Kritische Philologie
Essays zu Literatur, Sprache und Macht in Indien und Europa
Christoph Koenig, Sheldon Pollock, Brigitte Schöning
Philologie ist dann ‚kritisch‘, wenn sie das Machtfeld einbezieht, das auf ihre Versuche einwirkt, Texten Sinn und Bedeutung zu geben – wenn sie sich selbst historisch wird, nicht provinziell ist und methodisch pluralistisch bleibt. Und sie ist ‚kritisch‘, wenn sie die drei Ebenen der Interpretation, die im Verstehen zusammenwirken, namentlich den Historismus, den Traditionalismus und die Gegenwärtigkeit, erfasst und formuliert. Nur wenn man diese Ebenen ausdrücklich nennt, darf man einen Wahrheitsanspruch erheben.
Diese Gedanken werden in einem breiten Spektrum von Texten und Praktiken entwickelt, die vom klassischen Indien bis zur westlichen Moderne reichen. Zu den Gedanken gehören die Vernakularisierung der Welt – also das Ersetzen kosmopolitischer Formen der Literatur und der Macht durch regionale Sprachen und Gemeinschaftsformen, die zu einer frühen Moderne führten; der Erfolg des Komparatismus in Europa als Modus kultureller Erklärung und politischer Hegemonie; die Pflege des Sanskrit im NS-Staat; der Grenzfall einer nicht-kritischen Philologie; die Form des Imperialismus in Gestalt der Imitation vom achämenidischen Persien bis zum Amerika von George W. Bush.
Kritische Philologie ist nicht nur eine akademische Übung und Praxis, sondern ist uns behilflich, wichtige politisch-kulturelle Werte zu pflegen. Du bist, wie du liest, und zu lernen, verschieden zu lesen, bedeutet zu lernen, verschieden zu sein.