„Meeresvögel fliegen auf“
Liebesgedichte aus zehn Jahren von Uli Rothfuss
Gedichte zu schreiben, ist wahrlich eine Kunst. Das ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Ebensowenig ist es ein Geheimnis, dass es sich dabei leider um eine „brotlose Kunst“ handelt. Zumindest heutzutage und hierzulande, auch wenn wir auf eine lange deutschsprachige Lyriktradition zurückblicken können. Denn die Publikumsverlage machen einen großen Bogen um diese schöne Literaturgattung. Kein Wunder, könnte man sagen. Wer liest denn noch heutzutage Gedichte? Und wer kauft sie, die schönen Gedichtbände? Wenige Menschen. Also verlegen die großen Publikumsverlage keine Gedichte, sondern verlegen sich auf den literarischen Mainstream, den Zeitgeist und die Trends, die dann von einem Verlag auf den anderen übergreifen. Wer so wie ich als Literaturkritiker die Verlagsprogramme und Kataloge der letzten zwanzig Jahre im Geiste Revue passieren lässt, weiß, was ich meine: Einige Jahre lang wird mit Wölfen und anderen Tieren getanzt, dann mit Pferden oder dem Wind geflüstert. Einige Jahre lang dominieren Zauberlehrlinge die Szene und den Buchmarkt, um dann von Vampiren abgelöst zu werden und so weiter und so fort. Natürlich nicht zu vergessen die Fantasy-Serien, die von vornherein als Tri- oder gar Tetralogien konzipiert werden, oder aber die Regionalkrimis, die wie Pilze aus dem Boden schießen, und zumeist nicht das einlösen, was wir unter guter Literatur verstehen.
Wenn also jemand heutzutage Gedichte schreibt und auch einen engagierten Verlag findet, der diese veröffentlicht, dann geschieht das sicher nicht aus finanziellem Kalkül. Weder beim Verlag noch beim Autor. Andere Gründe, literarische, ästhetische und vielleicht auch kulturvermittelnde Gründe könnten da eher eine Rolle spielen. Und mit den Stichworten Literatur, Ästhetik und Literaturvermittlung wären wir bei dem Verfasser der Gedichte, die in dieser Sammlung vorliegen: Uli Rothfuss.
Uli Rothfuss ist – man würde im Volksmund sagen – eine „schillernde Figur“ im positiven Sinne. Oder anders gesagt: Er ist ein Multitalent. Denn er hat, was die Literatur und die Lehrtätigkeit, was die Ästhetik und die Kulturvermittlung betrifft, bisher eine sehr bewegte, abwechslungsreiche und überaus beeindruckende Laufbahn hinter sich. Wer sich mit seinem akademischen und publizistischen Lebenslauf, mit seinen Studien und Abschlüssen, mit seinen Forschungsprojekten und Lehrtätigkeiten in Deutschland und im Ausland und auch mit seinem literarischen Werk etwas ausführlicher beschäftigt, wird voller Bewunderung feststellen, zu welchen Leistungen ein engagierter Mensch mit unheimlicher Schaffenskraft fähig ist. Hier soll der Kürze wegen lediglich erwähnt werden, dass der Professor für Sozial- und Kulturwissenschaften neben anderen Abschlüssen auch mit zwei Ehrendoktortiteln aufwarten kann. Darüber hinaus auch mit diversen Stipendien, Auszeichnungen und Ehrenmedaillen unter anderem in Frankreich, Großbritannien, Polen und Aserbaidschan.
Uli Rothfuss engagiert sich auch in zahlreichen akademischen, sozialen und literarischen Projekten, Organisationen und Gremien, deren Aufzählung den Rahmen dieses kurzen Vorworts bei weitem sprengen würde. Auf dem weiten Feld der Literatur soll an dieser Stelle nur aufgeführt werden, dass er Mitglied des VS (Verband deutscher Schriftsteller), des PEN-Zentrums Deutschland ist und sich seit vielen Jahren als Präsident der Europäischen Autorenvereinigung „Die Kogge“ engagiert, deren Werdegang er, auch angesichts von massiven Kürzungen der öffentlichen Hand für literarische Gesellschaften, maßgeblich beeinflusst hat.
Seit einigen Jahren nun leitet Uli Rothfuss das Hochschulprogramm und die Akademie Faber-Castell für Kunst, Design und Literatur in Stein bei Nürnberg. Eine anspruchsvolle und auch kreative Tätigkeit, für die nicht umsonst viel Zeit und Energie vonnöten ist. Aber er schreibt weiterhin. Das geht natürlich nur mit Disziplin, Fleiß und literarischer Arbeit. Nicht umsonst schreibt der italienische Schriftsteller Umberto Eco in seiner Nachschrift zum Roman „Der Name der Rose“ über den erzählerischen Arbeitsprozess, dass das Genie zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration bestehe. Prägnanter lässt sich sicher nicht ausdrücken, dass Schreiben auch Handwerk ist. Dieses Handwerk beherrscht Uli Rothfuss ohne Zweifel. Und – damit sind wir schon wieder beim Ausdruck „Multitalent“ - er beherrscht es über alle Gattungen und Genres hinweg. Sein bisheriges imposantes Werk umfasst über zwei Dutzend eigenständige Publikationen. Romane für Jugendliche und Erwachsenen sind darunter ebenso zu finden wie Lyrik, Erzählungen, Essays und Krimis, aber auch Theaterstücke und Reiseführer. Dabei bleibt als literarisches „Sahnehäubchen“ noch festzuhalten, dass Bücher von ihm in andere Sprachen übersetzt worden sind. Für einen Schriftsteller sicherlich eine Auszeichnung und Anerkennung der besonderen Art, was die Rezeption des eigenen Werkes betrifft.
Dieser Band enthält keine herkömmlichen Gedichte, sondern Liebesgedichte aus zehn Jahren. Das ist bemerkenswert, sind doch Liebesgedichte eine zum Teil sehr persönliche, zum Teil sehr mutige Weise, sich lyrisch auszudrücken, insbesondere in dieser schnellebigen Zeit, in der viele Menschen ihr Augenmerk eher auf ihre Smartphones richten denn auf Literatur. Ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Gedichte bereits bei der ersten Lektüre verständlich und auch zugänglich sind. Im Gegensatz zu anderen modernen Dichtern, die sich gelegentlich gerne hinter verschlüsselten, hermetisch abgeriegelten Bildern und Sprachkonstruktionen „verstecken“, benutzt Uli Rothfuss bewusst eine einfache gleichwohl poetische Sprache. Die hier versammelten Gedichte zeichnen sich allesamt durch eine ruhige, unprätentiöse und ungekünstelte Sprache aus, sie sind unverkrampft, auch wenn sie gelegentlich Melancholie, Sehnsucht und auch emotionalen Schmerz in sich tragen, und sie sind lebendig, ohne deshalb lyrische Qualität einzubüßen.
Es kann und sollte auch nicht die Aufgabe sein, in einem Vorwort die Gedichte für die Leserschaft „aufzubereiten“ oder sie gar zu interpretieren. Das wäre zu schade. Denn ein Gedicht wird einmal geschrieben, aber mehrfach gelesen und gedeutet. Die sprachlichen Bilder, die ausdrucksstarken Symbole und Metaphern, von denen es in dieser Sammlung viele gibt, sprechen womöglich jeden einzelnen Leser oder jede einzelne Leserin auf unterschiedliche Weise an. Und das ist auch gut so.
Aber so viel darf trotz dieser Prämisse zum Abschluss dieses kurzen Vorworts gesagt werden dürfen: Wer sich die Texte in diesem Band liest, wird recht bald ein Gefühl dafür bekommen, dass diese Gedichte Verstand und Gefühl gleichermaßen ansprechen. Uli Rothfuss schafft es, seine Leser zu berühren, ohne ästhetisches Empfinden zu verletzen. Er kann mit Hilfe sprachlicher Bilder Gefühl zeigen, ohne trivial zu sein. Das ist heutzutage wahrlich Teil der Kunst, von der im Auftakt dieses Vorworts die Rede gewesen ist!
Nevfel Cumart
Bamberg, Juli 2017