Die Übersetzung der Unabhängigkeit
Wie die Katalanen es erklären, wie wir es verstehen
Krystyna Schreiber
Die Übersetzung der Unabhängigkeit
Warum „Die Übersetzung der Unabhängigkeit“?
Was hat das mit der Unabhängigkeit Kataloniens zu tun?
Das Hauptanliegen der Übersetzung von Sprachen besteht in der Verständigung zwischen Völkern. Eine Übersetzung ist dann gelungen, wenn sie beim Leser des Zieltextes die gleiche, vom Autor gewünschte, Reaktion auslöst wie beim Leser des Originaltextes. Oftmals bedarf es dazu völlig anderer Wörter in der Zielsprache, um Inhalte und Konzepte einem Publikum mit einem anderen kulturellen und geschichtlichen Hintergrund verständlich zu machen.
Im heutigen Europa mit seiner großen Sprachenvielfalt machen die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit unseren europäischen Nachbarn täglich unzählige Übersetzungen erforderlich. Allerdings sind diese nicht immer automatisch mit dem Verständnis anderer Kulturen und Völker verbunden, besonders wenn man sich einer lingua franca wie dem Englischen oder Spanischen bedient. So herrscht zum Beispiel zwischen den Deutschen und den Katalanen ein reger Austausch; jährlich besuchen hunderttausende Deutsche die katalanische Metropole Barcelona und die Strände der Costa Brava, tausende Katalanen leben und arbeiten in Deutschland. Trotzdem ist vielen ausländischen Besuchern gar nicht bewusst, dass sie nach Katalonien reisen oder dass Katalanisch eine eigene Sprache ist und kein Dialekt des Spanischen. Denn die katalanische Identität, also die Sprache und die Kultur Kataloniens, wird vom spanischen Staat nicht gefördert. Es kostet die Katalanen viel Arbeit, bürgerliches Engagement und Einfallsreichtum, um international als jahrhundertealtes Volk Europas überhaupt wahrgenommen zu werden.
Dies könnte einer der Gründe sein, warum man immer noch relativ wenig über die Hintergründe und die Motivation der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen weiß, die in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt haben. Als ich im Jahr 2013 die Wahrnehmung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung in der deutschen Presselandschaft studierte 1, fiel mir als erstes auf, dass über Schottland vier- bis fünfmal so viel geschrieben wurde. Die Argumentation in der deutsch-sprachigen Presse (die Schweiz und Österreich eingeschlossen) orientierte sich außerdem fast unisono am Vergleich mit anderen europäischen Sezessionsbewegungen und übernahm die Perspektive der spanischen Medien. Objektive Fakten und selbst recherchierte Hintergründe der katalanischen Bewegung fand man kaum. Inzwischen steht diese Bewegung im internationalen Blickpunkt. Erreicht wurde das zum Großteil mit gigantischen Demonstrationen der katalanischen Bürger. Jahr um Jahr gehen mehr als eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße und fordern, darüber abstimmen zu dürfen, ob Katalonien ein neuer Staat werden soll oder nicht. Es ist ungewöhnlich, wenn sich in Zeiten von Individualismus und Wohlstand so viele europäische Bürger unterschiedlicher sozialer Herkunft und politischer Einstellungen in einer Sache so einig sind: dass ihre Heimat die Eigenstaatlichkeit braucht.
Warum sind die Katalanen so entschlossen? Sind die Veränderungen, die sie einfordern, nicht innerhalb des Staates Spanien möglich? Geht es ihnen wirklich so schlecht, dass sie einen Staat, der trotz Wirtschaftskrise immer noch ein Sozialstaat ist, verlassen wollen? Was würden die Katalanen in einem eigenen Staat besser machen? Welche Vorteile könnte eine Eigenstaatlichkeit bringen – nicht nur für die Katalanen, sondern auch für Deutschland und Europa? Und welche politischen und demokra-tischen Herausforderungen stellt diese friedliche Unabhängigkeitsbewegung für die Europäische Union dar?
Um Antworten auf diese und weitere Fragen habe ich unter anderem führende Persönlichkeiten der Unabhängigkeitbewegung sowie international anerkannte Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Recht und Politik gebeten.
In den Gesprächen werden auch Fragen wie das Selbstbestimmungsrecht im heutigen Europa aufgegriffen, eine direktere Beteiligung der Bürger an der europäischen Politik sowie die Notwendigkeit, die demokratischen Werte wiederzubeleben, die einen der Grundpfeiler der Europäischen Union bilden.
Krystyna Schreiber