Das besondere Etwas
Geschichten aus dem Landkreis Germersheim
Rainer Baumgärtner
Insel Grün
Woodstock im August 1969: 450.000 Hippies im Rausch der Liebe, der Drogen und der Musik. Mit Jimi Hendrix denkwürdigem Auftritt endete das Rockfestival, das als Inbegriff der Flower-Power-Bewegung in die Geschichte einging.
Knapp drei Jahre später ereignete sich in Deutschland etwas Ähn¬liches. Ort des Geschehens: Ein kleiner Landkreis und ein Acker in einer kleinen Stadt. Germersheim wurde zum Nabel der Pop-Welt.
Vom 20. bis zum 22. Mai 1972 fand ein Rockfestival auf der Insel Grün statt. Zum „2. British Rock Meeting“ kamen etwa 70.000 Menschen nach Germersheim, sechsmal so viele, wie die Stadt damals Einwoh¬ner hatte. Germersheim war in einem Ausnahmezustand. Auf zwei Bühnen spielten fast 50 Stunden lang 31 Gruppen aus England, Ame¬rika und Deutschland.
Pink Floyd, Humble Pie, Billy Joel, Osibisa, Linda Le¬wis, Buddy Miles Express, Spencer Davis, Savoy Brown, Sam Apple P, The Doors, New Riders of the Purple Sage, Lindisfarne, Albert Mangelsdorff, The Kinks, Status Quo, The Faces, Nazareth und Uriah Heep, um nur einige der ganz Großen zu nennen.
An Pfingsten 1972 waren sie alle in Germersheim. Bunter konnte das Publikum wirklich nicht sein: Friedensapostel, Hippies, Gammler, Dealer, Geschäftemacher, fliegende Händler, Musikverrückte, aber auch Etablierte und Gutbürgerliche bestimmten die Szene.
Apropos Geschäftemacher: Einige kamen aus der Nachbarschaft. In Lingenfeld blühte der Schwarzmarkt, eine „Schwarzfahrt“ mit dem Motorboot zur Insel kostete 5 Mark.
Das Rockkonzert auf der Insel Grün war für die Jugend ein Ausrufe¬zeichen am Anfang eines neuen Jahrzehnts, der Beginn einer neuen Freiheit. Die „Rheinpfalz Pfälzer Tageblatt“ schrieb in ihrer Ausgabe vom 23. Mai 1972 unter der Rubrik „Zitiert“ über das Festival:
„Auf der Insel Grün lebte es sich recht ungeniert. Die modernen Nomaden und Freisinnigen streiften den letzten Rest vielleicht noch verbliebenen Zeitgefühls ab und hätten Tugendwächter in helle Aufregung versetzt. Ein Teil der Pop-Jünger durchlebte die Gefühlswelt- total und vorbehaltlos. Haschisch-Kanonen machten vor allem bei den GIs die Runde. Wie Dürstende in der Wüste drän¬gen sie zum Rauch.
Manche gaben sich hin, nicht nur der Musik! Make love, not war, hieß es auf vielen Emblemen. Und sie hielten sich daran. In den frühen Morgenstunden war die Welt bei den meisten nicht mehr in Ordnung. Überreizt und verkatert — es waren die Stunden bitterer Ernüchterung.“
Nach Schätzungen eines Münchener Arztes standen zeitweise etwa 70 Prozent der Festival-Teilnehmer unter Drogeneinfluss. „Am Tag danach“ kamen die Müllfahrzeuge. Nicht weniger als 120 Lastwagen-ladungen voller Abfälle und Unrat wurden beseitigt.
Wer da war, wird dieses Festival nie vergessen. Ein Festival, das vom Zeitgeist, seiner Musik und den lokalen Besonderheiten lebte, lässt sich nicht wiederholen.
Selbst eine Weltfirma wie Daimler wird noch lange brauchen, bis sie der Insel Grün das Image eines Sterns geben kann. Die Insel Grün steht auch heute noch für das Rockfestival 1972.
In den 1970er Jahren gehörte Wörth zu den finanzkräftigsten Städten in Rheinland-Pfalz. Vor allem die Einnahmen aus der Gewerbesteuer flossen in Millionenhöhe. Die Sparkasse der Stadt, ihre Rücklage, war gut gefüllt und erwirtschaftete lukrative Zinseinnahmen. Da ist es nicht verwunderlich, dass es viele Neider gab. Die Wörther störte das wenig. Sie hielten es mit dem deutschen Dichter Wilhelm Busch, von dem der Satz stammt: „Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“
Wörth am Rhein
Die Gemeinde entwickelte sich von einem Dorf zu einer Industrie¬stadt. Daimler-Benz kam 1962 nach Wörth und betrieb schon bald das größte LKW-Montagewerk in Europa.
Der Unimog oder die Fabrikate Econic, Atego, Axor, Zetros oder Actros sind weltweit bekannte „Wörther Produkte“. Daimler ist ei¬ne „große“ Stadt in einer kleinen Stadt. Immerhin arbeiten dort fast 12.000 Menschen. Hinzu kommen noch etliche Arbeitsplätze bei Fremd- oder Zulieferfirmen. 2007 nahm die Firma das Entwicklungs-und Versuchszentrum (EVZ) in Betrieb, das Daimler auf einer Fläche von etwa 50 Hektar an der Hafenstraße baute.
Das zweite Industriestandbein war die Mobil-Oil Raffinerie. 1996 stellte sie zum Entsetzen vieler die Produktion ein. Die Anlage wurde verkauft und der Boden saniert. Die Stadt erwarb das gesamte Gelände mit einer Größe von zirka 120 Hektar und vermarktete es.
In einem ersten Schritt wurden etwa 54 Hektar an die Papierfabrik Palm verkauft. Palm baute. 2002 erfolgte die Inbetriebnahme der Fabrik mit der weltweit größten Papiermaschine zur Herstellung von Wellpappenrohpapier.
Weitere Betriebsansiedlungen folgten. Auf dem Gelände befinden sich zwei Speditionen, der Sitzhersteller SKA, die ThyssenKrupp Metall¬center GmbH und ein Verteilzentrum von Netto Marken-Discount.
Zurück in das Jahr 1963: Wörth brauchte Bauland. Erschlossen wurde der Dorschberg, das Gebiet „Dorschberger-Holder“ nach den Plänen von Albert Speer, dem gleichnamigen Sohn des Rüstungsministers während der nationalsozialistischen Zeit.
Es entstanden zentrale Einrichtungen der Stadt wie Rathaus, Festhal¬le, Hallenbad, Kirchen und Kindergärten.
Wörth hat aber noch ein anderes Gesicht, eine große Tradition als Malerdorf. Der Tiermaler Heinrich von Zügel (1850-1941) kam 1906 nach Wörth, wo er viele Jahre mit zahlreichen Schülern der Kunst¬akademie München die Ferien verbrachte. Hier sind einige seiner be¬kannten Arbeiten entstanden. Eine ständige Ausstellung mit Bildern von Zügel im alten Rathaus erinnert an ihn.
Das „Wunder von Bern“ gab es am 7. Juli 1954; ein großer Bahnhof im Bahnhof Wörth. Die pfälzischen Fußballweltmeister Fritz Walter, Ottmar Walter, Horst Eckel, Werner Liebrich und Werner Kohlmeyer wurden von vielen Tausend Menschen empfangen und frenetisch gefeiert.
Eine Wörther Perle war das Roxy-Kino von Willy Butzinger (1923¬2004), sein Lebenswerk. Zusammen mit der Volkshochschule war bei ihm das besondere Etwas der „Besondere Film“: Er zeigte unvergessene Höhepunkte der Filmgeschichte.
Ohne Licht fährt man nicht
Es war Anfang der 1950-er Jahre, als es Pflicht wurde, am Fahrrad zwei funktionierende Lampen zu haben und die Gendarmen wachten eifrig darüber, dass auch ja niemand ohne Licht in der Dämmerung oder in der Nacht unterwegs war.
Daran dachte wohl auch der Schorsch, als er sich nachts entschloss, den „Kuhne Franz“ aus dem Bett zu holen. Es war in Rheinzabern und er hatte mit Bekannten einige Bier getrunken, unter anderem auch mit einem Gendarm.
Ausgerechnet jetzt, bei der Heimfahrt, ging an dem Fahrrad kein Licht. Und heute wollte er sich nicht erwischen lassen. Also musste der „Kuhne Franz“ helfen.
Man kannte sich und so wurde die Beleuchtung repariert und der Heimweg konnte vorschriftsmäßig angetreten werden. Am nächsten Morgen, noch vor dem Frühstück, sah er sich beim Gang über den Hof sein Fahrrad noch einmal an.
Es war ein schönes, stabiles Fahrrad, aber nicht sein eigenes. Es war das Fahrrad des Gendarms, das er hatte reparieren lassen. Was ihn am meisten ärgerte: Ausgerechnet der, der anderen Geld abknöpfte, hatte ein Fahrrad ohne Licht!