Die Zeit des Rechts von Brupbacher,  Oliver

Die Zeit des Rechts

Experimente einer Moderne in Zeitschriften

Das Recht büßt im 18. Jahrhundert seine in der Autorität des römischen Rechts gegründete, bis dahin weitgehend unhinterfragte Autorität schrittweise ein. Stattdessen experimentiert es mit Formen der Selbstbegründung von Recht, um schließlich längerfristig in die Positivität des 19. Jahrhunderts zu münden. Das Spielfeld dieses Rechts ist groß und lebhaft: ein Jahrhundert, in dem mehr als zuvor und danach das Alte sich zäh hält und das Neue noch nicht feststeht; und ein barocker Stil, der durch hohe Komplexität (es gibt mehr Möglichkeiten, als gleichzeitig realisiert werden können) und Kontingenz (alles kann so oder anders, wenn auch nicht gleichzeitig und beliebig anders sein) gekennzeichnet ist.
Es sind vor allem Zeitfragen: nach dem Rhythmus von Veränderungen und nach der Synchronisation mit anderen
Gesellschaftsbereichen, welche die Weltbilder des barocken Rechts mit denen seiner Umwelt in Beziehung setzen. Die Herausbildung einer eigenen Zeit des Rechts läßt sich in den juristischen Zeitschriften beobachten, die im 18. Jahrhundert entstehen und eine bemerkenswerte Konjunktur erleben. Dieses Buch schildert – auch und besonders aus rechtshistorischem Interesse –, inwiefern
die Strukturen und Prozesse dieser Zeitschriften großartige Spielfelder und Möglichkeitsbedingungen des Aufbaus einer für die Moderne adäquaten Komplexität
des Rechts sind. Damit erfaßt dieses Buch die barocke Vielfalt und Unordnung der Rechtsquellen und Literaturgattungen nicht als Probleme, die einer Lösung zuzuführen wären, sondern umgekehrt als Lösungen des 18. Jahrhunderts, die sich dem heutigen Beobachter als Probleme darstellen. Die Frage ist dann nicht: Was ist Zeit?, sondern: Wie operiert Zeit? Wie konstituiert sich die Zeit des Rechts in der Zeit?
Ob sie sich an der Vergangenheit des Rechts orientieren oder seine Zukunftsoffenheit propagieren, ob sie Kritik üben oder bloß Fakten referieren – die Zeitschriften machen,
gerade durch die hochgradige Selektivität ihrer periodischen
Mitteilungen, die Welt des Rechts größer und unübersichtlicher, komplexer und kontingenter. Wohin mit all diesem Überschuß? Vor allem: Wie noch Geltung, das unverzichtbare Symbol des Rechtssystems, behaupten,
wo vieles – zu vieles – gilt? Die mediale Antwort auf diese Frage heißt: Verzeitlichung. Sie bringt das Recht in Bewegung, und zwar nicht über die Beschleunigung der Kommunikation, sondern über die Verlagerung von Komplexität und Kontingenz in ein kontinuierliches Nacheinander bewältigbarer Informationseinheiten, über die Fokussierung auf die jeweilige datierte Gegenwart
und über die Neutralisierung der Sinnüberschüsse durch deren Latentstellung – das bedeutet letztlich: über die Zurückdrängung von Ewigkeitsverheißungen, wie das Natur- und Vernunftrecht sie bereitgehalten haben, und über das Zulassen von permanenter Instabilität.
Als im ausgehenden 18. Jahrhundert die großen Naturrechtskodifikationen,
allen voran das preußische Allgemeine
Landrecht, das Spielfeld zu betreten und neue Geltungsstabilität zu versprechen beginnen, erscheinen die Zeitschriften in einem veränderten Licht: als Störenfriede,
die nicht aufhören, Neuheit und Variation ins Recht zu tragen. Das Aufeinanderprallen von Zeitschrift und positivem Gesetz offenbart die unhintergehbare Kontingenz des Rechts, verkörpert die Provokation der grundlegenden Nachfrage: Warum eigentlich gerade so und nicht anders?
In der Auseinandersetzung mit dieser Provokation verabschieden
sich die Zeitschriften vom spielerischen Umgang
des Barock mit Komplexität und Kontingenz und betreiben an dessen Stelle eine erneute Verzeitlichung. Sie verschaffen – Juristen wie Gustav Hugo sehen dies früh – dem Recht eine in jedem seiner Momente neu zu definierende Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; und sie beginnen, diese Zeitdimensionen durch die Ausdifferenzierung von Rechtsgeschichte, Dogmatik und Rechtsphilosophie zu ordnen, um so die Frage nach der Begründung der Rechtsgeltung zu beantworten. Die Antworten, kulminierend im berühmten Kodifikationsstreit
zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, oszillieren
zwischen Erfahrung und Erwartung, zwischen der gegenwärtigen Vergangenheit des Rechts und seiner gegenwärtigen Zukunft. Seither gründet die Positivität des Rechts das Bewegliche nicht mehr auf das Feste, sondern umgekehrt seine Festigkeit auf die der Welt geschuldete Beweglichkeit. Positiv gilt das Recht der Moderne nicht mehr, weil es nicht änderbar ist, sondern paradoxerweise gerade deshalb, weil es jederzeit geändert
werden kann.

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