Sebastian Franck (1499-1542), der große Toleranzphilosoph des deutschen Renaissancezeitalters, der in seiner Zeit einer der meistgelesenen und bei den Ideologen von Reformation und Gegenreformation meistgehaßten Geister Deutschlands war, verdient eine interkulturelle Lektüre, und zwar in dreierlei Hinsichten:
1. als Volksschriftsteller aus Leidenschaft und Überzeugung eröffnete er - im übrigen Pionier der deutschsprachigen Literatur - für seine Leser Einblicke in kulturelle Unterschiede, die für ihn Vielfalt verkörperten und damit das Wesen von Gott, Geist und Natur.
Natürlich widerspricht diese Liebe zu den kulturellen Ausprägungen und Landesnaturen auf den ersten Blick dem rigorosen Spiritualismus, in den sich Franck als Historiker hineinsteigerte, einen Spiritualismus, für den doch alles "Äußerliche" bedeutungslos sei - aber diese einseitige Deutung geht eben an dem vorbei, was in den Augen Francks aus dem "Schönen und Nützlichen" zu erlernen war.
2. als stärkste Waffe gegen den Konfessionalismus fand er das Lob der muslimischen und türkischen Kultur; seine "Türkenchronik" überzeugte unzählige Leser davon, daß die entstehende Feindseligkeit zwischen Katholizismus und Protestantismus kontraproduktiv und unchristlich sei, womit eine Anerkennung fremder Kultur als Waffe für die Aufklärung und Freiheit der Geister leider noch zu schwach war.
Immer schon ist Franck wegen seines Pazifismus und wegen seiner Toleranzforderung gerühmt und gelesen worden, die aber erst dann in ihrer wahren Radikalität erkennbar werden, wenn man sein Buch des Durchbruchs, mit dem er erstmals eine philosophische Position gewinnt und einnimmt, in ihrer Entstehungszeit richtig versteht. Die Chronica und Abconterfayung der Türckey wurde von ihren Zeitgenossen viel besser verstanden als von der modernen Wissenschaft, die in mancher Hinsicht das Vorurteil der Reformatoren teilte. Nach deren Missdeutung hätte Franck seine kühnen spiritualistischen Ideen nur mit historischen und geographischen Sensationen unterfüttert, um sie so besser unter die Leute zu bringen; dabei entgleitet die argumentative Bedeutung der Stoffe dem Auge der Kritiker. Gerade das entschiedene Eintreten für Juden und Muslime war eine logische Voraussetzung für Francks Abscheu gegenüber der Aufteilung des Christentums in Sekten.
3. als Symbol für eine besonders wehrlose Konzeption von Wissenschaft, die wegen ihrem Mut zur Opposition akkurat von jenen Kräften mißbraucht und verdreht werden kann, gegen die sie zur Besinnung ruft.
Es handelt sich in der Tat um eine verwirrende dialektische Verkehrung, der Francks Unparteilichkeit zum Opfer fallen musste. Gerade dieser jeder Parteilichkeit und jeder Gruppenidentität gegenüber immune Denker eignete sich aus dem einfachen Grunde, daß er alle herrschenden Strömungen kritisiert hatte, dafür, von neuen, zur Lehrmacht drängenden Strömungen mißbraucht zu werden. So erscheint in der Mitte des 19. Jahrhundert ein liberalistischer und nationalistischer Franck, danach im Zeichen des Kulturkampfes ein antikatholischer und ein antilutherischer; in den Texten der Arbeiterbewegung ein sozialistischer, in denen der Jugendbewegung ein freigeistig-monistischer und in denen der nationalsozialistischen Zeit sogar ein rassistischer und deutscher Philosoph - der dies doch alles nicht war.
Darum ist es dank der bisher noch nicht durchgeführten Analyse von Francks eigener Interkulturalität möglich, nachhaltige Gründe zu formulieren, die die Vernachlässigung seines Beitrags zur Philosophiegeschichte als das erscheinen lassen, was sie wirklich ist: Panik angesichts der Relativierung eines konkurrenzlosen Entwicklungsgangs der "Weltgeschichte der Philosophie", die schon früh - schon im Renaissancezeitakter - nur provinziell europäisch scheint. Da der durch das 19. und 20. Jahrhundert verschuldete Mißbrauchsverdacht vermutlich auch dieser jüngsten Aktualisierung entgegengesetzt werden wird, sei betont, daß die interkulturelle Lesart gerade das Remedium und nicht die Wiederkehr für parteiische Francklektüre darstellt.
Aktualisiert: 2020-01-01
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Helmuth Plessner (1892-1985), der große Sozialphilosoph in der vergangenen Jahrhundertmitte, der in seiner schöpferischen Alterswirksamkeit einer der prägenden Geister der Bundesrepublik Deutschland war, verdient eine interkulturelle Lektüre, und zwar in dreierlei Hinsichten:
1. als Prototyp eines denkenden Menschen im "Kulturschock":
Als Repräsentant einer Gesellschaft, die, aus kindlicher Unschuld gerissen, von sich selbst entfernt und von fremden (siegreichen) Gesellschaften überwunden wird, setzt sich Plessner, der vermeintliche Weltbürger und "Amerikaner", beim offensichtlich kleinen Übergang von Deutschland nach Holland einem Schock der Überraschung und Enttäuschung aus, den er lebenslang verarbeiten und mit einem Sinn erfüllen muss. Indem er sich verständlich macht als Lehrer und Schriftsteller, erfüllt er die Aufgabe, Menschen dazu zu bewegen, die großen kulturellen Distanzen zu fühlen, die sie im Alltag verdrängen, indem sie ohne zureichenden Grund glauben, "dieselben" zu sein, während sie doch in Generationen und Subkulturen gar nicht anders leben können als in einer Konfrontation mit sich selbst als dem "andern als alle andern".
2. als lebenslang sich wandelnder und werdender Philosoph, der alle Positionen so überwand und transzendierte, dass er sich in anderer Kultur spiegelte und so zu sich selbst fand.
Wie Petrarca als erster Europäer einen hohen Berg bestieg, auf dem ihn der Satz Augustins erschütterte: Die Menschen besteigen die Berge und betrachten die Länder, und haben nicht Acht ihrer selbst; so schöpft Plessner aus den Kulturbegegnungen die Freiheit, immer tiefer und wahrhafter aus dem realen Dasein der Menschen und Gesellschaften Vielfaltsbedingungen und Vielfaltsvoraussetzungen zu isolieren. Diese machen es möglich, als sicher geglaubte Kategorien des Menschlichen in ihrer Eingeschränktheit und Bedürftigkeit zu kritisieren und zu erweitern - woraus die Plessnersche Philosophie eine Leidenschaft der Selbstkorrektur und Selbstabschaffung herauszog.
3. als Schöpfer einer neuen philosophischen Wissenschaft, die Interkulturalität zum Wesenskern des Menschen rechnet.
Die Anthropologie Plessners ist weit von dem entfernt, was ihre Gegner gern in sie hinein zu lesen verstanden. Sie will alles andere als ein festes, über Geschichte und Biologie erhabenes Menschenwesen postulieren. Vielmehr lehrt sie, in jeder kulturellen Erscheinung eine Möglichkeit unter vielen zu sehen, die überhaupt nur ist, was sie ist, weil sie eine unter vielen ist: Sprache ist gar nicht Sprache, außer sie versteht sich im Verhältnis zu andern als eine Fremdsprache, Kunst ist nichts wert, wenn sie nicht im Verzicht auf überlegene andere Tonalitäten besteht, Sitte hat überhaupt nur einen Sinn, wenn sie sich von anderer Sitte betrachten und in Frage stellen lässt.
So ist es dank der Plessnerschen Anthropologie möglich, jenseits des Rassismus und des Sexismus einen fundierenden Ungeist zu erkennen, den man als "Kulturismus" auffassen und überwinden könnte. Nicht aus deklamatorischem Humanismus, sondern aus den Wesensgesetzen von Kultur leitet er eine interkulturelle Natur des Menschen her. Wie der Mensch primär in einer Mitwelt lebt, lange bevor er eine Innen- und eine Außenwelt bilden und in Gegensatz zueinander bringen kann, findet sich auch seine Kultur in einer Mitwelt von Kulturen, und kann sich nur so nach außen zur Geltung bringen und nach innen entfalten.
Aktualisiert: 2020-01-01
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Die Geissel des 20. Jahrhunderts, der Völkermord, den man nach der Judenverfolgung unter Hitler bereits tot geglaubt hatte, ist mit Ruanda und Jugoslawien wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Das vorliegende Buch lädt mit facettenreichen Beiträgen zu einer breiten, interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Faktum der systematischen Vernichtung einer Volksgruppe ein.
Am Beispiel des langen Weges zur Anerkennung und Verurteilung des Völkermordes an den Armeniern, den die Türkei noch heute leugnet, werden politische und rechtliche Probleme verdeutlicht. Nationalrätin Angéline Fankhauser versucht die stumme Haltung des Nationalrates gegenüber der Petition zur Anerkennung und Verurteilung dieses Völkermordes zu erklären. Der Strafrechtsprofessor Marcel Niggli beleuchtet die Rechtslage für die noch hängige Anzeige gegen die Gegenpetition mehrerer türkischer Vereine, in welcher der Völkermord abgestritten wird, was nach dem neuen Antirassismusartikel unzulässig ist. Der Historiker und US-Armenier Prof. Vahakn Dadrian schildert die Abläufe und Hintergründe dieses Genozids. Beiträge, welche die damaligen Reaktionen in der schweizerischen Presse und Öffentlichkeit sowie die weltweiten Vorstösse zur Verurteilung und die türkischen Gegenmassnahmen nachzeichnen, runden das Bild ab.
Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes war eine der ersten Initiativen der neu gegründeten UNO. Dieses Abkommen von 1948 wird erst jetzt in Bern zur Unterzeichnung vorbereitet und voraussichtlich Ende 1997 dem Parlament zur Ratifikation vorgelegt. Der schweizerische Völkerrechtler Prof. Dietrich Schindler stellt diese Konvention vor. In weiteren Artikeln werden Fragen der Umsetzung in nationales Recht sowie der Anwendung in Ruanda diskutiert. Vom Konzept des Ethnonationalismus ausgehend, analysiert der Historiker Urs Altermatt die Herausforderungen der internationalen Staatengemeinschaft in Ex-Jugoslawien.
Der Völkermord betrifft uns alle. Eine Schlüsselrolle kommt den Historikern, Schriftstellern und Journalisten zu, die das Geschichtsbild der Öffentlichkeit stark prägen und gegen das Vergessen und Verdrängen ankämpfen. Drei junge Historikerinnen und Historiker zeichnen die Auseinandersetzung mit der Shoa im Laufe der Zeit in der Literatur und Geschichtsschreibung nach und reflektieren die Aufarbeitung der Schweizer Geschichte. Der Geschichtsphilosoph Christophf Dejung wirft grundsätzliche Fragen zur Beschäftigung mit dem Thema Völkermord auf, und NZZ-Redaktor Reinhard Meier legt dar, weshalb die Auseinandersetzung mit Jahrzehnte zurückliegenden Ereignissen für demokratische Gesellschaften unerlässlich, ja sogar nützlich ist.
Das vorliegende Buch lädt mit Beiträgen zu Recht, Politik und Geschichte zu einer breiten, interdisziplinären Auseinandersetzung mit Völkermord und dessen Verdrängung ein.
Aktualisiert: 2018-10-15
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Sebastian Franck wurde vor 500 Jahren geboren. Dieser Band will anläßlich dieser Halbjahrtausendzäsur an sein Leben und Werk erinnern. Als einer der großen Volksschriftsteller und Wissensvermittler der Frühen Neuzeit hat er für Theologie und Philosophie, für Geschichte, Sprachwissenschaft und Volkskunde, für Geographie und Landesgeschichte sowie das politische Denken seiner Zeit wegweisende wie originelle Beiträge hinterlassen. Als zutiefst gläubiger und vom Humanismus geprägter Mensch war Francks Leben geprägt von der Suche nach einem tragfähigen sittlich-moralischen Lebenskonzept. In seinen Publikationen beschäftigte er sich zum größten Teil mit der Suche nach vertretbaren Lösungen der Probleme der Reformationszeit, die sich stark von den Lösungen des Katholizismus und des gerade entstandenen Luthertums unterschieden, was zu großem Widerstand unter den Vertretern dieser beiden Konfessionen, so z.B. auch Martin Luther oder Philipp Melanchthon, führte. Sebastian Franck gilt als einer der “Radikalen der Reformation”. Als Vertreter der sogenannten “dritten Kraft”, deren Ziel u.a. eine bessere Welt, in der die ursprüngliche Intention des Evangelismus herrschend und bestimmend ist, war, konnte er weder Staat und Kirche noch die breiten Massen für sich gewinnen. Doch was zu seiner Zeit noch als radikal galt, wurde relativ rasch zur Norm, zur Basis für weitergehende Forderungen, wodurch Francks Ideen bis in die moderne Zeit hinein ihre Bedeutung nicht verloren haben.In diesem Memoria-Band behandeln Vertreter verschiedenster Disziplinen jeweils einen Aspekt Franckschen Schaffens und Wirkens, wodurch weder eine generelle noch eine partielle Wertung wiedergegeben wird, sondern verschiedenste Ergebnisse in einem Buch vereint werden.
Aktualisiert: 2020-01-20
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Aktualisiert: 2018-10-15
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Sebastian Franck’s so-called ›Geschichtsbibel‹ (Historical Bible), published in 1531, became part of the history of ideas. It is however the five books written between 1528 and 1530, which are compiled in the first volume of the edition, which are more useful for gaining a deeper understanding of his background and of his novel and controversial point of view. Sebastian Franck›s early works were without exception translations whose meaning was however changed and even partially reversed by the editor. The process of a paraphrasing problematization, which was typical of Franck, made a commentary imperative, and that is what has been done here. The significance of the idea of a spirituality which transcended all confessions and religions, an idea which was extremely dangerous at that time, emerges when all the modifications in Franck‹s editing become visible. The commentary gives a picture of the young writer’s search in his thoughts and works which will be of interest not only to experts in this field but also to those readers who are less familiar with early Early New High German.
Aktualisiert: 2023-03-14
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Wer interessiert sich heute nicht für Fragen des Friedens, der Menschenrechte und der Humanität? Helmuth Plessner entdeckte Wege, die weder in einen vorschnellen Optimismus noch einen lähmenden Pessimismus münden, und die nichts von ihrer Gültigkeit eingebüsst haben. Wer fragt heute nicht, was 'das menschliche Bewusstsein' ist und wer möchte nicht verstehen, was eigentlich Leben ist? Auf diese elementaren Fragen gab Helmuth Plessner hinreissende und inspirierende neue Antworten.
Helmuth Plessner (1892-1985) gilt neben Max Scheler und Arnold Gehlen als Begründer der philosophischen Anthropologie. Seine Bücher gehören zu den originellsten und wichtigsten Leistungen der deutschen Philosophie des letzten Jahrhunderts.
Die Biografie versucht Helmuth Plessners Leben aus dessen Werken und die Werke aus seinem Leben zu verstehen. Christoph Dejung, Lehrer für Geschichte und Philosophie in Zürich, hat ein seiten- und kenntnisreiches Werk geschrieben, das 'auf vielen Ebenen auch Geistesgeschichte eines Jahrhunderts' ist
Aktualisiert: 2022-02-21
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Sebastian Franck (1499-1542), der große Toleranzphilosoph des deutschen Renaissancezeitalters, der in seiner Zeit einer der meistgelesenen und bei den Ideologen von Reformation und Gegenreformation meistgehaßten Geister Deutschlands war, verdient eine interkulturelle Lektüre, und zwar in dreierlei Hinsichten:
1. als Volksschriftsteller aus Leidenschaft und Überzeugung eröffnete er - im übrigen Pionier der deutschsprachigen Literatur - für seine Leser Einblicke in kulturelle Unterschiede, die für ihn Vielfalt verkörperten und damit das Wesen von Gott, Geist und Natur.
Natürlich widerspricht diese Liebe zu den kulturellen Ausprägungen und Landesnaturen auf den ersten Blick dem rigorosen Spiritualismus, in den sich Franck als Historiker hineinsteigerte, einen Spiritualismus, für den doch alles "Äußerliche" bedeutungslos sei - aber diese einseitige Deutung geht eben an dem vorbei, was in den Augen Francks aus dem "Schönen und Nützlichen" zu erlernen war.
2. als stärkste Waffe gegen den Konfessionalismus fand er das Lob der muslimischen und türkischen Kultur; seine "Türkenchronik" überzeugte unzählige Leser davon, daß die entstehende Feindseligkeit zwischen Katholizismus und Protestantismus kontraproduktiv und unchristlich sei, womit eine Anerkennung fremder Kultur als Waffe für die Aufklärung und Freiheit der Geister leider noch zu schwach war.
Immer schon ist Franck wegen seines Pazifismus und wegen seiner Toleranzforderung gerühmt und gelesen worden, die aber erst dann in ihrer wahren Radikalität erkennbar werden, wenn man sein Buch des Durchbruchs, mit dem er erstmals eine philosophische Position gewinnt und einnimmt, in ihrer Entstehungszeit richtig versteht. Die Chronica und Abconterfayung der Türckey wurde von ihren Zeitgenossen viel besser verstanden als von der modernen Wissenschaft, die in mancher Hinsicht das Vorurteil der Reformatoren teilte. Nach deren Missdeutung hätte Franck seine kühnen spiritualistischen Ideen nur mit historischen und geographischen Sensationen unterfüttert, um sie so besser unter die Leute zu bringen; dabei entgleitet die argumentative Bedeutung der Stoffe dem Auge der Kritiker. Gerade das entschiedene Eintreten für Juden und Muslime war eine logische Voraussetzung für Francks Abscheu gegenüber der Aufteilung des Christentums in Sekten.
3. als Symbol für eine besonders wehrlose Konzeption von Wissenschaft, die wegen ihrem Mut zur Opposition akkurat von jenen Kräften mißbraucht und verdreht werden kann, gegen die sie zur Besinnung ruft.
Es handelt sich in der Tat um eine verwirrende dialektische Verkehrung, der Francks Unparteilichkeit zum Opfer fallen musste. Gerade dieser jeder Parteilichkeit und jeder Gruppenidentität gegenüber immune Denker eignete sich aus dem einfachen Grunde, daß er alle herrschenden Strömungen kritisiert hatte, dafür, von neuen, zur Lehrmacht drängenden Strömungen mißbraucht zu werden. So erscheint in der Mitte des 19. Jahrhundert ein liberalistischer und nationalistischer Franck, danach im Zeichen des Kulturkampfes ein antikatholischer und ein antilutherischer; in den Texten der Arbeiterbewegung ein sozialistischer, in denen der Jugendbewegung ein freigeistig-monistischer und in denen der nationalsozialistischen Zeit sogar ein rassistischer und deutscher Philosoph - der dies doch alles nicht war.
Darum ist es dank der bisher noch nicht durchgeführten Analyse von Francks eigener Interkulturalität möglich, nachhaltige Gründe zu formulieren, die die Vernachlässigung seines Beitrags zur Philosophiegeschichte als das erscheinen lassen, was sie wirklich ist: Panik angesichts der Relativierung eines konkurrenzlosen Entwicklungsgangs der "Weltgeschichte der Philosophie", die schon früh - schon im Renaissancezeitakter - nur provinziell europäisch scheint. Da der durch das 19. und 20. Jahrhundert verschuldete Mißbrauchsverdacht vermutlich auch dieser jüngsten Aktualisierung entgegengesetzt werden wird, sei betont, daß die interkulturelle Lesart gerade das Remedium und nicht die Wiederkehr für parteiische Francklektüre darstellt.
Aktualisiert: 2019-01-08
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Helmuth Plessner (1892-1985), der große Sozialphilosoph in der vergangenen Jahrhundertmitte, der in seiner schöpferischen Alterswirksamkeit einer der prägenden Geister der Bundesrepublik Deutschland war, verdient eine interkulturelle Lektüre, und zwar in dreierlei Hinsichten:
1. als Prototyp eines denkenden Menschen im "Kulturschock":
Als Repräsentant einer Gesellschaft, die, aus kindlicher Unschuld gerissen, von sich selbst entfernt und von fremden (siegreichen) Gesellschaften überwunden wird, setzt sich Plessner, der vermeintliche Weltbürger und "Amerikaner", beim offensichtlich kleinen Übergang von Deutschland nach Holland einem Schock der Überraschung und Enttäuschung aus, den er lebenslang verarbeiten und mit einem Sinn erfüllen muss. Indem er sich verständlich macht als Lehrer und Schriftsteller, erfüllt er die Aufgabe, Menschen dazu zu bewegen, die großen kulturellen Distanzen zu fühlen, die sie im Alltag verdrängen, indem sie ohne zureichenden Grund glauben, "dieselben" zu sein, während sie doch in Generationen und Subkulturen gar nicht anders leben können als in einer Konfrontation mit sich selbst als dem "andern als alle andern".
2. als lebenslang sich wandelnder und werdender Philosoph, der alle Positionen so überwand und transzendierte, dass er sich in anderer Kultur spiegelte und so zu sich selbst fand.
Wie Petrarca als erster Europäer einen hohen Berg bestieg, auf dem ihn der Satz Augustins erschütterte: Die Menschen besteigen die Berge und betrachten die Länder, und haben nicht Acht ihrer selbst; so schöpft Plessner aus den Kulturbegegnungen die Freiheit, immer tiefer und wahrhafter aus dem realen Dasein der Menschen und Gesellschaften Vielfaltsbedingungen und Vielfaltsvoraussetzungen zu isolieren. Diese machen es möglich, als sicher geglaubte Kategorien des Menschlichen in ihrer Eingeschränktheit und Bedürftigkeit zu kritisieren und zu erweitern - woraus die Plessnersche Philosophie eine Leidenschaft der Selbstkorrektur und Selbstabschaffung herauszog.
3. als Schöpfer einer neuen philosophischen Wissenschaft, die Interkulturalität zum Wesenskern des Menschen rechnet.
Die Anthropologie Plessners ist weit von dem entfernt, was ihre Gegner gern in sie hinein zu lesen verstanden. Sie will alles andere als ein festes, über Geschichte und Biologie erhabenes Menschenwesen postulieren. Vielmehr lehrt sie, in jeder kulturellen Erscheinung eine Möglichkeit unter vielen zu sehen, die überhaupt nur ist, was sie ist, weil sie eine unter vielen ist: Sprache ist gar nicht Sprache, außer sie versteht sich im Verhältnis zu andern als eine Fremdsprache, Kunst ist nichts wert, wenn sie nicht im Verzicht auf überlegene andere Tonalitäten besteht, Sitte hat überhaupt nur einen Sinn, wenn sie sich von anderer Sitte betrachten und in Frage stellen lässt.
So ist es dank der Plessnerschen Anthropologie möglich, jenseits des Rassismus und des Sexismus einen fundierenden Ungeist zu erkennen, den man als "Kulturismus" auffassen und überwinden könnte. Nicht aus deklamatorischem Humanismus, sondern aus den Wesensgesetzen von Kultur leitet er eine interkulturelle Natur des Menschen her. Wie der Mensch primär in einer Mitwelt lebt, lange bevor er eine Innen- und eine Außenwelt bilden und in Gegensatz zueinander bringen kann, findet sich auch seine Kultur in einer Mitwelt von Kulturen, und kann sich nur so nach außen zur Geltung bringen und nach innen entfalten.
Aktualisiert: 2019-01-08
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