der barocken Realität, in der sie leben, werden der eine wie der andere durch bizarre Gegenstände erregt: Muscheln, Marionetten, Vasen und Schüsseln, Teppich- und Tapetenmuster, die den Keim der Phantasie bereits in sich tragen. Wellenförmige Linien entstehen, die durch ihre Assoziationen neue Motive schaffen und in ihrem imaginären Charakter dem Symbolisten Ensor wie dem Surrealisten Gerresheim nahestehen. So greift Gerresheim ganz selbstverständlich gewisse Motive und deren Stilmittel von Ensor auf. Dessen Anschauung kann ihm gerade so gut wie der eigene Stil zur unmittelbaren Erfahrung werden. Er schlüpft in die Gewänder Ensors und spricht doch mit eigener Stimme. Denn er durchschaut dessen Vorlagen, entrümpelt sie vom Zeitgeschmack und allen Accessoires, um die eigene Komplexität in den Bruchstücken zu erfassen. Gerresheim tritt in der Rolle Ensors auf, um sein Ureigenstes durch die Rekonstruktion verborgener Muster zu manifestieren. Er erfüllt den Vorgänger mit Leben, indem er dessen Herkunft rekapituliert. So entsteht ein Dialog mit ihm und seiner Geschichte. Von daher versteht sich der 1969 von Gerresheim erfolgte Ausspruch: „Die moderne Kunst beginnt in der Vlaanderenstraat.“ – Ensors Adresse. Vom obersten Eckfenster dieser Adresse besitzt der Künstler im übrigen einen alten Fensterrahmen, den er wie eine ehrwürdige Reliquiehütet, da von diesem Fenster der Wegbereiter der Moderne sein Leben lang die Welt betrachtet hat. (Auszug aus dem „Vorwort“ von Werner Roemer)
Aktualisiert: 2019-10-01
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Extramundi

Extramundi von Gerresheim,  Bert, Mittelstraß,  Jürgen, Roemer,  Werner
ZUM VEXIERBILD-ZYKLUS „EXTRAMUNDI“ VON BERT GERRESHEIM – AUCH EINE FACETTE SEINES ‚VISIONÄREN REALISMUS’ Und der Verstand ist umso befriedigter, wenn man in die Malerei gewisse Ungeheuerlichkeiten einfügt, und zwar zur Entspannung und Ablenkung des Geistes, aber auch um den Blick des Menschen zu schärfen, der häufig sehen will, was er nie gesehen und nicht für möglich gehalten hat; es gibt für den menschlichen Körper und für die Tiere keine vorgegebenen Formen, obwohl manche von ihnen wunderbar sind. (Michelangelo) In dem Bilderzyklus „Extramundi“, drängt sich der Ereignischarakter formal und gehaltlich geradezu auf. Auf diesen Frottage-Blättern treffen koboldartige Wesen mit ausschnitthaften Bildeinschüben sowie abstrakten Tafeln zusammen, die in ihrer halluzinatorischen Atmosphäre einer “Jenseitswanderung“ gleichkommen. „Extramundi“ ist nach Angaben des Künstlers „keine Wortverunglimpfung oder verhuddeltes Latein, sondern ein kartografisch fixierter Ort hinter Iria Flavia und Padron in Galicien, ein einsamer Flecken am Ende der Welt, vielleicht auch hinter diesem Ende. Die Uhren zeigen dort Mythen an und nicht Stunden, ein Ort zwischen Arkadien und einer dantesken Inferno-Landschaft, das Imaginationsfeld einer Jenseitswanderung und deshalb außerhalb der Zeit. Darum gibt es hier fantastische Begegnungsmöglichkeiten für Liniengespenster, Traumgestalten, groteske Figurationen und Realitätsfetzen, also ein imaginärer Ort, an dem sich Hiesiges und Jenseitiges ein Stelldichein geben, an dem Widersprüchliches zusammenwächst und eine wahrscheinliche Bildwirklichkeit erzeugt“. Es herrscht die Atmosphäre des Grotesken und Irregulären, die sich aus Märchenhaftem und Mythischem, aus Geometrischem und Planimetrischem zusammensetzt. Das unerwartete Auftauchen und die Verwandlung des Erscheinenden ergeben eine Story, die wie im Wachtraum abläuft. Dabei treffen Daten der täglichen Erfahrung, aus Traumfetzen und Kunstzitate aufeinander. In ihrer halluzinatorischen, grotesken Bildstimmung sind sie der Bilderwelt Böcklins und Chiricos verpflichtet, auch Hieronymus Bosch und Max Ernst bringen sich mit ihren rätselhaften Symbolen ins Spiel. Gegenüber den Vexierfolgen der letzten Jahre fällt neben den neuen Prototypen die erweiterte Erscheinungsbühne auf, deren Raum- und Zeitstruktur bisher einheitlich oder zumindest undefinierbar war. Jetzt aber sind die Bildvisionen der Zeit und dem Raum enthoben. Gerresheim schafft einen autonomen Bildraum im Nirgendwo, der ganz selbständig aus den dargestellten Wesen und Dingen herauswächst. Das Schwanken zwischen Aufsichtsperspektive und aufrechtem Schweben bei den Figurationen demonstriert die eigenmächtige Fähigkeit des Künstlers, einen phantastischen Un-Ort mit utopischen Qualitäten zu schaffen. In dieser Bilderwelt, die von der Widersprüchlichkeit, Zerrissenheit und Inkohärenz der Wesen, Dinge und Räume geprägt ist, bewirkt die Ironie, dass das Bildarsenal seine verabredete Identität aufgibt zugunsten einer möglichen neuen … der Ort, an dem das geschieht, ist der Ort des Transitorischen, ein Nicht-Ort, aber ein Transitraum, in dem sich die Metamorphose der Wesen und Dinge ereignet – die Ironie und die wechselnde Bedeutung des Bildarsenals zwischen Pathos, Komik und Satire prägen diese Dieseits-Jenseits-Reise. Das Kombinatorische und die Assoziation bleiben Flucht- und Gravitationspunkte dieser Vexierbilder. Indem bei diesem Zyklus Irrationales und Widersprüchliches, Berechnung und Traum, Erdachtes und Vorgefundenes in zeitlicher und räumlicher Enthobenheit aufeinander treffen, scheint sich Surreales zu ereignen. © Werner Roemer
Aktualisiert: 2019-10-01
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la Verna-protokoll

la Verna-protokoll von Gerresheim,  Bert, Roemer,  Werner
La Verna Eine Umbrienreise des Künstlers zu Ostern 1976 löste eine systematische Beschäftigung mit der Gestalt des Franziskus von Assisi und dem Phänomen der Stigmatisation aus. Das Skizzenbuch dieser Reise, überschrieben: La-Verna-Protokoll“, gibt zunächst Durchreibungen der Inschrifttafel wieder, die sich an der Stelle befindet, wo der heilige Franz am Fest der Kreuzerhöhung des Jahres 1224 auf dem Berge Alverna die Wundmale empfing, die ihn auch leiblich dem leidenden Jesus angeglichen haben. Dann folgt im Skizzenbuch eine Frottage der Sitzplatte, auf der der heilige Franz im Beisein von Christus Gespräche mit jenem geführt haben soll. Heute befindet sich diese Platte als Altarplatte in der Grottenkirche von Alverna. Mit diesen Frottagen spürt Gerresheim dem Genius loci nach, der diese konkrete Stelle für ihn zur Faszination werden lässt.
Aktualisiert: 2020-09-02
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