Großstadt, Landschaft, Augenblick
Über die Tradition von Motiven im Werk Gerhart Hauptmanns
Gert Oberembt
Durch die fortschreitende Erschließung des Nachlasses hat sich Hauptmann, jenseits des oft kolportierten Selbstbilds als Visionär, als ein Dichter offenbart, der am Diskurs der Moderne teilnimmt und deren Diskontinuitätserfahrungen durch einen eigenständigen Zugang zu Natur und Mythos zu verarbeiten sucht. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, Hauptmanns Werk neu zu überdenken und diese Tendenz in seinen Werken aufzudecken.
Als Fallbeispiele für die Durchdringung rationaler Zeitanalyse mit mythischen Urmustern werden dramatische und epische Texte von 1892 bis 1938, vom „Biberpelz“ bis zum „Schuß im Park“, untersucht. Dabei kündigt sich im Fremdheitsgefühl der Gegenwart die Götternähe an. Die Leseerfahrungen aus der Rezeption von Nietsche und Freud, J. Grimms „Deutscher Mythologie“ und L. Frobenius „Paideuma“ verarbeitet Hauptmann, weniger naiver Künstler als gelehrter Dichter, zu ebenso innovativen wie publikumswirksamen Gestaltungen.
Als Leitlinien seines Schaffens erweisen sich Hauptmanns Bindung an die Metropole Berlin wie die Anhänglichkeit an seine schlesische Heimat. Wie das tradierte Motiv der visionären Grenzsituation belegt, behauptet sich in den über Jahrzehnte reichenden Produktionszusammenhängen weniger die Prägung durch den Naturalismus als die durch die Signaturen des fin de siècle.