Nachwort
Mehr als ein Jahrzehnt liegt die Ausstellung zurück, die der Zittauer Geschichts- und Museumsverein im Jahre 2002 anlässlich des 100. Geburtstages des Zittauer Malers und Insektenfotografen Oswald Jarisch gestaltete. Bei der Vorbereitung der Schau begegnete den Ausstellungsmachern dessen Illustrationsreihe zu Goethes „Reineke Fuchs“, aus der einige wenige Blätter dann auch gezeigt werden konnten. Diese Federzeichnungen fanden ob ihrer hohen Qualität, ihrer Lebendigkeit und den anthropomorphen Tierdarstellungen von großer Ausdruckskraft viel Aufmerksamkeit. Und so entstand der Plan, nun viele Jahre nach der Entstehung der Zeichnungen, die Idee Oswald Jarischs zu einer illustrierten Ausgabe des „Reineke Fuchs“ zu verwirklichen, zu dem nunmehr vorliegenden Buch. Natürlich war es reizvoll, die Arbeiten eines Künstlers aus unserer Stadt mit einem Werk der Weltliteratur verknüpft zu sehen; ausschlaggebend, das Buch zu machen, war aber der ganz eigene Zugang, den Oswald Jarisch mit seinen lebendigen Zeichnungen zu Goethes Epos gefunden hat, Arbeiten, die ihn verdientermaßen in eine Reihe von Künstlern stellen, die sich tiefgehend mit Goethes Reineke-Versen beschäftigt, ihre Eindrücke davon in individuellster Weise ins Bild gesetzt haben.
Der in Zittau geborene Oswald Jarisch, dessen Leidenschaft für Zeichnung, Malerei und die Natur sich schon im Kindesalter zeigte, ließ sich in seiner Heimatstadt zunächst zum Flachglasmaler ausbilden. Nach Jahren der Wanderschaft in Süddeutschland und zwischenzeitlicher Rückkehr nach Zittau begann er 1925, unterstützt vom Zittauer Textilfabrikanten Hermann Schubert, ein Studium an der Dresdner Kunstakademie und genoss dort, mit besonderem Blick auf die Porträt- und Figurenmalerei, die Lehre bei Richard Müller, Ferdinand Dorsch und Max Feldbauer. 1927 ging er nach München und wurde Privatschüler bei Edmund Steppes. Von diesem Landschaftsmaler bekam Jarisch wohl wichtige Impulse für seine Märchendarstellungen, die ihm in der Folge reichlich Anerkennung brachten. Nach Lebensstationen auf der Schwäbischen Alb, einer Landschaft, die mit ihrer Vielfältigkeit seinem Drang zu Studien in der Natur entgegenkam, und im thüringischen Mühlhausen als freischaffender Künstler, kehrte er 1934 in die heimatliche Oberlausitz zurück. Der hier folgende Lebensabschnitt bescherte ihm, auch von außerhalb, umfangreichere Aufträge im Bereich der baugebundenen Kunst wie die Gestaltung von Glasmalereifenstern und Wandmalereien, die ihm das harte Leben als Künstler mildern halfen.
Die Einberufung im Jahre 1941 zur Wehrmacht und damit zum Kriegsdienst an der Ostfront schnitt tief in seinen Lebensweg ein. Seine akademische Ausbildung im Bereich der bildenden Kunst qualifizierte ihn dort für den Einsatz als Kriegsmaler. Gegen Kriegsende in sowjetische Gefangenschaft geraten, konnte er im Lager im lettischen Mitau, da die sowjetischen Offiziere dort seine künstlerischen Begabungen erkannten, gemeinsam mit anderen Malern in einer Kunstmalerwerkstatt arbeiten. Hier fertigte er insbesondere Porträts dieser Offiziere und von deren Angehörigen, auch Kopien von Werken berühmter russischer Meister, und konnte so aus seiner dadurch auch materiell etwas gehobenen Position heraus seinem von einer schweren Krankheit gezeichneten Künstlerkollegen Willy Müller-Lückendorf bei dessen Genesung beistehen.
Hier in der Gefangenschaft entstanden auch, wohl zumeist in den Nachtstunden, beeindruckende und berührende grafische Blätter zum Themenkreis Krieg und Gefangenschaft, daneben die Illustrationsfolge zu Goethes „Reineke Fuchs“. Diese Federzeichnungen konnte er bei seiner Rückkehr in die Heimat 1948 mit nach Hause bringen, fand aber in dieser von Nöten geprägten Zeit leider keinen Verlag für seine Reineke-Zeichnungen.
Im folgenden Jahrzehnt arbeitete er wieder als freischaffender Künstler und, da der Lebensunterhalt so für sich und seine Familie kaum zu bestreiten war, als Maler und Grafiker in verschiedenen Werbefirmen in Zittau. In dieser Zeit wandte er sich zunehmend wieder dem Studium der Natur zu, nun insbesondere den Insekten in ihren Lebensräumen, fotografierte und präparierte diese und bildete sich autodidaktisch zu einem anerkannten Entomologen aus. Folgerichtig war im Jahre 1960 seine Berufung an das Institut für Forstwissenschaften in Eberswalde, wohin er auch mit seiner Familie umsiedelte. Seine hochklassigen Fotografien und Zeichnungen von Insekten fanden Eingang in zahlreiche entomologische Publikationen. Oswald Jarisch starb 1979 in Eberswalde.
Mehr als hundert Federzeichnungen umfasst die Illustrationsreihe von Oswald Jarisch zu Goethes „Reineke Fuchs“, einhundertundelf zeigt dieses Buch. Insgesamt sind einhundertunddreizehn Blätter bekannt, einschließlich derjenigen, wovon es zwei oder auch drei Versionen gibt. Möglicherweise sind solche, und auch einige wenige andere Blätter, später, in der Zeit nach der Kriegsgefangenschaft, entstanden. Etwa siebzig Jahre lang verbrachten die Blätter in Mappen und wurden nur sehr selten, und dann auch nur vereinzelt und in Auswahl, ans Licht geholt und der Öffentlichkeit zu Gesicht gebracht, harrten so ihrer Vereinigung mit dem Goetheschen Text. Hohe Zeit war es, dass diese nun vollzogen wurde, denn Oswald Jarisch standen in der Kriegsgefangenschaft für seine Arbeiten nur mindere Papierqualitäten zur Verfügung, so dass sich verschiedene Blätter nun nicht mehr im besten Zustand befinden.
Was hat Oswald Jarisch, im Milieu eines von vielerlei Schwierigkeiten und Entbehrungen gezeichneten Lagerlebens, wohl bewogen, sich mit dem „Reineke Fuchs“ von Goethe auseinanderzusetzen, diese Verse in Bilder zu transformieren? Vielleicht waren es ja gerade diese Schwierigkeiten, Entbehrungen und Nöte, der Krieg und die Gefangenschaft, bedrohliche Situationen, die einerseits die Kameradschaft und die Bereitschaft, dem anderen zu helfen und zu teilen, fördern, die es andererseits aber auch an sich haben, ungute Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen besonders zutage treten zu lassen; Eigenschaften und Verhaltensweisen wie etwa Tücke, Niedertracht und Lüge, Gier und Habsucht, Hochmut und Geringschätzung, Untreue und Verrat, Verleumdung und Grausamkeit; Eigenschaften und Verhaltensweisen, wie sie Johann Wolfgang Goethe in seinem zeitlosen Epos, in die Tierwelt übertragen, in unnachahmlicher Weise aufgezeigt hat.
Oswald Jarischs meisterliches Können in der Tier- und Märchendarstellung und im Figürlichen waren die Voraussetzung dafür, dass es ihm gelungen ist, in seinen Zeichnungen die vermenschlichten Tiergestalten glaubhaft mit menschlicher Gestik und Gebärdensprache zu versehen, menschliche Bewegungsabläufe in diese Gestalten einzubringen. Betrachten wir die Federzeichnungen in ihrer Gesamtheit, so stellen wir fest, dass sie stilistisch eine Einheit bilden, dass es aber doch Unterschiede gibt: Manche der Zeichnungen sind durch eine dichte und kurze Federstrichführung gekennzeichnet, andere sind luftiger und lockerer gehalten. Und das verwendet Jarisch bei verschiedenen Blättern auch als Mittel zur Hervorhebung: Wichtige der tierischen Gestalten oder Personen oder auch solche im Vordergrund sind in dichterer Strichführung gezeichnet als andere. Insgesamt gesehen ist es vielleicht so, dass die Zeichnungen, die in die zweite Hälfte des Epos gehören, luftiger sind als die zur ersten Hälfte gehörigen. Setzen wir voraus, dass Oswald Jarisch in der Abfolge der Gesänge gezeichnet hat, gibt es in dieser Hinsicht möglicherweise so etwas wie eine Entwicklungslinie. Bezeichnet oder betitelt hat Jarisch die einzelnen Blätter nicht und auch nicht konsequent nummeriert. Dennoch war es möglich, alle Blätter den einzelnen Textpassagen zuzuordnen, ein Zeichen dafür, dass er mit seinen Zeichnungen diszipliniert der Erzählfolge Goethes nachgegangen ist.
Vielleicht hätte der ja auch selbst zeichnerisch tätige Goethe Oswald Jarischs bildnerische Umsetzung seiner Verse zu schätzen gewusst, vielleicht hätte er ja einen harmonischen Gleichklang zwischen seiner Dichtung und Jarischs Zeichnungen verspürt – wir wissen es nicht.