Mannich

Mannich von Scheel,  Udo
Vorwort von Udo Scheel Mein Vater Georg Scheel, der, wie seine Brüder, in der väterlichen Kunstschmiede in Itzehoe das Schlosserhandwerk erlernt hatte, erhielt 1938 einen Studienplatz an der Ingenieursakademie in Wismar. Eine Erbschaft hatte es ihm ermöglicht, ein Studium aufzunehmen, den Lebensunterhalt und die Miete für die kleine Wohnung am Philosophenweg 24 in Wismar, in der ich am 17. März 1940 zur Welt gekommen bin, aufzubringen. 1939 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Wegen der frühen Bombenangriffe auf die Stadt zog meine Mutter mit mir nach Kolberg, in ihre Heimatstadt, in der ihre Eltern und ihre Schwester Anna mit ihrer Tochter Brigitte lebten. Fortan bildeten Tante Anna, die vier Jahre ältere Cousine Gitti, meine Mutter und ich eine kleine Familie in der Roonstraße 12 in Kolberg. In den Kriegsjahren reiste meine Mutter immer wieder für ein paar Tage nach Wismar und nahm mich mit, sobald ich meine ersten Schritte machen konnte. Im März 1945 gehörten wir zu den glücklichen Menschen, denen die Flucht aus der eingekesselten, zur Festung erklärten Stadt Kolberg gelang. Mit Tante und Cousine erreichten wir Wismar und kamen zunächst alle in der Wohnung am Philosophenweg 24 unter. Auch eine Flüchtlingsfamilie aus Schlesien fand noch Platz. Die Großeltern und andere Familienmitglieder wurden in Norden/Ostfriesland als Flüchtlinge aufgenommen. Die Väter kehrten aus Krieg und Gefangenschaft zurück. Im Sommer 1949 verließen meine Eltern mit mir die sowjetisch besetzte Zone in Richtung Westen. Bei der Erstellung eines Gesamtwerkverzeichnisses meiner künstlerischen Arbeiten habe ich in meinen Bildern nach Zusammenhängen mit meinen frühen Kindheitserlebnissen gesucht, nach dem unauslöschbaren Zauber mancher Situationen und Dinge, nach Atmosphäre und Stimmungen, auch nach Spuren von Angst und Schrecken. Aus den ersten zarten Pflanzen der Bewusstwerdung ist im Laufe des Lebens ein dichter Wald geworden. Schlägt man entlang der Daten und Fakten im Sinne einer Chronik eine Schneise hinein, kommt man schnell hindurch. Zu schnell. Es sind gerade auch die Erinnerungen an die kleinen Ereignisse des Kinderlebens, die, oft unbemerkt von den Erwachsenen, eine nachhaltige und grundlegende Wirkung entfalten. Wie oft sind mir im Laufe meines Lebens Hüte begegnet. Ich selbst trage zeitweilig einen Hut, habe Filme mit Humphrey Bogart gesehen, das Bild „Erwartung“ von Richard Oelze mit Bewunderung betrachtet, aber die Aufmerksamkeit für Hüte fing mit dem Hut meines Großvaters an, den ich ihm als etwa zweijähriges Kind auf seinen Schultern sitzend abnahm und mir selbst aufsetzte (Mannich). Die gleiche Intensität hat die Erinnerung an einen dickwandigen, weißen Porzellanbecher, gefüllt mit heißem Haferflockenbrei, der jedem der Flüchtlinge nach stürmischer Überfahrt von Kolberg im Frühmärz 1945 am Kai von Swinemünde von freundlichen Helfern gereicht wurde (Flucht, 1945). So ist es mit vielen Dingen, den prägenden Eindrücken der Kindheit. Sie bilden den Grund, auf dem durch fortlaufende Überlagerungen von Wahrnehmungen und Erlebnissen Lebenserfahrung erwächst. Kindheit ist mehr als pure Vorbereitungszeit für das Erwachsenenleben. Sie hat ihren eigenen Wert. Sie bildet das Fundament. Hier fängt alles an. Fast alle meinen Schilderungen aus der frühen Kindheit zugeordneten Bilder sind Jahrzehnte später ohne bewusste Anknüpfung an Kindheitserlebnisse entstanden. Sie illustrieren die Texte nicht und die Texte sind keine Bildinterpretationen, aber Verbindungen zwischen den Bildern und den jeweiligen Kindheitsberichten lassen sich, wenn nicht in jedem Fall nachvollziehen, so doch erahnen. Hut, Tasse oder Goldfisch tauchen in meinen oft abstrakt angelegten Malprozessen auf wie Bruchstücke, die, aus einem unübersehbaren Fundus gelöst, für eine Zeit Teil meiner malerischen Ideenwelt werden. Auch atmosphärische Strömungen in manchen Bildern lassen für mich die Zeit der Kindheit wieder aufscheinen. Erinnerungen an die ganz frühe Kindheit (erstes bis fünftes Lebensjahr) können keine längeren zusammenhängenden Zeitabläufe umschließen. Der erste Tagesverlauf, von morgens bis abends, an den ich mich erinnere, ist die Flucht aus Kolberg im März 1945. Nachdem ich aus der behüteten Kinderwelt durch das Kriegsgeschehen gewaltsam herausgedrängt worden bin, beginnen sich durch das unmittelbare Erleben der sich überstürzenden Ereignisse Zusammenhänge von Situationen, Handlungen und Tagesabläufen für mich zu erschließen. Wir Kinder werden an der Hand der Mütter zu aktiven Mitbeteiligten in einem großen Geschehen. Die Bilder „Vater, Mutter, Kind“, 2016, und „Ich 1945“, 2018, stehen, anders als die meisten Bilder, in direkter Beziehung zu den Erlebnissen dieser Zeit. Mit der Flucht aus der sowjetisch besetzten Zone 1949 über die „Grüne Grenze“ in den Westen enden die Schilderungen aus der frühen Kindheit. Familiäre und örtliche Zusammenhänge erschließen sich aus der Chronik.
Aktualisiert: 2020-12-10
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