Der Eigennutz

Der Eigennutz von Biehler,  Birgit
Im 16. Jahrhundert wurde eine nahezu alle Bevölkerungsschichten erfassende Diskussion über die Eigennützigkeit des Menschen geführt. Die Autorin untersucht zeitlich relativ dich beieinander liegende, inhaltlich aber extrem divergierende Beschreibungen und Deutungen des Eigennutzes, die das verblüffend breite Spektrum der damaligen Ansichten widerspiegeleln. Es geht dabei weniger um die Häufigkeit bestimmter Auffassungen vom Eigennutz, auch nicht um die Rekonstruktion einer angeblich linearen Entwicklung. Satt dessen wird zum einen der jeweilige soziale und ökonomische Hintergrund der einzelnen Autoren erfaßt, zum anderen werden bestimmte Denkmuster rekonstruiert, die als explizit oder stillschweigend voarusgesetzte Annahmen das Bild von der Natur des Menschen und der Welt prägten. Damit versucht Birgit Biehler die Frage zu beantworten, unter welchen materiellen und ideellen Voraussetzungen verschiedene Autoren fast zeitgleich den Eigennutz einmal als schlimmsten Feind der Menschheit, ein anderes Mal als wahren Vater des Gemeinwohls beschrieben haben. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Lehre Luthers, der Eigennutz sei als Ursünde eines alles Handeln der Menschen prägende Eigenschaft. Angesichts ökonimischer und sozialer Umwälzungen und gesellschaftlicher Konflikte zu Beginn der Neuzeit erschien eine solche Dominanz des Eigennutzes vielen Zeitgenossen nicht nur als eine aus religiöser Übersetzung behauptete, sondern als eine auch empirisch feststellbare Tatsache. »Eigennützigkeit« wurde dabei allerdings zu einem fast inflationär verwendeten Kampfbegriff - in den konfessionellen Auseinandersetzungen, im Bauernkrieg oder auch in den Klagen über die aktuellen Preissteigerungen und bei den damit zusammenhängenden Versuchen, mit den Mitteln des Reichsrechts gegen die großen Handelsgesellschaften vorzugehen. Diese Häufung bestärkte zwar die Annahme, es handele sich hier um eine universale Grundeigenschaft, verringerte aber andererseits zumindest tendenziell die Durchschlagskraft des Eigennutz-Vorwurfs. Denn wenn die Selbstbezogenheit als unausrottbare menschliche Eigenschaft auftrat, so konnte ihre Bekämpfung auch als vergeblich und sinnlos erscheinen, wenn die Ordnung der Gesellschaft nun einmal auf dem Eigennutz beruhte. So unternahmen denn Autoren aus dem Kreis der neuen bürgerlichen Funktionseliten im frühneuzeitlichen Staat bereits den - vielleicht nur scheinbar ironisch vorgetragenen - Versuch, die Selbstsucht zum nützlichen, ja notwendigen Teil einer gottgewollten Ordnung zu erklären, innerhalb derer aus dem Eigennutz der Individuen Harmonie und Prosperität der Gesellschaft erwuchsen. Am weitesten in diese Richtung gehen die hier besonders ausführlich untersuchten Texte Konrad Peutingers. Er vertrat in der Monopoldiskussion als juristischer Vertreter der reichen Handelsstadt Augsburg die großen Handelshäuser gegen den massiv erhobenen Eigennutz-Vorwand und gegen die Versuche, im Dienste des Gemeinwohls reichsrechtliche Kontrollbestimmungen, Kapitalbegrenzungen und höhere Besteuerung durchzusetzen. Aus dieser defensiven Position heraus verteidigte er den Eigennutz nicht nur als grundlegendes Handlungsmotiv des wirtschaftenden Menschen, sondern erklärte die freie Verfolgung eigener ökonomischer Interessen auch zur Grundvoraussetzung des allgemeinen Wohlstands und - als dessen Folge - auch des sozialen Friedens.
Aktualisiert: 2023-06-21
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Der Eigennutz

Der Eigennutz von Biehler,  Birgit
Im 16. Jahrhundert wurde eine nahezu alle Bevölkerungsschichten erfassende Diskussion über die Eigennützigkeit des Menschen geführt. Die Autorin untersucht zeitlich relativ dich beieinander liegende, inhaltlich aber extrem divergierende Beschreibungen und Deutungen des Eigennutzes, die das verblüffend breite Spektrum der damaligen Ansichten widerspiegeleln. Es geht dabei weniger um die Häufigkeit bestimmter Auffassungen vom Eigennutz, auch nicht um die Rekonstruktion einer angeblich linearen Entwicklung. Satt dessen wird zum einen der jeweilige soziale und ökonomische Hintergrund der einzelnen Autoren erfaßt, zum anderen werden bestimmte Denkmuster rekonstruiert, die als explizit oder stillschweigend voarusgesetzte Annahmen das Bild von der Natur des Menschen und der Welt prägten. Damit versucht Birgit Biehler die Frage zu beantworten, unter welchen materiellen und ideellen Voraussetzungen verschiedene Autoren fast zeitgleich den Eigennutz einmal als schlimmsten Feind der Menschheit, ein anderes Mal als wahren Vater des Gemeinwohls beschrieben haben. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Lehre Luthers, der Eigennutz sei als Ursünde eines alles Handeln der Menschen prägende Eigenschaft. Angesichts ökonimischer und sozialer Umwälzungen und gesellschaftlicher Konflikte zu Beginn der Neuzeit erschien eine solche Dominanz des Eigennutzes vielen Zeitgenossen nicht nur als eine aus religiöser Übersetzung behauptete, sondern als eine auch empirisch feststellbare Tatsache. »Eigennützigkeit« wurde dabei allerdings zu einem fast inflationär verwendeten Kampfbegriff - in den konfessionellen Auseinandersetzungen, im Bauernkrieg oder auch in den Klagen über die aktuellen Preissteigerungen und bei den damit zusammenhängenden Versuchen, mit den Mitteln des Reichsrechts gegen die großen Handelsgesellschaften vorzugehen. Diese Häufung bestärkte zwar die Annahme, es handele sich hier um eine universale Grundeigenschaft, verringerte aber andererseits zumindest tendenziell die Durchschlagskraft des Eigennutz-Vorwurfs. Denn wenn die Selbstbezogenheit als unausrottbare menschliche Eigenschaft auftrat, so konnte ihre Bekämpfung auch als vergeblich und sinnlos erscheinen, wenn die Ordnung der Gesellschaft nun einmal auf dem Eigennutz beruhte. So unternahmen denn Autoren aus dem Kreis der neuen bürgerlichen Funktionseliten im frühneuzeitlichen Staat bereits den - vielleicht nur scheinbar ironisch vorgetragenen - Versuch, die Selbstsucht zum nützlichen, ja notwendigen Teil einer gottgewollten Ordnung zu erklären, innerhalb derer aus dem Eigennutz der Individuen Harmonie und Prosperität der Gesellschaft erwuchsen. Am weitesten in diese Richtung gehen die hier besonders ausführlich untersuchten Texte Konrad Peutingers. Er vertrat in der Monopoldiskussion als juristischer Vertreter der reichen Handelsstadt Augsburg die großen Handelshäuser gegen den massiv erhobenen Eigennutz-Vorwand und gegen die Versuche, im Dienste des Gemeinwohls reichsrechtliche Kontrollbestimmungen, Kapitalbegrenzungen und höhere Besteuerung durchzusetzen. Aus dieser defensiven Position heraus verteidigte er den Eigennutz nicht nur als grundlegendes Handlungsmotiv des wirtschaftenden Menschen, sondern erklärte die freie Verfolgung eigener ökonomischer Interessen auch zur Grundvoraussetzung des allgemeinen Wohlstands und - als dessen Folge - auch des sozialen Friedens.
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Im 16. Jahrhundert wurde eine nahezu alle Bevölkerungsschichten erfassende Diskussion über die Eigennützigkeit des Menschen geführt. Die Autorin untersucht zeitlich relativ dich beieinander liegende, inhaltlich aber extrem divergierende Beschreibungen und Deutungen des Eigennutzes, die das verblüffend breite Spektrum der damaligen Ansichten widerspiegeleln. Es geht dabei weniger um die Häufigkeit bestimmter Auffassungen vom Eigennutz, auch nicht um die Rekonstruktion einer angeblich linearen Entwicklung. Satt dessen wird zum einen der jeweilige soziale und ökonomische Hintergrund der einzelnen Autoren erfaßt, zum anderen werden bestimmte Denkmuster rekonstruiert, die als explizit oder stillschweigend voarusgesetzte Annahmen das Bild von der Natur des Menschen und der Welt prägten. Damit versucht Birgit Biehler die Frage zu beantworten, unter welchen materiellen und ideellen Voraussetzungen verschiedene Autoren fast zeitgleich den Eigennutz einmal als schlimmsten Feind der Menschheit, ein anderes Mal als wahren Vater des Gemeinwohls beschrieben haben. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Lehre Luthers, der Eigennutz sei als Ursünde eines alles Handeln der Menschen prägende Eigenschaft. Angesichts ökonimischer und sozialer Umwälzungen und gesellschaftlicher Konflikte zu Beginn der Neuzeit erschien eine solche Dominanz des Eigennutzes vielen Zeitgenossen nicht nur als eine aus religiöser Übersetzung behauptete, sondern als eine auch empirisch feststellbare Tatsache. »Eigennützigkeit« wurde dabei allerdings zu einem fast inflationär verwendeten Kampfbegriff - in den konfessionellen Auseinandersetzungen, im Bauernkrieg oder auch in den Klagen über die aktuellen Preissteigerungen und bei den damit zusammenhängenden Versuchen, mit den Mitteln des Reichsrechts gegen die großen Handelsgesellschaften vorzugehen. Diese Häufung bestärkte zwar die Annahme, es handele sich hier um eine universale Grundeigenschaft, verringerte aber andererseits zumindest tendenziell die Durchschlagskraft des Eigennutz-Vorwurfs. Denn wenn die Selbstbezogenheit als unausrottbare menschliche Eigenschaft auftrat, so konnte ihre Bekämpfung auch als vergeblich und sinnlos erscheinen, wenn die Ordnung der Gesellschaft nun einmal auf dem Eigennutz beruhte. So unternahmen denn Autoren aus dem Kreis der neuen bürgerlichen Funktionseliten im frühneuzeitlichen Staat bereits den - vielleicht nur scheinbar ironisch vorgetragenen - Versuch, die Selbstsucht zum nützlichen, ja notwendigen Teil einer gottgewollten Ordnung zu erklären, innerhalb derer aus dem Eigennutz der Individuen Harmonie und Prosperität der Gesellschaft erwuchsen. Am weitesten in diese Richtung gehen die hier besonders ausführlich untersuchten Texte Konrad Peutingers. Er vertrat in der Monopoldiskussion als juristischer Vertreter der reichen Handelsstadt Augsburg die großen Handelshäuser gegen den massiv erhobenen Eigennutz-Vorwand und gegen die Versuche, im Dienste des Gemeinwohls reichsrechtliche Kontrollbestimmungen, Kapitalbegrenzungen und höhere Besteuerung durchzusetzen. Aus dieser defensiven Position heraus verteidigte er den Eigennutz nicht nur als grundlegendes Handlungsmotiv des wirtschaftenden Menschen, sondern erklärte die freie Verfolgung eigener ökonomischer Interessen auch zur Grundvoraussetzung des allgemeinen Wohlstands und - als dessen Folge - auch des sozialen Friedens.
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Im 16. Jahrhundert wurde eine nahezu alle Bevölkerungsschichten erfassende Diskussion über die Eigennützigkeit des Menschen geführt. Die Autorin untersucht zeitlich relativ dich beieinander liegende, inhaltlich aber extrem divergierende Beschreibungen und Deutungen des Eigennutzes, die das verblüffend breite Spektrum der damaligen Ansichten widerspiegeleln. Es geht dabei weniger um die Häufigkeit bestimmter Auffassungen vom Eigennutz, auch nicht um die Rekonstruktion einer angeblich linearen Entwicklung. Satt dessen wird zum einen der jeweilige soziale und ökonomische Hintergrund der einzelnen Autoren erfaßt, zum anderen werden bestimmte Denkmuster rekonstruiert, die als explizit oder stillschweigend voarusgesetzte Annahmen das Bild von der Natur des Menschen und der Welt prägten. Damit versucht Birgit Biehler die Frage zu beantworten, unter welchen materiellen und ideellen Voraussetzungen verschiedene Autoren fast zeitgleich den Eigennutz einmal als schlimmsten Feind der Menschheit, ein anderes Mal als wahren Vater des Gemeinwohls beschrieben haben. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Lehre Luthers, der Eigennutz sei als Ursünde eines alles Handeln der Menschen prägende Eigenschaft. Angesichts ökonimischer und sozialer Umwälzungen und gesellschaftlicher Konflikte zu Beginn der Neuzeit erschien eine solche Dominanz des Eigennutzes vielen Zeitgenossen nicht nur als eine aus religiöser Übersetzung behauptete, sondern als eine auch empirisch feststellbare Tatsache. »Eigennützigkeit« wurde dabei allerdings zu einem fast inflationär verwendeten Kampfbegriff - in den konfessionellen Auseinandersetzungen, im Bauernkrieg oder auch in den Klagen über die aktuellen Preissteigerungen und bei den damit zusammenhängenden Versuchen, mit den Mitteln des Reichsrechts gegen die großen Handelsgesellschaften vorzugehen. Diese Häufung bestärkte zwar die Annahme, es handele sich hier um eine universale Grundeigenschaft, verringerte aber andererseits zumindest tendenziell die Durchschlagskraft des Eigennutz-Vorwurfs. Denn wenn die Selbstbezogenheit als unausrottbare menschliche Eigenschaft auftrat, so konnte ihre Bekämpfung auch als vergeblich und sinnlos erscheinen, wenn die Ordnung der Gesellschaft nun einmal auf dem Eigennutz beruhte. So unternahmen denn Autoren aus dem Kreis der neuen bürgerlichen Funktionseliten im frühneuzeitlichen Staat bereits den - vielleicht nur scheinbar ironisch vorgetragenen - Versuch, die Selbstsucht zum nützlichen, ja notwendigen Teil einer gottgewollten Ordnung zu erklären, innerhalb derer aus dem Eigennutz der Individuen Harmonie und Prosperität der Gesellschaft erwuchsen. Am weitesten in diese Richtung gehen die hier besonders ausführlich untersuchten Texte Konrad Peutingers. Er vertrat in der Monopoldiskussion als juristischer Vertreter der reichen Handelsstadt Augsburg die großen Handelshäuser gegen den massiv erhobenen Eigennutz-Vorwand und gegen die Versuche, im Dienste des Gemeinwohls reichsrechtliche Kontrollbestimmungen, Kapitalbegrenzungen und höhere Besteuerung durchzusetzen. Aus dieser defensiven Position heraus verteidigte er den Eigennutz nicht nur als grundlegendes Handlungsmotiv des wirtschaftenden Menschen, sondern erklärte die freie Verfolgung eigener ökonomischer Interessen auch zur Grundvoraussetzung des allgemeinen Wohlstands und - als dessen Folge - auch des sozialen Friedens.
Aktualisiert: 2022-11-17
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