Henriette, oder die schöne Sängerin
Ludwig Rellstab, Bernd Zegowitz
Die Sängerin Henriette Sontag (1806-1854) war so etwas wie der erste Star im modernen Sinne. Komponisten schrieben Rollen für sie, Schriftsteller Gedichte auf sie, und das Publikum riss sich um sie. Im Jahr 1826, auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes, erschien in Leipzig unter Pseudonym ein Roman mit dem Titel Henriette, oder die schöne Sängerin. Als Autor identifizierte man bald den damals noch wenig bekannten Berliner Schriftsteller und Musikkritiker Ludwig Rellstab (1799-1860), der später zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit avancieren sollte. Sein satirischer Künstlerroman war keineswegs gegen die Sängerin Sontag gerichtet, sondern gegen das sprichwörtliche „Sontagsfieber“, die z.T. grotesken Auswüchse der Begeisterung bei ihren Bewunderern, ihren Fans, wie man heute sagen würde. Schnell waren die realen Vorbilder der im Roman nur wenig verschlüsselt auftretenden Personen des öffentlichen Lebens erkannt. Rellstab wurde wegen Beleidigung verklagt und zu einer dreimonatigen Festungshaft verurteilt, die er im Sommer 1828 absaß.
Der überaus witzig und eloquent geschriebene Roman schildert das umjubelte Gastspiel Henriette Sontags 1825 in Berlin, das Bühnen- und Alltagsleben dieser erfolgreichen und umschwärmten Sängerin, aber auch den Konkurrenzneid ihrer Kolleginnen sowie die Reaktionen und Diskussionen des Publikums. Er ist damit auch ein aufschlussreiches kultur- und sozialgeschichtliches Dokument für die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und die Anfänge des modernen Starkults.