Einleitung
Dieses Buch bedient sich einer interdisziplinären Annährungsweise an die Umweltforschung, nämlich der Auseinandersetzung mit der Ressource Wasser als kulturelles, historisches, materielles und wirtschaftliches Element.
Die heutige Gesellschaft sieht sich mit ökologischen Fragestellungen konfrontiert, wie dem zunehmenden Verlust der Biodiversität, der wachsenden Ausschöpfung der Ressourcen und der Überschreitung der natürlichen Grenzen von Ökosystemen Alle diese Aspekte stehen im Zusammenhang mit der vielschichtigen, ethischen und wirtschaftlichen Frage des Zugangs zum Wasser, dessen Einzigartigkeit schon seit dem Anfang des Lebens und noch heute anerkannt wird. Das Wasser ist ein Grundelement verschiedener Kosmogonien. So etwa – wie Christian Norberg-Schulz in seinem Buch Genius Loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst betont – schon im Genesisbericht des Christentums, in dem man liest, dass „Gott nach der Erschaffung von Himmel und Erde, Licht und Finsternis das trockene Land von Wasser“ trennt.
In anderen Kosmogonien ist Wasser die Ursubstanz, aus der alle Formen hervorgehen. Daher verleiht die Anwesenheit von Wasser dem Land seine Identität, und die Geschichte von der Sintflut stellt den ‘Verlust des Ortes‘ als Überschwemmung dar. Obgleich Wasser gerade der Gegensatz eines Ortes ist, gehört es eng zur lebendigen Wirklichkeit. In seiner fruchtbringenden Eigenschaft wurde es zu einem Symbol für Leben, und auf Bildern vom Paradies entspringen einem Quell in der Mitte vier Flüsse.
Das Wasser als „lebenspendendes Element“ hat seine Funktion und Bedeutung in Laufe der Jahrhunderte geädert. Es war zuerst ein Element, das in seiner fliessenden oder statischen Form als Fluss oder See in der Renaissance als ideale Landschaft galt. Danach wurde es ein wesentliches Element romantischer Landschaften. Auch seine Rolle als chthonische Kraft – d.h. eine Kraft, die der Erde angehört – sowie seine dynamische Natur kann man nicht übersehen. Es prägt dadurch – zusammen mit anderen Elementen wie Steinen, Felsen und Bäumen – den Charakter einer Örtlichkeit. In der Antike sprach man von „heiligen Räumen“, während man in der heutigen Zeit eher von einem nachhaltigen Ökosystem spricht. Derartige Zusammenhänge und damit verbundene Wünsche kommen auch in der Enzyklika „Laudato si‘“ von Papst Franziskus vor, die ihren Titel von einem Gebet – dem Sonnengesang „Laudato si‘, mi signore“ (Gelobt seist du, mein Herr) – des heiligen Franz von Assisi bekommt. Papst Franziskus lädt darin zu einer „ökologischen Umkehr“, zur „Annahme der Verantwortung für das gemeinsame Haus“ ein. Man soll nicht vergessen – so schreibt Papst Franziskus weiter – dass „Krankheitssymptome“ im „Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen“ zu bemerken sind. Der Ruf von Papst Franziskus nach einer steigenden „Sensibilität für die Umwelt und die Pflege der Natur“ (Paragraph 19) ist ein bemerkenswerter Ausdruck steigender ökologischer Sensibilität.
In seinem Buch „Die Zukunft des Wassers“ präsentiert Eric Orsenna nach seiner Reise um unsere Welt als Schlussbetrachtung sieben Überzeugungen, zu denen er gekommen ist, wie beispielsweise: „Am Anfang aller Humanität steht das Wasser. Am Anfang aller Würde, aller Gesundheit, aller Bildung, aller Entwicklung. […] Keine Tatenlosigkeit ist unentschuldbarer als die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft und die Gleichgültigkeit der Regierungen in diesem Bereich.“ In Anspielung auf die Millenniumsziele 2000, die Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu Wasser haben, halbieren zu wollen, verweist er darauf, dass Wasser als Quelle des Lebens der politischen Verantwortung untersteht. Weil sich ein rasant wachsender Teil der Weltbevölkerung zukünftig in riesigen Städten konzentrieren wird, leben auch mehr und mehr Menschen fernab natürlicher Quellen. „Das Wasser ist also immer seltener ein Geschenk der Natur. Es ist fast immer ein hergestelltes Produkt (Aufbereitung) und gleichzeitig eine Dienstleistung (Verteilung). […] Ein Gut, das Kosten verursacht, kann nicht umsonst zur Verfügung gestellt werden. Aber bei der Bedeutung, die dem Wasser zukommt, ist es zwangsläufig eine Ressource, die geteilt werden muss, ein gemeinschaftliches Gut.“
In einer ähnlichen Weise wurde seitens der Herausgeberinnen und des Herausgebers dieses Bands als übergreifendes Thema – in Bezug auf die essentiellen Elemente der Ökosphäre wie die Erde, das Wasser, die Energie – das „Oikos“, d.h. das gemeinsame Haus des Planeten Erde vorgeschlagen. Oikos (οἶκος) war im antiken Griechenland die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft, die den Lebensmittelpunkt bildete. Ein Unterelement von Oikos ist das Wasser. Dieser Schlüsselressource nähert sich dieser Band mit Hilfe unterschiedlicher, interdisziplinärer Ansätze. Nicht nur seine historische Präsenz in Kärnten oder die negativen Auswirkungen durch den Übergang des Wassers in private Hände werden thematisiert, sondern auch die Herausforderungen, die für einen zukunftsfähigen Umgang mit dem Element bestehen.
In ihren einleitenden Worten betont Doris Hattenberger die aktuelle Tendenz zur „Privatisierung der Wasserversorgung“ – die das Wasser als Handelsware privilegiert – und damit die Rechte der Menschen, die Unverzichtbarkeit eines solchen Grundelements und die damit verbundenen Emotionen ausser Acht lässt. Aus diesem Grund gewinnt jener Beitrag, der die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich und die vielfältigen Möglichkeiten der Privatisierung des Wassers skizziert, besondere Relevanz. Darin werden die möglichen Privatisierungsformen geschildert sowie ihre Vor- und Nachteile im Bereich der Wasserversorgung anhand konkreter Fallbeispiele erörtert.
Gewässer bieten jedoch nicht nur ein Vermögen an monetären Einnahmen, sondern auch an Bildern. Das ist etwa der Fall im Dokumentarfilm des jungen Regisseurs Giulio Squarci aus dem Jahre 2015, der über die dramatischen Auswirkungen, die die Privatisierung des Wassers in Karnien – einer Bergregion, die sich im Norden von Friaul-Julisch-Venetien befindet – mit sich gebracht hat.
Der Film trägt den vielsagenden Titel „I custodi dell’acqua. La Carnia si ribella” – auf Deutsch „Die Hüter des Wassers. Karnien wehrt sich“. Darin wird durch eine Vielzahl wirksamer Bilder von statischen und fliessenden Gewässern und durch die Inszenierung einiger Wasserbeschützerinnen versucht, eine Reaktion im Publikum herauszufordern. Im Buchbeitrag werden die im Dokumentarfilm enthaltenen narrativen, visuellen und akustischen Elemente sowie kulturspezifische Aspekte des Wassers untersucht – d. h. seine metaphorischen und bildlichen Bedeutungen, die Verbindung zwischen Ort und Identität, die Beziehung zu den Geschlechtern und auch die ästhetischen und bildlichen Wirksamkeiten. Wie Angela Fabris anmerkt, lautet das implizite Fazit des Dokumentarfilms: Für das Wasser – d.h. für das Leben – sollte man sich unaufhörlich engagieren.
Die historische und gegenwärtige Wahrnehmung des Wassers steht im Fokus des dritten Abschnitts. In diesem wird versucht, Polaritäten und Konfliktlinien im Umgang mit Wasser anhand von historischen und aktuellen Beispielen in der Region Kärnten darzustellen. Im ersten Teil werden historische Quellen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit analysiert, um die Wahrnehmung der Gewässer – in ihrer Funktion als Ressource, Hindernis, Gefahr oder als Identitätsträger in Bezug auf Grenzen – im Laufe zweier Epochen zu rekonstruieren. Danach folgen im zweiten Teil Beispiele über den Umgang mit Wasser im zeitgenössischen Kärnten. Insbesondere steht hierbei die Macht im Mittelpunkt, die die Institutionen ausgeübt haben, indem sie den Zugang zur dieser multifunktionalen Ressource geregelt und auch die Verantwortung im Fall von Wasserschäden und deren ökonomischen Konsequenzen übernommen haben. Wie Verena Winiwarter unterstreicht, ist eine umwelthistorische Langzeitperspektive ein Novum für Kärnten, das dazu beitragen kann, zu einem besseren Verständnis nicht nur historischer Zustände, sondern auch der heutigen Szenarien zu gelangen.
Wasserverschmutzung zählt zu den aktuellen Krankheitssymptomen der Ökosphäre. Im vierten und letzten Teil des Bandes wird seitens eines Teams von Mathematikerinnen zunächst ein kurzer historischer Abriss über die Wasserverschmutzung gegeben; danach wird durch regionale Beispiele auf die spezifischen Verunreinigungsmechanismen sowie Gegenmassnahmen bei Fliessgewässern, Grundwasser und stehenden Gewässern eingegangen. Der Kern des Beitrags befasst sich mit dem inversen Problem der Rekonstruktion von Schadstoffquellen.
Auf diese Weise wird die allgemeine Fragestellung des Findens von Ursachen für gewünschte oder beobachtete Effekte bearbeitet. Damit sollen nicht nur die Schadstoffe rasch und gezielt bekämpfbar werden, sondern auch rechtliche Schritte gegen die Verursacher einleitbar sein.
Das Wasser bot in seinen unterschiedlichen Formen die Möglichkeit einer interdisziplinären wissenschaftlichen Auseinandersetzung für Studierende und Lehrende der vier Fakultäten der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Es handelte sich um ein forschungsnahes Lehrprojekt, das die Herstellung von Verknüpfungen und Verbindungen – aber auch kritische und konstruktive Diskussionen – zwischen verschiedenen Disziplinen und Fächern ermöglicht hat.
Gerade angesichts der vielfältigen und umfassenden Aufgabenstellungen, die das Wasser als Teil des gemeinsamen Hauses erforderte, ist allen Studierenden, die ihre Forschungen mit Freude und viel Engagement betrieben haben, sowie den Lehrenden für ihren grossen Einsatz zu danken.
Angela Fabris, Horst Peter Groß, Verena Winiwarter