Einen »Schubser« braucht so ein Projekt schon – und eine Portion Abstand. Ich habe lange gewartet, bis ich dazu inspiriert wurde und es in Angriff genommen habe. Arno Surminski, der große Ostpreußen-Schriftsteller und Freund, hat in seinem Vorwort zu »Jokehnen oder die Stimmen der Anderen« folgendes geschrieben: »Es hätte eine Autobiografie werden können. Doch eine innere Sperre hielt mich davon ab, mich in den Mittelpunkt eines Buches zu stellen. Auch glaube ich, dass Autobiografien nur selten wahr sein können, weil unser Gedächtnis die geschehenen Dinge im Laufe der Zeit verformt, abschwächt oder verstärkt, einiges gänzlich vergisst und zum Alter hin Ereignisse erfindet, die es so nie gegeben hat. Also keine Autobiografie, aber doch ein Versuch, etwas weiterzugeben, was gesagt, geschrieben und geschehen ist.«
Dem kann ich nur zustimmen, denn genau das habe auch ich gedacht, als ich mich an diese Arbeit gemacht habe. Wobei ich weder eine »Nabelschau« noch Vollständigkeit oder exakte zeitliche Abfolge beabsichtigt habe. Ich will stattdessen von meinen vielen Reisen – in 75 Jahren ist einiges zusammengekommen – erzählen, denn dies sind ausgewählte Geschichten meines Lebens, die es begleiten: »Weil das Leben eine Reise ist«, wie mal Kurt Tucholsky geschrieben hat. »Reise, reise!« heißt auf Segelschiffen übrigens das Wecksignal für Seeleute. Und schon Wilhelm Busch schrieb: »Darum Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!«
Noch eins: Für einen Geografen wie mich sind Reisen angewandte Geografie an Land, zur See und in der Luft. Vielleicht könnte man es so formulieren: Aufstehen zur persönlichen Erdbeschreibung! Mit etwas Distanz zu diesen Erinnerungen, die von mir jeweils zeitnah, authentisch und nicht nachträglich »zurechtgebogen« notiert worden sind, stellen sich Erkenntnisse und damit vielleicht auch ein bisschen Weisheit ein. Getreu dem Nietzsche-Wort: »Wie ich wurde, was ich bin«.
Dann die beliebte Frage, ob man im Falle einer solchen (unwahrscheinlichen) Chance alles noch mal so machen würde. Alles sicher nicht, der eingeschlagene Generalkurs aber, um es mal seemännisch zu formulieren, war schon richtig. Es gab natürlich auch allerlei unfreiwillige Kurs-Abweichungen wie in jedem Leben, aber die gehören natürlich auch dazu. Es sind nicht nur Reisen gewesen, sondern auch andere bewegende Momente, die mein Leben geprägt haben. In erster Linie natürlich Menschen, mit denen ich im Laufe der Jahre zu tun hatte. Dazu gehören auch einige Promis, die mir über den Weg gelaufen sind und die ich natürlich interviewt habe. So etwas lässt man sich nicht entgehen. In den meisten Situationen bin ich offen gewesen für Neues oder Unbekanntes. Eine journalistische Grundvoraussetzung. Diese Eigenschaft braucht man auch, um seine Umgebung abzutasten, einzuschätzen und die vielfältigen Beobachtungen schließlich aufzuschreiben.
Manch einer wundert sich vielleicht angesichts scheinbar banaler Ereignisse. Ein geschulter Beobachter kann etwas daraus machen, ohne »die Realität« zu verfälschen, allenfalls zu ergänzen. Dafür eignet sich ein kurvenreicher Lebensweg besser als ein gradliniger, bei dem man leicht seine Offenheit verlieren kann, weil man sich abschottet und nur auf die Karriere konzentriert. Aber: Das Leben besteht aus Kontrasten.
Irgendwann wurde ich am Ende eines Interviews mal gefragt, was ich denn nicht in meinem Leben gemacht hätte. Ich erinnere mich, dass ich nur gesagt habe: »Karriere«. Mein Gegenüber stutzte erst – und musste dann lachen. Karriere wäre nur langweilig nach oben gegangen, aber die Schlenker-Bewegungen verliefen in meinem Leben auch wellenförmig und sorgten immer für Spannung: Wie geht’s weiter, was kommt danach? Langweilig war das jedenfalls nie!
Im Gegensatz zu dem Kapitän, der sein ganzes Leben zur See fuhr und nach seinen Erlebnissen gefragt wurde. Antwort: »Nur Wasser, sonst nix«. Obwohl es sicher ganz anders war, aber er nahm es weder wahr, noch konnte oder wollte er darüber sprechen. Vielleicht ist es eine unerfüllte Sehnsucht nach etwas, was man gar nicht ausdrücken kann. Das hat ganz viel mit dem zu tun, wonach man sich sehnt und nicht weiß, was es ist. Und das ist für mich auch immer das Unterwegs-Sein gewesen. Wobei viele Erlebnisse aus Platzgründen unter den Tisch fallen mussten. Sie wären es wert gewesen, erzählt zu werden. Aber noch mal 400 Seiten? Für mich kein Problem – aber für die Leser …
Bis jetzt habe ich mit meinem »Lebenswerk« gezögert, aber ich bin dazu von meinem Schulfreund Heino Rehder inspiriert und gedrängt worden nach dem Motto: »Du hast doch so viel erlebt, nu mach mal und fass das zusammen!«; und auch mein häufiger Frachter- und Hausboot-Mitfahrer Uli Schrader, der mich wie manche andere gern mit meinem Presse-Kürzel PSW – schon so etwas wie ein maritimes Markenzeichen – anredet, hat’s diesmal ernst gemeint. Bei allem Spaß daran.