Am 05.04.1983 wurde der Arbeitskreis Judentum-Christentum in Lingen offiziell gegründet. Eine erste selbst gestellte Aufgabe war es, den Jüdi-schen Friedhof in Lingen (Ems) dem Vergessen und der Verwahrlosung zu entreißen. Aus dem Arbeitskreis entstand am 18.04.2001 das Forum Juden-Christen Altkreis Lingen als eingetragener Verein.
Zum 40.Jahrestag der Gründung des Arbeitskreises legen wir die Ge-schichte der Erinnerungsarbeit im südlichen Emsland vor.
Wie schreibt man ein solches Buch? Eine reine „Chronik“ erschien uns als lesbare Alternative wenig geeignet. In vierzig Jahren seit der Grün-dung des Arbeitskreises sind so viele Beiträge zur Erinnerungskultur zu verzeichnen, dass eine auch nur annähernd vollständige Darstellung nicht möglich wäre. Wir haben uns daher dazu entschieden, auf ein Überblickskapitel sieben „Themenkapitel“ folgen zu lassen. Kursiv ge-setzt verweisen wir auf Zusammenhänge zwischen den Kapiteln, um Wiederholungen möglichst zu vermeiden.
1. Im Kapitel Vom Arbeitskreis zum Forum stellen wir im Überblick die wesentlichen Entwicklungen vor. Das Verständnis der nachfolgenden thematischen Kapitel wird durch Lektüre dieses Übersichtskapitels si-cher erleichtert.
2. Ausstellungen und Publikationen – in diesem Kapitel wird die beein-druckende Vielzahl von Ausstellungen vorgestellt, die Arbeitskreis und Forum, teils mit Kooperationspartnern, der Öffentlichkeit präsentierten. Die Bücher und Broschüren, die vom Arbeitskreis und dem Forum (mit-) herausgegeben wurden, sind zum Teil auf Ausstellungen bezogen.
3. Als großen Erfolg rechnete sich der Arbeitskreis zu Recht an, dass es auch durch seine Bemühungen gelang, Überlebende der Schoah zu be-wegen, das Emsland zu besuchen. Darüber und über weitere besondere Gäste berichtet das Kapitel Gäste und Ehrengäste.
4. Von Beginn an waren Vorträge von Arbeitskreis-Mitgliedern sowie von sehr zahlreichen externen Referentinnen und Referenten konstitu-tiv für die Erinnerungsarbeit des Arbeitskreises und später des Forums. Darauf gehen wir im Kapitel Vorträge und Lehrhausabende ein.
5. Im Kapitel Steinerne Zeugen geht es um die jüdischen Friedhöfe in Lingen und Freren, um die Setzung von Gedenksteinen in Lingen, Freren und Lengerich, um den Gedenkort Jüdische Schule in Lingen und das Jüdische Bethaus in Freren. Pflege und Reinigung der „Stolpersteine“ gehören zu den festen Aufgaben, denen sich das Forum stellt. Wir ge-hen auch auf „Schalomsteine“ und „Namenssteine“ sowie die Benen-nung von Straßen ein.
6. Gedenkfeiern und Jahrestage – Zum festen Jahresablauf des Arbeits-kreises und des Forums gehörten und gehören bis heute Veranstaltun-gen zum Gedenken an besondere Verbrechen der Nazis und ihrer Hel-fer. In diesem Kapitel gehen wir beispielhaft auf solche Gedenkfeiern ein. Daneben geht es auch um andere besondere Jahrestage.
7. In den ersten Jahren des Arbeitskreises ging es den Mitarbeitenden besonders darum, religiöse, kulturelle und historische Aspekte des Ju-dentums verstehen zu lernen. Später machte es sich das Forum zur Auf-gabe, vor allem Schülerinnen und Schülern jüdisches Leben heute nä-herzubringen. Aus der Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde Osnabrück entstand ein eigens gegründeter, eingetragener Verein in Osnabrück: „Judentum begreifen e.V.“.
8. Erinnerungsarbeit trifft leider nicht nur auf Zustimmung. An die Scho-ah zu erinnern und gegen rechtsextreme Bestrebungen einzutreten, er-fordert nicht nur Empathie für die Opfer, aus Sicht des Arbeitskreises und des Forums muss auch an die Täter erinnert werden. Das gefällt nicht allen Menschen, besonders nicht denjenigen, die zu Tätern und Nutznießern der Nazis lieber schweigen möchten. Dazu gab es Politi-sche Einmischungen des Arbeitskreises und des Forums.
Aktualisiert: 2023-04-04
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Dies ist die Lebensgeschichte von Bernhard Grünberg sel. A. aus Lingen
an der Ems (1923–2021). Gäbe es die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts
nicht, würde es ein Buch über diesen ganz normalen emsländischen
Jungen sehr wahrscheinlich nicht geben. Weil aber die deutsche
und europäische Geschichte Bernhard aus seinem normalen Leben herausriss
und ihn von einem Emsländer zu einem Engländer werden ließ,
schreiben wir seine Geschichte auf.
„Allein in die Freiheit“ ̶ dieser Titel geht darauf ein, dass Bernhard
der Unfreiheit in Nazideutschland durch einen „Kindertransport“ entkommen
konnte. „Allein“, weil er nicht nur ohne seine Eltern fliehen
musste, sondern weil er lange Jahre seines Lebens einsam war, beginnend
mit der Abwendung vieler sogenannten „Freunde“ von ihm, dem
jüdischen Jungen.
Sein Ziel, hundert Jahre alt zu werden, hat unser Freund Bernhard
leider nicht erreicht. Das Corona-Virus, das ihn tötete, verhinderte dies
ebenso wie seinen Wunsch, das Erscheinen dieses von ihm sehnlichst
erwarteten Buches zu erleben. Aber er wurde fast 98 Jahre alt. Er überlebte
Adolf Hitler, den Obersten der Nazi-Verbrecher, um 75 Jahre.
Es ist für uns ein großes Glück, dass Bernhard unsere Arbeit an diesem
Buch über eine lange Strecke eng begleitet hat. Sein wacher Geist
und sein enormes Erinnerungsvermögen ermöglichten ihm bis kurz vor
seinem Tod, jeden unserer Schritte zu verfolgen, von jedem unserer Interviewpartner
zu erfahren und uns in vielen Telefongesprächen und
Briefen Auskunft zu erteilen.
Wie Bernhard Grünberg den Naziterror überlebte und wie sein Leben
vom mittellosen fünfzehnjährigen Flüchtlingsjungen zum Ehrenbürger
von Lingen (Ems) und beeindruckendem Zeitzeugen verlief, können
wir nur darstellen, indem wir auf die in deutschem Namen verübten
Verbrechen eingehen, die das Leben der Lingener Familie Grünberg bestimmten.
Wir konnten neben anderen Quellen auf viele Selbstzeugnisse von
Bernhard Grünberg und zahlreiche Gespräche und Telefonate mit ihm
zurückgreifen.
Alle Passagen dieses Buches, die von ihm selbst stammen, haben wir
kursiv gesetzt.
Im ersten Kapitel „Vom Himmel zur Hölle: Kindheit in Lingen“ beschreiben
wir die ersten fünfzehn Jahre im Leben Bernhards, seine
Kindheit also. Darin wird auch deutlich, warum wir uns – außer selbstverständlich
in Zitaten – für die Schreibung „Bernhard Grünberg“ entschieden
haben. Die meiste Zeit seines Lebens lautete sein Name „Bernard
Grunberg“, seitdem er 1947 britischer Staatsbürger wurde. Häufig
wird der Name „Bernard Grünberg“ verwendet. Er wurde jedoch als
„Bernhard Grünberg" geboren. Hätte es den Naziterror nicht gegeben,
hätte er diesen Namen sein Leben lang getragen. Viele Entscheidungen
traf er mit dem Wunsch, dass der Name „Grünberg“ in Lingen erhalten
bleibe. Bernhard konnte dieses Buch nicht mehr gedruckt in Händen
halten, aber er konnte viele Manuskriptseiten lesen und er war mit dieser
Schreibweise einverstanden. Gelegentlich kürzen wir auch „BG“ ab.
Das zweite Kapitel „Freiheitsgefühle und Terrorerfahrung - Die Umschichtungsstelle
in Berlin“ beschreibt einen zeitlich kurzen, aber entscheidenden
Abschnitt in Bernhards Leben.
Zwangsläufig sehr viel umfassender ist die Darstellung im dritten Kapitel
„Terror der Nazis gegen Juden und andere“. Deutlich wird dabei,
dass bösen Gedanken böse Worte und diesen oft böse Taten folgen.
Unter der vierten Überschrift „Fluchtmöglichkeiten?“ setzen wir uns
mit der nicht selten geäußerten Auffassung auseinander, „die Juden"
hätten doch einfach Nazideutschland verlassen können, dann hätten sie
überlebt.
Im fünften Kapitel „Rettung durch Kindertransport“ beschreiben wir
im Zusammenhang mit Bernhards Lebensrettung die Hintergründe
und Durchführung der außergewöhnlichen Ausreisemöglichkeit tausender
jüdischer Kinder aus Nazideutschland 1938/39.
Das sechste Kapitel „Leben und Überleben in der neuen Heimat“
stellt das Leben Bernhard Grünbergs in seinem Aufnahmeland
Großbritannien, oder – wie er es immer nannte – England dar.
„Verschweigen und Erinnern“, das siebte Kapitel, beschreibt den Umgang
mit den Nazi-Verbrechen, mit TäterInnen und MitläuferInnen, der
Nichtachtung der Opfer des Naziterrors in der Nachkriegszeit und den
Beitrag von Verfolgten der Nazis zur Durchbrechung des Verschweigens.
Wie Bernhard Grünberg 1986 fast 50 Jahre nach seiner Vertreibung
zurück nach Lingen (Ems) kam und wie er im Emsland zu einer führenden
Person in der Erinnerungsarbeit wurde, beschreiben wir im achten
Kapitel „Wille zur Versöhnung.“
Bernhard Grünberg, der unermüdlich Zeugnis vom Mord an seinen
Eltern und seiner Schwester sowie von seinem Leben und den diesem
zugrundeliegenden Naziverbrechen ablegte, berichtet darüber im neunten
Kapitel „Erzählen vom Naziterror – Zeitzeugenarbeit“ weitgehend
selbst.
Das zehnte Kapitel befasst sich mit Bernhards hohem Alter, seinem
Tod und seiner Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof in Lingen (Ems).
Aktualisiert: 2022-04-07
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