Die ignorantia facti im Betrugstatbestand

Die ignorantia facti im Betrugstatbestand von Hanisch,  Kathrin
Die Studie liefert einen gewinnbringenden Beitrag zur aktuellen Betrugsdiskussion. Neueste Entwicklungen der Betrugsdogmatik werden samt ihren wichtigsten Konsequenzen entfaltet. Die Figur der ignorantia facti und damit auch das Irrtumsmerkmal im Rahmen des § 263 StGB werden in kaum zuvor gefundener Tiefe untersucht. Die ignorantia facti, die Unkenntnis von Tatsachen, wird von der bisher herrschenden Ansicht aus dem Irrtumsbegriff ausgeschieden. Allein die positive Fehlvorstellung wird üblicherweise dem Irrtumsmerkmal des Betrugstatbestandes zugeordnet. Eine klare Linie lassen die neuere Rechtsprechung und Literatur jedoch nicht erkennen. Vielmehr brachte diese Figur in Vergangenheit und Gegenwart stets erhebliche Unsicherheiten mit sich. In der Studie wird die herkömmliche Sichtweise auf Basis einer neueren, normativierenden Deutung des Betrugstatbestandes einer kritischen Sichtung unterzogen. Das Ergebnis der Untersuchung ist, dass die herrschende Unterscheidung zwischen positiver Fehlvorstellung (Irrtum) und blosser Unkenntnis (kein Irrtum) nicht zu überzeugen vermag, der Begriff des betrügerischen Irrtums deckt vielmehr beide Konstellationen ab. Damit wird die Kategorie der ignorantia facti gegenstandslos. Die erforderliche Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit wird durch eine restriktive, an der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer orientierte Deutung des Täuschungsmerkmals erreicht. Einführend in die Problematik werden bei dem Irrtumsmerkmal zunächst drei Aspekte unterschieden: Intensität der Vorstellung, Bezugspunkt des Irrtums und Irrtum unter Zweifeln. Mit Hilfe dieser feinsinnigen Unterscheidung werden Scheinwidersprüche aufgedeckt und der Gegenstand der Untersuchung näher bestimmt. Nützlich erweist sich ausserdem die Zusammenstellung der wichtigsten Fallgruppen zur ignorantia facti, auf die im Verlaufe der Untersuchung stets wieder Bezug genommen wird. Von zentraler Bedeutung ist die Untersuchung des Täuschungsmerkmals. Ausgehend von dem durch die Betrugsnorm zu schützenden Rechtsgut, das Vermögen, werden die Defizite einer rechtsgutsbezogenen Auslegung des Täuschungsmerkmals herausgearbeitet. Anhand einer Analyse von neuerer Rechtsprechung und Literatur wird nachgewiesen, dass eine objektiv-normative Täuschungsdogmatik im Vordringen befindlich ist. Allerdings wird vornehmlich an der Unterscheidung zwischen der ausdrücklichen Täuschung, der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen festgehalten, ohne die objektiv-normativen Kriterien hinreichend zu untermauern. Auf Basis der Lehre von der objektiven Zurechnung wird diese Begründungslücke geschlossen. Die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer wird erreicht, indem die betrügerische Täuschung als Verletzung eines Wahrheitsanspruchs des Opfers aufgefasst wird. Die Auslegung des Irrtumsmerkmals zeigt, dass weder die Wortlautgrenze durch die Einbeziehung der ignorantia facti überschritten wird, noch die historische und systematische Auslegung von grosser Relevanz sind. Ausführlich werden die herkömmlichen Deutungen zur Funktion des Irrtumsbegriffs diskutiert. Die normative Umsetzung wird konsequent bei dem Irrtumsmerkmal fortgeführt, denn im Ergebnis sichert der Irrtum den Zurechnungszusammenhang zwischen der Täuschung und der schädigenden Vermögensverfügung des Opfers. Infolgedessen fällt jedoch auch die gänzliche Unwissenheit unter den Irrtumsbegriff des § 263 StGB. Die Betrugsdogmatik wird durch diese Sichtweise wesentlich vereinfacht; unsichere Abgrenzungen werden überflüssig.
Aktualisiert: 2019-12-20
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