Neben Romanen scheinen Dramen, Theaterstücke, kurze Spiel-Szenen, Sprachmusik oder gar Libretti wie aus der Zeit gefallen. Und doch sind diese dramatischen Texte aus über drei Jahrzehnten kurzweilig, hintergründig und unterhaltsam - und überaus lesbar.
Vom an Sophokles erinnernden antiken Tragödien-Fragment rund um Phaëton (das Thema der heutigen Klimaaktivisten in seinen mythischen Kontext gerückt) bis hin zum Sprechmusik-Stück einer Hymnen-Collage wider den Nationalismus reicht der Bogen, der historische-regionale und weltpolitische, religiöse und zutiefst menschliche Themen umspannt. Bis zum Bänkelsang, zu Projekten für und mit Kindern und einem boulevardesken Libretto für eine Cross-Over-Opera rund um die "Affaire Mayerling" führen die dramatischen Formen. Sehr spannend die Darstellung starker Frauen, die sich durch einige der Stücke und Szenen zieht; "Die letzte Party" ist beispielsweise ein modernes letztes Abendmahl mit 14 Frauen im muffigen Schwarzwaldtal kurz vor der 2000er Jahrtausendwende - unbedingt lesenswert.
Sehr schön, dass uns der Autor in einem autobiografischen Vorwort in seine Bezüge und Zugänge zum Theater, zur Bühne und dem Spiel zwischen Realität und Fiktion blicken lässt, uns teilhaben lässt, wie der moderne Schriftsteller neben dem prallen Leben in anderen sozialen und beruflichen Kontexten immer wieder die Welt im Wort, im Vers, in der Szene und in größeren Handlungssträngen fiktional gestaltet, um aufzukären, Hintergründe gebrochen als Denkanregung anzubieten, oder um einfach nur zu unterhalten.
Nach der "Herrenalb-Trilogie" (salamandra edition Bd. 7) - eine Mythenkomödie, ein spätmittelalterliches Weltgerichtsspiel und eine Kriminalkomödie aus der Weimarer Republik umfassend - fächert Siegfried Carl in diesem Band seine noch weiter reichende, auch in kleineren Formen wirkende und im Dienst der Musik stehende inhaltliche und formale Vielfalt auf.
Aktualisiert: 2022-09-08
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Im ersten Moment erscheint "Ypsilon träumt" wie die faksimilierte wissenschaftliche Edition eines Frühdrucks des späten 15. Jahrhunderts, mit einer frühneuzeitlichen Verserzählung aus dem Umfeld Mechthilds von der Pfalz. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich die in kräftigen Sechshebern poetisch daherschreitende (Kurz-)Geschichte - am besten laut zu lesen! - als augenzwinkernde Analyse und Gegenüberstellung der Medienrevolutionen einerseits rund um die Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahren und andererseits rund um die Entwicklung von IT, Internet & Co. im ausgehenden 20. Jahrhundert. Dabei werden die als "Generation Y" bezeichneten ersten IT-Natives der zwischen 1980 und 2000 Geborenen mit einigen wichtigen durch diese Generation maßgeblich angestoßenen und ohne die massenhafte Verbreitung von häufig oberflächlicher, einseitiger und manches Mal falscher Information und Meinung ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit geratenen Themen inkl. gesellschaftspolitischen Problembereiche mit in den Blick genommen.
Ausgehend von der Frage, wie hätte sich ein Autor des 15. Jahrhunderts die informationstechnologische Zeitenwende mit wichtigen dadurch ausgelösten Entwicklungs- und Erosionsprozessen in einer utopischen Schau imaginieren können, erweckt der Autor die Typen im Setzkasten einer Gutenbergschen Druckerei im Mainz von 1480 zum Leben.
Dass die Leserinnen und Leser auch noch auf die Kunst des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und die Art und Weise, wie die oft abgehoben argumentierende Wissenschaft Neufunde von Frühdrucken präsentiert, ironisch übertreibend und unterhaltend eingestimmt werden, macht den mehrfachen Lesespaß des kleinen Bändchens aus.
Aktualisiert: 2022-08-27
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Siegfried Carl hat sich mit großem Respekt aber auch viel Spaß des alten Herrn Geheimrats Goethe und seiner direkt mit Wegbegleiterinnen in Verbindung zu bringenden Gedichte und Briefe angenommen und ihm aus diesen eigenen lyrischen und prosaischen und wenigen zugedichteten Worten (kursiv gesetzt) eine intime und doch auch öffentliche Lebensbeichte in den Mund gelegt. Sie löst die Differenz zwischen biografischem und lyrischem Ich fiktiv auf, indem sie beiden ihr Existenzrecht belässt, sie aber trotzdem als eines begreift, oder wie Goethe es ausdrückt:
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich eins und doppelt bin. (Ginko biloba)
Eine die "Trilogie der Leidenschaft" in den Mittelpunkt stellende, hoffentlich vergnügliche und auch des Nachdenkens werte Text-Kompilation, mit vielen klassisch gewordenen Versen des geheimen Rathes. Ein stimmungsvoll-melancholischer Text um die Lust, die Leidenschaft und das Leid, das die Liebe schafft, wenn sich einer ihr mit Hand, Herz und Hirn ausliefert und das Wertherische Blut pulsieren lässt.
Zu allen Frauengestalten sind Porträts - zum Teil von Goethe selbst gezeichnet - beigegeben. Zudem sind unter dem Titel "Das 'Wertherische Blut'" noch einige zusätzliche Gedanken und Materialien zum liebenden Goethe zugegeben.
Aktualisiert: 2022-04-29
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"Leben und Lassen" bringt überwiegend streng formgebundene Gedichte (Sonette, Kanzonen, diverse Reim- und Strophenformen etc.), die sich bewusst mit der lyrischen Tradition auseinandersetzen. Die Inhalte sind, dem Thema entsprechend, vielfältig - Politik, Religion, Zwischenmenschliches sind ebenso im Fokus wie die drängenden Fragen der Zeit - aber auch Fußball-Kanzonen zum Sommermärchen 2006 und witzige, satirische Verse finden sich in der Gedicht-Sammlung aus den vier vergangenen Jahrzehnten.
Für Liebhaberinnen und Liebhaber klassischer lyrischer Dichtkunst ist dieser Band genau der richtige Begleiter, um in ruhiger Stunde auf andere Gedanken zu kommen, sich hintergründigem sowie zugleich melodiös und rhythmisch anspruchsvollem Lektüregenuss hinzugeben. Das Gedicht, ursprüngliches und anspruchsvolles Mittel der zwischenmenschlichen öffentlichen Kommunikation, wird hier in seinem Wesen ernst genommen und ausgefüllt. Es regt an, erregt und regt auf; und hilft bestenfalls den Gedanken und der Phantasie auf die Sprünge.
In unsere hektischen, oberflächlichen und flatterhaften Häppchenkultur sind Gedichte, ist Lyrik ein retardierender Ankerplatz der Geistes- und Herzens-Bildung."Vielerorten steht sie [die Bildung], als unpraktische Umständlichkeit und eitle Widerspenstigkeit, dem Fortkommen bereits im Wege: wer noch weiß, was ein Gedicht ist, wird schwerlich eine gutbezahlte Stellung als Texter finden." so schon 1959 Theodor W. Adorno sehr pessimistisch in seinem Essay: Theorie der Halbbildung.
Aktualisiert: 2022-04-30
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"Siegfried Carl steht in einer langen und fruchtbaren Tradition von Dichtern, die zur Musik schreiben, über Musik sowie die Wirkungen und Gefühle, die Musik zu erreichen, anzusprechen und auszulösen in der Lage ist. Und er platziert sich damit in durchaus prominenter Gesellschaft. Seine im vorliegenden Band versammelten Gedichte sind in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entstanden und allesamt in Verbindung mit - eher mehr als weniger - bekannten Musikstücken; sie ließen sich von diesen inspirieren, kommentieren und reflektieren sie - und sind dabei auf einen ganz konkreten praktischen Gebrauch hin ausgerichtet. Der Leser möge sie laut lesen, und ganz ausdrücklich mögen sie (auch) im aktuellen Musik- und Konzertrepertoire als Zutat zum musikalischen Vortrag benutzt werden: als gesprochene Zwischentexte oder als begleitender, vertiefender und anregender Lesestoff im Programmheft." so der Musikwissenschaftler und -herausgeber Guido Johannes Joerg in seinem Nachwort "... und alles ward ..." des Lyrikbandes "Feier der Töne".
Rhythmus und Klang sowie großenteils formale Strenge - vom antiken (elegischen) Distichon über Stanzen und Sonette bis hin zu unterschiedlichen strophischen und freirhythmischen Formen - zeichnen diese Lyrik aus. Sie entführt in musikalischen Klangwelten und verbindet die durch Musik ausgelösten Emotionen mit den sprachlich vermittelten Phantasiewelten - lyrisch beredte Musik-Interpretation und Komponisten-Annäherung.
Das hier wieder abgedruckte "Aschenputtel" hat es in den 1990ern vom Abendprogramm des Theaters Bremerhaven bis in ein Schulbuch des Schöningh-Verlages gebracht - es wartet darauf, künstlerisch bunt bebildert für junge und ältere Menschen herausgegeben zu werden.
Aktualisiert: 2022-04-28
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Zutiefst menschlich aber auch philosophisch mit Rückgriff auf eine lange abendländische Kulturtradition geht es zu in den lyrischen"Metamorphosen", den Wandlungen alter Gedanken, Ideen und Ereignisse ins Jetzt. Eine Näherung an alte Sentenzen, die zehn Gebote, die Sulamith des Hohen Liedes, alte Mythen vom Weltuntergang und historische Gestalten, verwoben mit zutiefst Eigenem, Persönlichem des Autors.
Stets geschrieben in Achtung vor der Macht der Sprache und der Kraft historischer Tradition.
Im ersten Moment erscheint beispielsweise der "Sonnengesang" als fast szenische Darstellung eines alten Mythos, auf den zweiten Blick entpuppt er sich als ein Durchgang durch die Poetik von antiken Metren hin zu freirhythmischen und wieder streng strophischen Formen in der Tradition der Weimarer Klassik, und auf der dritten Ebene steht der Aufruf zum Bewahren der Schöpfung und der Warnung vor unbedachter Hybris.
Alle Zyklen spielen in vergleichlicher Weise mit Tradition und Gegenwart. Ein großer Lesegenuss für Emotion und Intellekt.
Ein Lesebeispiel:
memento mori (3)
Abend senkt sich,
Nachtigallen schlagen
melodiös die Nacht hervor.
Klagen wird so manche Stimme
in dem Dunkel,
dem kein Ohr geschenkt.
Fragen graben tief ins Herz,
und hervor quillt
Schmerz, noch unerhört.
Und der Vorhang
senkt zum letzten Mal sich -
kein Applaus.
Aktualisiert: 2022-04-28
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In seinem "Herzensbrecher und Zungenmesser" betitelten Nachwort zitiert Jakob Ossner den französischen Philosophen und Literaten Blaise Pascal: "Das Herz hat seine Vernunft, die der Verstand nicht kennt."
Die Vernunft des Herzens korrespondiert mit der Unvernunft der Liebe - diesem Verhältnis nachzuspüren, in gereimten und ungereimten, strophischen und freirhythmischen Gedichten, immer den Sehnsuchts-Klang der Nachtigall im Dämmern der Nacht und die Enttäuschung-Melodie der Lerche beim hart-hellen Sonnenaufgang im Ohr, hat sich der Autor aufgemacht. In stets neuen Annäherungen seziert, definiert, erahnt und umkreist er, sprachlich seinem Gegenstand "Liebe" mit Respekt begegnend, Spielarten dieser Liebe zwischen den Geschlechtern. Vom zarten ersten Blick, der Verliebtheit und Begierde über die Momente der geistigen, emotionalen und körperlichen Vertrautheit und Vereinigung, bis hin zur Verzweiflung in Trennung und Verlust, reichen die Themen wie auch die Gefühlslagen. Ein kleines lyrisches Beispiel aus dem Band:
Artistik
Lass mich
dein Netz sein,
dein doppelter Boden,
beim Drahtseilakt des Lebens.
Lass dich
in mich fallen,
vertrau dich mir an,
nach gelungenem Salto Mortale.
Lass uns
einander halten,
in Freude und Leid;
wir sind uns Applaus genug.
Aktualisiert: 2022-04-27
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Ein spät-mittelalterliches Weltgerichtsspiel aus dem Jahr 1499 um den "Leibhaftigen" und wie die Inquisition nicht über die Liebe triumphiert; eine anspielungsreich mit der klassischen deutschen Literatur spielende Mythenkomödie rund um die Quell-Nymphe "Alva" und den Götterliebling "Ganymed", der als "Aquarius" im Sternbild "Wassermann" unsterblich wurde; und eine Kriminalstory im mondänen Kurort der Weimarer Republik zur Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus' und der damit einhergehenden Judenfeindlichkeit. Das ist die "Herrenalb Trilogie" - drei Stücke, angesiedelt im malerischen Nordschwarzwälder Herrenalb und dort auch in den drei Jahren um die letzte Jahrtausendwende uraufgeführt.
Die Stücke entführen jeweils zeitgebunden in die Welt der Liebe und die diversen Möglichkeiten der Anfechtung, der Verhinderung, bis hin zur drohenden oder tatsächlichen Katastrophe...
Im ersten Moment mag die dramatische Form des Theaterstücks für den "Leser" befremdlich erscheinen, aber es kann extrem Spaß machen, im Kopfkino die Szenen zum Leben zu erwecken, sich von den Dialogen in eine fremde Welt entführen zu lassen. Theater findet nicht nur auf den Bühnen der Welt statt, sondern auch in den Gedanken phantasiebegabter Leserinnen und Leser.
Aktualisiert: 2022-04-27
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