Abschied von der Unschuld
Olivia Manning, Ilija Trojanow, Susann Urban
1945: Nach dem Tod seiner Mutter findet der britische Teenager Felix Latimer Unterschlupf in der Pension einer entfernten Verwandten in Jerusalem. Miss Bohun, verschroben, geizig und bigott, ist weniger an Felix’ Seelenheil als an dem finanziellen Vorteil interessiert, den sein Aufenthalt ihr bringt. Inmitten der skurrilen Pensionsgäste, allesamt Flüchtlinge, die mit sich und ihrem Schicksal zu beschäftigt sind, um Felix Aufmerksamkeit zu schenken, ist die Siamkatze Faro zunächst seine einzige Bezugsperson – bis Mrs. Ellis in die Pension einzieht. Diese ist seit kurzem verwitwet, und allmählich sieht Felix nicht nur eine Ersatzmutter in ihr, sondern verliebt sich auch ein wenig in sie. Doch zu seiner Enttäuschung stellt er nach und nach fest, dass Mrs. Ellis nicht weise, sondern verbittert, hinterhältig und beinahe so unreif wie er selbst ist. Die einzige Konstante in Felix’ Leben ist paradoxerweise die Katze Faro.
Die Kulisse von Felix’ Kampf um geistige Unabhängigkeit ist das Jerusalem kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs: bunt, quirlig, voller Flüchtlinge – ein Wartesaal der Gestrandeten, die wie Felix nirgendwo dazugehören und zugleich von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit geprägt sind.
Olivia Mannings Sprache und Erzählung sind unsentimental, gelegentlich humorvoll. Grandios ist Miss Bohun in ihrer vorgeblich nächstenliebenden, dabei um jeden Piaster feilschenden Art dargestellt. Eine der grandiosesten alten Jungfern der Literatur, die jeden Schacherfeldzug christlich zu entschuldigen weiß. Mit Gusto tischt sie ihren Pensionsgästen Mahlzeiten auf, bei denen der Geschmack keine Rolle spielt, sondern der Preis. Und warum pro Person drei Sardinen, wenn zweieinhalb mehr als ausreichend sind? Zugleich ist sie tief enttäuscht darüber, dass niemand ihr die gebührende Dankbarkeit zollt. So ist der Roman, in Großbritannien ein moderner Klassiker, auch eine wunderbare Studie der Unvereinbarkeit von Fremd- und Selbstbild.