Einführung:
Mit der Entwicklung der biomedizinischen Forschung als Naturwissenschaft wurde vermehrt Wert auf experimentell belegbare Daten auch in der Medizin gelegt. Neben experimentellen Untersuchungen am Menschen sind tierexperimentelle Arbeiten eine Grundlage der medizinischen Forschung. Besonders seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es gleichzeitig gesellschaftliche Bestrebungen Experimente mit der Möglichkeit eines nachfolgenden Leidens für die Tiere aus moralisch/ethischen Gründen zu unterbinden und der Tierschutz etablierte sich als neue soziale Bewegung. Die Bundesregierung reagierte darauf mit dem 50. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.07.20023 und so wurde mit Wirkung vom 1. August 2002 die neue Staatszielbestimmung Tierschutz in das Grundgesetz aufgenommen. Motive des Gesetzgebers für die Änderung des Art. 20a GG waren die Stärkung des Tierschutzes und die Sicherstellung der Wirksamkeit tierschützender Bestimmungen. Bereits 1986 wurde im Tierschutzgesetz festgelegt, und mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes 2013 auch bestätigt, dass Versuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 TierSchG nur durchgeführt
werden dürfen, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck gemäß § 7a Abs. 2 P. TierSchG ethisch vertretbar sind. Damit ist eine Prüfung der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen obligatorisch.
Gleichzeitig hat auch der Mensch den Wunsch nach einem leidensfreien Leben. Auch wenn im deutschen Grundgesetz nach grammatikalischer Auslegung kein Recht auf Gesundheit besteht, wird durch Art. 2 in Abs. 2 S. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ nur die körperliche Unversehrtheit als Grundrecht festgelegt. Einige Landesverfassungen sichern das Grundrecht auf Gesundheit explizit zu: „Leben und Gesundheit, Ehre und Würde des Menschen sind unantastbar. Zusätzlich hat jedoch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen die Bedeutung des Art. 2 in Abs. 2 S. 1 GG dahingehend ausdehnend ausgelegt, dass die körperliche Unversehrtheit auch die psychische und seelische Unversehrtheit einschließe. Die Gesundheit des Menschen wird als ein komplexer Zustand des körperlichen und geistigen Wohlergehens und nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit oder Leiden angesehen. So sieht das Bundes-verfassungsgericht eine Verletzung der Grundrechte dann, „wenn staatliche Regelungen dazu führen, dass einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden ist, versagt bleibt“. Dazu würde auch die Untersagung biomedizinischer Forschungen zählen, die die Grundlage für eine „prinzipiell zugängliche Therapie“ bilden. Damit wird sogar eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht mit Anspruch des Menschen auf Maßnahmen des Staates zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit konstatiert.
Gemäß dem Sozialgesetzbuch (z.B. §§ 1-5 SGB I) besteht für jeden ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit. Dieses schließt Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten, Krankenbehandlung bei Krankheit, und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln ein (§ 21 SGB I). Dabei ist nicht zu übersehen, dass dieses Recht nicht, zumindest nicht gegenwärtig, für einen Erkrankten durchgesetzt werden kann, wenn für seine Erkrankung keine adäquate Therapie zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich die Frage: hat dieser Patient ein Recht auf die Erforschung seiner Krankheit und die Entwicklung einer Therapie zur Wiederherstellung seiner Gesundheit oder ist es gerecht, wenn Menschen leiden müssen, weil keine Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht und vorsätzlich nicht alle Möglichkeiten zur Entwicklung einer Therapie ihrer Erkrankung genutzt werden?
Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht 2005 das Recht auf Gesundheit und damit ein Recht auf Behandlung mit dem sogenannten „Nikolausurteil“ gestärkt, in dem eine Behandlung auch außerhalb etablierter Therapien gefördert wird. Weitergehend ausgelegt ist damit auch die Grundlagenforschung gemeint, da durch sie möglicherweise zukünftig therapeutische Prinzipien, die nicht zu bereits etablierten Behandlungen gehören, angewandt werden können
Zielstellung der Arbeit
Beide, das Grundrecht auf Gesundheit sowie das Staatsziel Tierschutz kollidieren unter bestimmten Bedingungen miteinander. Gerade im Bereich der biomedizinischen Forschung existieren gesellschaftliche Probleme, die auf einem scheinbaren gegenseitigen Ausschluss von tierexperimentellen Gesundheitsforschungen und Tierschutz beruhen. Die Frage, ob überhaupt und unter welchen Umständen Tierversuche ethisch vertretbar sein können, ist bisher nicht geklärt. Die vorliegende Arbeit soll sich mit der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen unter Berücksichtigung der rechtlichen Stellung des Tierschutzes befassen. Dabei sollen nur Tierversuche berücksichtigt werden, die im Sinne von § 7a Abs. 1-4 des Tierschutzgesetzes rechtlich gerechtfertigt sind, insbesondere sind dies Tierversuche zum Zwecke der Grundlagenforschung oder Forschung zur Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren.
Aktualisiert: 2019-12-31
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