Das Schweigen brechen
Wie ich lernte, das Unsagbare in Worte zu fassen
Gisela Föllmi
Gisela Föllmi war sieben Jahre alt, als sie von ihrem Stiefvater an den ersten Mann verkauft wurde. Sie hatte keine Chance, sich zu wehren. Nicht gegen diesen Übergriff und auch nicht gegen die Übergriffe von weiteren Männern. Und erst recht nicht gegen die ihrer Mutter. Als abhängiges Kind, so sagt sie, habe sie schweigen müssen. Und zwar um jeden Preis. Es war ein hoher: Ihre Seele zersplitterte, nahm für immer Schaden. Um zu überleben, spaltete die kleine Gisela die verschiedenen Traumatisierungen ab, versenkte alles in ihrem inneren Schlimme-Dinge-Schrank. Die Erlebnisse abzuspalten, brachte keine Heilung. Wie auch? Sie waren und blieben durch den inneren Druck und die damit verbundene extreme Anspannung omnipräsent. Gisela Föllmi sagt rückblickend: »Ich habe mich und das Leben nicht ertragen und wusste nie, warum. Ich spürte, dass ich Hilfe bräuchte, konnte aber nie sagen, warum. Das kostete mich zweimal beinahe das Leben.« Sie war sechsundvierzig Jahre alt, als sich die Tür ihres Schlimme-Dinge-Schranks einen winzigen Spalt weit öffnete und sie – in klitzekleinen Schritten – damit begann, das Unsagbare hervorzuholen und in Worte zu fassen. Wie viel Kraft dieser Prozess kostet und was für einen Mut er erfordert, ist jenseits unserer Vorstellungskraft. Aber seit sie den ersten Schritt aus dem Schweigen getan hat, weiß sie mit Bestimmtheit, dass sich die seelische Schwerstarbeit lohnt. »Ich werde«, das ist für sie so sicher wie das Amen in der Kirche, »an meinem großen Ziel, ein Leben ohne Scham, Schuld und Angst leben zu können, ankommen. Das zu wissen, ist ein großartiges Gefühl.«