Wirklichkeitsverständnis
Jugendpädagogik in globaler Krisenzeit
Peter Selg
Corona hat Konflikte verschärft. Die Frage nach dem Stellenwert des Rechts auf Leben – sie war schon durch das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer drängend. Die Fragen nach der Notwendigkeit massiver staatlicher Eingriffe und nach der Rolle des Parlaments dabei – sie waren schon in der Balkankrise drängend, und sie werden es erst recht in der Klimakrise sein. Die Frage nach der Sammlung und Nutzung von Daten – sie war schon nach den Enthüllungen von Edward Snowden drängend. So kann man die Fragen weiter aufzählen, und es ist mühsam, furchtbar mühsam, Antworten zu finden. Aber eines ist durch Corona auch deutlich geworden: Welche Antworten auch immer gesucht und gefunden werden, das Suchen und Finden darf kein autoritäres werden, es muss ein demokratisches Suchen und Finden bleiben beziehungsweise ein demokratisches Suchen und Finden werden. Es muss mit dem Wissen einhergehen, dass es immer eine Vielheit von Stimmen und Alternativen, dass es den mühsamen Weg des Hörens, Verstehens und Aushandelns gibt – der nicht dadurch ersetzt werden kann, dass man sich auf «das Volk» oder «die Wissenschaft» beruft, auf «die Vernunft» oder «die Gesundheit» oder auf die «Alternativlosigkeit». Heribert Prantl, 2020 Bei einem Symposium zu entwicklungspsychologischen und -pädagogischen Problemen und Herausforderungen der Corona-Krise wollte Peter Selg im Dezember 2020 darstellen, dass die gegenwärtige Krisenlage in ihrer Komplexität im Oberstufenunterricht nicht länger umgangen, sondern thematisiert werden muss. Das Symposium konnte aufgrund der neuen Corona-Versammlungsauflagen schließlich nicht mehr stattfinden. Peter Selg fasste daher seinen geplanten Beitrag in schriftlicher Form. Er plädiert für die Überwindung des – weitgehenden – Sprechtabus an Schulen über die aktuelle Zeitsituation, für mehr und differenzierteres Wissen, für mehr Orientierung und eine verstehende Dialogik im Sinne Martin Bubers.