Während Literaturkritiker der marktbeherrschenden Presse aus Unkenntnis oder mit absichtsvollem Vorsatz die Literatur der DDR nicht wahrhaben wollen und eine Nachfolge dieser Literatur, die auf deren ästhetischen Prinzipien und Traditionen aufbaut, nicht zur Kenntnis nehmen, wird in vorliegendem Band mit 80 Beiträgen ein Panorama dieser Literatur in der Gegenwart umrissen. Dabei umfasst die Auswahl einen kleinen Teil der vorliegenden Publikationen des Autors, von seinen Buch- und Aufsatzveröffentlichungen abgesehen. Der bekannte Schriftsteller und Historiker Klaus-Rüdiger Mai skizziert den Zusammenhang der Entwicklung von 1989 bis in die Gegenwart. Seiner Betrachtung legte er eine Konzeption zugrunde, dass man literarischen Texten nicht nur „mit einer ästhetischen Bewertung …. gerecht wurde, sondern, dass sie allein aus ihrer Funktion, aus dem gesellschaftlichen Bedürfnis heraus zu verstehen waren.“ Das macht die Bedeutung der Nachfolgeliteratur der Literatur der DDR aus.
Die Auswahl geht nicht bis in die Anfänge zurück, die andernorts nachzulesen sind, z.B. in des Verfassers Maßstab: Humanismus. Die sowjetischen Kulturoffiziere und ihre Tätigkeit (1945-1949/50) (Neue Impulse Verlag, Essen 2020), sondern setzt mit dem Nachruf auf den Literaturwissenschaftler Hans Mayer 2001 ein, der für Literatur und Literaturwissenschaft der DDR – aber nicht nur für diese - von beispielloser Bedeutung gewesen ist, obwohl er 1963 die DDR, vertrieben von Kunstbanausen der Partei, verließ. – Dazu wurden Nachrufe auf Autoren gestellt, die auf einmalig herausragende Weise Bedeutung für die Literatur der DDR bekamen, sei es durch die Betonung des Ästhetischen (Hermlin) oder durch die Beschäftigung mit der deutschen Schuld im Faschismus aus christlicher Verantwortung heraus (Bobrowski). Andere Beiträge gelten Autoren, deren Gesamtwerk diese Literatur repräsentiert (Christa Wolf) oder die der in der DDR bemerkenswerten Tradition, sich an antiken Mythen zu orientieren, folgten (Franz Fühmann). Daneben finden sich Schriftsteller, die dem sozialistischen Realismus ein Gesicht gaben (Erik Neutsch, Hermann Kant, Erwin Strittmatter, Dieter Noll und andere) oder als Einzelgänger wirkten (Eberhard Hilscher, Jurij Brězan als sorbischer Autor) oder der Spannungs- und Unterhaltungsliteratur zu ihrem Niveau verhalfen (Benito Wogatzki, Wolfgang Schreyer, Harry Thürk).
Ohne dass es sich bei den Genannten ausschließlich um Dramatiker handeln würde, folgt ein Komplex Dramatiker, wenn diese nicht nur durch die literarischen Werke, sondern auch durch ihre theoretischen Positionen, die oft gegensätzlich waren wie im Diskurs zwischen Heiner Müller und Peter Hacks, eine unverwechselbare DDR-Dramatik (Alfred Matusche, Heiner Müller) und sensationell erfolgreich waren (Armin Stolper, Rudi Strahl). Es gab gewollte Missverständnisse, wie das singuläre Beispiel Peter Hacks‘ (Ein „Feind durch und durch“) zeigt.
Ein Abschnitt Chronisten und Philosophen nimmt Autoren auf, die seit der DDR-Zeit das Niveau dieser Literatur bestimmen, teils heftige Diskussionen auslösten und die das lebendige Bild dieser Literatur prägten, das man sieht, wenn man sich ihr unvoreingenommen nähert (Volker Braun, Christoph Hein, Bernd Schirmer, Wilhelm Bartsch und viele andere) oder die diesen literarischen Anspruch als Jüngere nach 1989 aufrecht erhielten. Dabei berührt dieser Abschnitt sich mit dem folgenden Der Bitterfelder Weg; viele der Autoren wären sowohl da als auch dort einzuordnen (Werner Bräunig, Brigitte Reimann, Lutz Seiler, Jürgen Kögel u.a.). Manche setzen die Tradition des Bitterfelder Weges, mit dem Anspruch an eine operative Literatur, konsequent und engagiert fort, blieben aber deshalb Stiefkinder der Literaturkritik (Erhart Eller). Eine Ausnahme unter den Autoren stellt der Arzt Jörg M. Pönnighaus (geb. 1947) dar, der aus der alten Bundesrepublik kommt, jahrzehntelang in Afrika arbeitete und sich dann – neben einem beachtenswerten lyrischen Schaffen - auf die Suche nach besonderen Erfahrungen im Osten machte. Bei der Aufarbeitung und Sicherung dieser Tradition, der aktuellen Nutzung erwarb sich der Verlag Edition Freiberg (Dresden) Verdienste, weshalb ihm ein Abschnitt gehört.
Den Abschluss des Bandes bilden kritische Betrachtungen einiger eingangs gemeinten Werke, in denen die Literatur der DDR und des Ostens bewusst oder unbewusst vernachlässigt wurde. Manche von ihnen widmeten sich wohlwollend der Literatur der DDR, ohne ihre Besonderheiten zu sehen. Andere waren von vornherein bemüht, diese Literatur zu delegitimieren und zu disqualifizieren, was hier an Beispielen nachgewiesen wird. Diese Sicht zu korrigieren, entstand dieses Buch.