Der Autor Herbert Christian Stöger beschäftigt die Leser mit halben Geschichten, die meistens ins Leben führen, wo es eine gewisse Unwahrscheinlichkeit gibt, jene Personen wieder zu erkennen, die man meint zu kennen aber niemals wirklich treffen wird. Es geht um Imagination, wie auch in der Titelgeschichte „Die Entdeckung des Praktikanten“. Man kann sich auch verloren fühlen „Aus Sicht der Falte“ und „Am Boden“ eine „Falsche Entscheidung“ getroffen haben.
Aktualisiert: 2023-03-09
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Wer von der blauen Blume träumt, heißt es, muss verschlafen haben. Allen diesbezüglichen Verdikten und kategorischen Bestimmungen in Sachen Literatur steht die nicht triviale Tatsache entgegen, dass ständig weitergeschrieben wird. Gedichte, Erzählungen, so vielfältig in Form und Inhalt wie eh und je, auch wenn alles Schreiben seit geraumer Zeit um den prekären eigenen Status Bescheid weiß. Das trifft auch auf die dreizehn Autorinnen und dreizehn Autoren der FACETTEN 2022 zu.
„Corona“, „Fake News“, „Binäre Codes“, „WhatsApp“ werden am Beginn von Richard Walls großem, aus zwölf Gedichten bestehendem Zyklus „Im Schatten der Jahre“ angesprochen, um dann zu den scheinbar unwichtigen, eigentlichen Fragen zu kommen: „Wer raucht noch Zigaretten in der hohlen Hand? / Wer trägt noch Sockenhalter, Gamaschen, und bewegt / Sein Steyr-Waffenrad nicht nur sonntags übers Land?“ Auch Ulrike Titelbach bestätigt in hochpoetischen poetologischen Fragmenten die angebrachte Skepsis: „Poesie vermag kein verwelktes Blatt zur Fotosynthese zu bewegen.“ Der einzige Trost, den sie – sollte das je die Aufgabe von Literatur gewesen sein – zu bieten hat: „Mit Poesie lässt sich kein Galgen errichten.“ Eine bemerkenswerte Warnung an Konsumentinnen und Konsumenten von Literatur findet sich bei Otto Johannes Adler: „LESEN MACHT DICK!“ Doch der Autor schafft auf subtile Weise Abhilfe, indem er seine mit einem monströsen Satzgebilde anhebende Erzählung in dreißig Schritten abspeckt, um sie auf deren Titel engzuführen: „2 Wörter, 18 Zeichen. Zunehmend weniger“. Dominka Meindl, die längst den Titel einer amtlichen Stadtschreiberin des Weltalls in Linz verdient hätte, macht mit einer Tirade über den „Schlaf des Neobiedermeier“ unmissverständlich klar, worum es ihr (nicht nur) in der Literatur geht: „Ich taumelte gegen eine Tür, darin lagen die Leichen meiner politischen Gegner, sehr, sehr peinlich, ich möchte nicht darüber reden, der malträtierte Leib Putins ganz oben, darunter wahrscheinlich rechtsextreme Innenminister und dergleichen, Lukaschenkos, US-Präsidenten, Gotteskrieger, jugendlich-konservative Erlöserfiguren, ich wollte es sogleich wieder verdrängen, wen ich da schon in Gedanken entleibt hatte.“
Wurde Philosophie einst als Fassen der Zeit in Begriffe definiert, eine mögliche Aufgabe von Literatur ist es, sie als Erzählung zu begreifen. Das schließt auch die Vergangenheit mit ein, die 2022 auf gespenstische Weise (obschon nicht zum ersten Mal) als Krieg nach Europa zurückkehrte. Im umfangreichen, penibel recherchierten Beitrag der Historikerin und Anthropologin Ortrun Veichtlbauer kehrt der aus dem Innviertel stammende Bauer Anton aus dem 1. Weltkrieg vom Balkan und aus Russland in die Heimat zurück. Das Chaos das sich dem Heimkehrer 1918 in Linz bietet, erinnert in mancher Hinsicht an Fernsehbilder aus der Gegenwart, auch wenn diese sich heute einige hundert Kilometer weiter östlich abspielen: „Alle Straßen, Wege und Straßenbahnwagen in Richtung Bahnhof waren mit Soldaten überfüllt, die ab den frühesten Morgenstunden mit vollgepfropften Rucksäcken und Koffern zu den Zügen eilten, den Platz vor dem Aufnahmegebäude belagerten, die Korridore, Warteräume und die Bahnhofsrestauration. (…) An manchen Nachmittagen reisten bis zu 40.000 Soldaten durch Linz, die Züge von den Räderachsen bis auf die Waggondächer besetzt. Manche Transporte führten ganze Viehherden, manche Haubitzen und Maschinengewehre mit. Vielfach schossen die Durchfahrenden, denen die Waffen nicht abgenommen werden konnten, bei Ankunft und Abfahrt mit scharfer Munition in die Luft. Abenteuerliche Szenen unter dem Pfeifen der Züge.“ Der Bogen der historischen Biografie des Bauernburschen aus St. Pantaleon, der wegen Hörens von Feindsendern vernadert wird und im Gefangenhaus Linz landet, führt bis ins Jahr 1941. Historia magistra vitae, besagt ein alter Spruch: Geschichte ist Lehrmeisterin des Lebens. Veichtlbauer stellt ihrem erzählerischen Essay (dessen erster Teil in den Facetten 2021 nachzulesen ist) ein rabiateres, in allen Zeiten gültiges Motto voran: „Wer gegen den Wind brunzt, macht sich leicht nass.“
2022 war auch ein Jahr der Verluste. Fritz Lichtenauer erinnert an den am 2. März verstorbenen Künstler und Erfinder der „taktilen Poesie“ Josef Bauer, Christian Steinbacher verfasste für den am 23. März verstorbenen Konzeptkünstler und Maler Josef Ramaseder eine Gedenknote. Der Bildteil der FACETTEN 2022 zeigt Arbeiten aus dem Nachlass des viel zu früh verstorbenen Autors und Künstlers Walter Pilar (1948–2018).
( im Vorwort)
Aktualisiert: 2023-01-12
Autor:
Otto Johannes Adler,
Andrea Drumbl,
Eva Fischer,
Dietmar Füssel,
Lydia Haider,
Mario Keszner,
Erich Klein,
Peter Leisch,
Fritz Lichtenauer,
Dominika Meindl,
Martin Klaus Menzinger,
Helmut Neundlinger,
Lisa-Viktoria Niederberger,
Irmgard Perfahl,
Roswitha Perfahl,
Fritz Popp,
Hildegard Pramhas,
Wilhelm Rager,
Benjamin Rizy,
Renate Silberer,
Christian Steinbacher,
Herbert Christian Stöger,
Martin Sturm,
Ulrike Titelbach,
Ortrun Veichtlbauer,
Richard Wall,
Katharina Zanon,
Oskar Zemme,
Andrea Zipko
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Eine Sammlung aus Kurzgeschichten, vielleicht könnte man sie auch Mikro-Romane nennen, die nur wenige Buchseiten lang sind, aber kleine Einblicke auf große Fragen aufzeigen. Bilder in Geschichten also, die in eine Handlung hineingeworfen werden, sie abschließen oder zuweilen auch abrupt wieder enden lassen.
Nahezu gleichbenannt mit dem Einseiten-Kürzestgeschichten-Band „partibus“ ist „partybus“ eine Weiterführung. Tatsächlich ist es auch ein Spiel mit dem Titel geworden.
Sogenannte Fußnoten bei jeder Geschichte erklären oder bringen neue Wendungen in die Geschichten. Sind Teil, Zusatz und Fortführung, je nach dem.
Der Titel „partybus“ kann auch als ein schriftstellerisches Zeichen gesehen werden, daß es auch darum geht, sich gut zu unterhalten. Eine sonnige Aussicht.
Aktualisiert: 2022-10-15
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Der Autor Herbert Christian Stöger beschäftigt die Leser mit halben Geschichten, die meistens ins Leben führen, wo es eine gewisse Unwahrscheinlichkeit gibt, jene Personen wiederzuerkennen, die man meint zu kennen, aber niemals wirklich treffen wird. Es geht um Imagination wie auch in der Titelgeschichte „Die Entdeckung des Praktikanten“. Man kann sich auch verloren fühlen „Aus Sicht der Falte“ und „Am Boden“ eine „Falsche Entscheidung“ getroffen zu haben.
Aktualisiert: 2023-03-31
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Literatur ist vor Überraschungen nicht gefeit. Jüngst noch wurde vielerorts von Corona-Tagebüchern und Corona-Romanen gesprochen, von kreativen Impulsen, die der Ausnahmezustand möglicherweise auslösen könne. Kunst macht das Leben schön, doch sie geht nicht in ihm auf und ohnedies kam alles ganz anders: Impfgegner wurden zur Partei, von den übrigen Kuriositäten, die gegen Ende dieses Jahres zu Tage traten, ganz zu schweigen. Auf vermaledeite Fragen dieser Art zu reagieren, hat Literatur nur eine Möglichkeit: Scherz, Satire und Ironie.
In einem kleinen Meisterwerk unter den achtunddreißig Beiträgen der FACETTEN 2021 begibt sich die Autorin Dominika Meindl in ihrem dreiundvierzigsten Lebensjahr, wie es feierlich augenzwinkernd heißt, nach Linz ans „Ufer unseres lieben österreichischen Mainstreams“ und erlebt Überraschendes: „Impfgegnerinnen in Bio-Linnnen, toxische junge Männer mit kahlrasierten Schädeln, grauhaarige Freikirchler, Bodybuilder mit „Fridays for Hubraum“-Shirts, irgendwo stand Gottfried Küssel, mein Gott, im Zweiten Weltkrieg gab es Extremismus von beiden Seiten, wer sind wir, über damalige Zeiten zu urteilen! Alle meine Mitmenschen trugen ihre Stammestracht mit Stolz, und ich fühlte mich wie Karl May, der hier nun zum Bruder Scharlih der Apachen werden durfte.“ Ob sich aus dieser Gegenwart tiefere Bedeutung für die Zukunft ableiten lässt, wird ohnehin den Lesern überlassen. „Auch ich bin schöpferisch – ich schöpfe Verdacht“, lautet eine alte Maxime. Sollte also diese Krise, wie es die schlüpfrige, viel zu oft missbrauchte Floskel nahelegt, nicht auch eine Chance darstellen? Warum nicht eine Partei der Leserinnen und Leser gründen?!
Diversität ist in den FACETTEN 2021 garantiert: die nur auf den ersten Blick harmlos wirkende Metaphorik der Gedichte von Renate Silberer stiftet bei genauem Lesen gehörige Verwirrung; der Dialekt im Lydia Haiders rabiatem Text lässt uns Hören und Sehen vergehen; das unablässige lyrische Sprechen eines Wilhelm Rager oder die Einebnung zwischen Kunst und Literatur, an die Christian Steinbacher in seinem „Dossier“ zum 2020 verstorbenen bildenden Künstler und Autor M.Rutt (Günther Haidinger) erinnert, stellen nur einige der vertretenen ästhetischen Positionen dar. Traditionelle Erzählungen stehen neben dem abenteuerlichen Versuch eines Hans Bednar, seine Reise in den Sudan Mitte der 1970er Jahre unter dem bezeichnenden Titel „Ich bin also im Gepäcksnetz gestorben“ in Griff zu bekommen. Der umfangreiche Text der Historikerin und Anthropologin Ortrun Veichtlbauer begibt sich auf die Suche nach einer neuen, hybriden Form des Schreibens zwischen Literatur und Geschichte. „ST. P. Eine Mikrogeschichte“ rollt in einer vielschichtigen und quellengesättigten Rekonstruktion des Lebens ihres Großvaters ein Stück „kalter“ Zeitgeschichte auf. „Mein Innviertler Opa Anton sprach zu uns Kindern kaum über den Großen Krieg seiner Jugend (…) von all dem sollte ich erst später hören, als ich erwachsen war.“ Der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wird bis heute europaweit durch Kriegerdenkmäler memoriert, zugleich aber durch die Katastrophengeschichte des Zweiten Weltkriegs überdeckt. Bekanntlich reicht unsere persönliche Erinnerung kaum über zwei Genrationen hinaus. Veichtlbauer beschreibt die Härte des Alltags im Innviertel zu Jahrhundertbeginn, die Bedeutung von Burschenschaften und Katholizismus, schließlich den Weg über die Schlachtfelder Osteuropa und des Balkans bis zur Rückkehr in die Heimat. Am Ende steht eine Frage, die an den Anfang erinnert: „Und wie geht es weiter? In Österreich herrschte 1918 Hunger.“
(, Vorwort)
Aktualisiert: 2021-12-16
Autor:
M.Rutt (Günther Haidinger),
Hans Bednar,
Isabella Breier,
Stephanie Doms,
Andrea Drumbl,
Manuel Engleder,
Eva Fischer,
Dietmar Füssel,
Kurt Gebauer,
Rudolf Habringer,
Lydia Haider,
Tamara Imlinger,
Günther Kaip,
Mario Keszner,
Erich Klein,
Magdalena Koder,
Peter Leisch,
Fritz Lichtenauer,
Dominika Meindl,
Sonja Meller,
Martin Klaus Menzinger,
Kurt Mitterndorfer,
Helmut Neundlinger,
Lisa-Viktoria Niederberger,
Ines Oppitz,
Wilhelm Rager,
Stefan Reiser,
Katharina Riese,
Birgit Rivero,
Nina Schedlmayer,
Georg Seyfried,
Renate Silberer,
Christian Steinbacher,
Herbert Christian Stöger,
Claudia Taller,
Andreas Tiefenbacher,
Ulrike Titelbach,
Ortrun Veichtlbauer,
Richard Wall,
Christian Weingärtner,
Erich Wimmer,
Katharina Zanon
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Zumindest einhundert ein-seitige Geschichten zum Lesen für irgendwo und immer. Sich dabei wie Fischer fühlen, wenn sie den Horizont sehen, aber nie finden. Fliegen Texte, die „aus allen Richtungen“ (lat. „ex omnibus partibus“) kommen, fort? Oder sollte man sich schleunigst auf den Weg machen, sie rechtzeitig einzufangen?
Aktualisiert: 2022-10-01
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Das Ereignis Corona im Spiegel von literarischen und bildnerischen Beiträgen von 42 Autor*innen und Künstler*innen.
Aktualisiert: 2022-10-01
Autor:
Sarah Ablinger,
Lutha Blissett,
Karen Bo,
Isabella Breier,
Clara Ann Dehutt,
Yves Doazan,
Sonja Gruber,
Regina Hilber,
Michaela Hinterleitner,
Peter Hodina,
Christine Huber,
Ilse Kilic,
Annett Krendlesberger,
Markus Lindner,
Kristina Marlen,
Rahel Mayfeld,
Mikki Muhr,
Astrid Nischkauer,
Laura Nußbaumer,
Andreas Pavlic,
Dine Petrik,
Helga Pregesbauer,
Elis Rotter,
Serwah Sabetghadam,
Eva Schörkhuber,
Gerda Sengstbratl,
Rolf Seyfried,
Michael Stavaric,
Herbert Christian Stöger,
Günther Vallaster,
Monika Vasik,
Eva Weaver,
Eleonore Weber,
Kurto Wendt,
Fritz Widhalm,
Herbert J. Wimmer,
Martin Winter,
Markus Wolleitner,
Andrea Zámbori
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Dass Corona-Tagebücher zu einem bedeutenden Genre der Literatur würden, durfte schon im Moment ihres Entstehens bezweifelt werden. Der Klon aus Reaktionsgeschwindigkeit sozialer Medien und überstürzter Verbalisierung der persönlichen Isolation führte nur den prekären Zustand der literarischen Öffentlichkeit, der ohnedies kein neuer ist, drastisch vor Augen: Neo-Biedermeier, in dem Autorenlesungen bestenfalls durch Live-Stream ersetzt werden, und die Produktionen aus dem Elfenbeinturm ins heillose Hintertreffen geraten. Der Buchmarkt, den keiner mehr überschaut, läuft ungerührt weiter. Das „Literarische Jahrbuch der Stadt Linz“ begnügt sich stattdessen und ohne falsche Bescheidenheit mit jenem Koeffizienten, den einst Hans Magnus Enzensberger festlegte: in keinem Land und in keiner Sprache betrage die Anzahl der Leser von Dichtung seit jeher mehr als zweihundertfünfzig.
Vielleicht war es aber kein Zufall, dass dieses solitär-private Verständnis von Literatur seinen Ursprung in der existenziellen Reaktion auf eine Katastrophe hatte, die seinerzeit alle traditionellen Vorstellungen von Natur, Mensch und Welt erschütterte. Bekanntlich war es das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755, auf das Voltaire mit seinem „Candide oder der Optimismus“ in Form einer Satire auf die beste aller Welten reagierte, an deren Ende eine leidige Empfehlung stand: „Es geht darum, sich um den eigenen Garten zu kümmern!“ Die Moderne war erfunden! Ob es tatsächlich das Scheitern der klassischen Fragen nach dem Bösen und dem Unheil in der Welt war, was uns noch immer zu Lesern von Anthologien macht, sei dahingestellt, doch wie anders wäre das Vergnügen bei der Lektüre des „sanften Unmenschen“ Stifter, oder die Lust an tragischen Gegenständen angesichts der „fröhlichen Apokalypsen“ aller Modernen zu erklären? Heute ließe sich dementsprechend fragen: wer wäre jenseits aller Katastrophendiagnostik mehr berufen, die intime Chronik ihrer Zeit zu verfassen als Autorinnen und Autoren?
Corona fand in die FACETTEN 2020 nur in einigen Fällen und auf rudimentäre Weise Eingang. Schließlich handelt es sich bei der Pandemie nicht nur um einen Unfall, sondern vor allem um einen Zufall unserer Lebenswelt mit nicht vorgesehenen drastischen Folgen. Als Motto über den vierunddreißig Beiträgen der diesjährigen FACETTEN könnte denn auch eines der lakonischen Fragmente von Eva Fischer stehen: „Der Zufall hat immer einen Einfall.“ Dass die Zeit für substanzielle literarische Reflexion des viralen Ausnahmezustandes noch nicht reif ist, macht der Beitrag der Autorengruppe „Original Linzer Worte“ schon im Titel deutlich: „Als wir etwas für die Facetten schreiben wollten, aber dadurch leider Linz und das System zerstört haben.“ Soweit sollte es noch kommen! Wer sich den Umständen vorsichtiger nähert, gerät wie Karin Peschkas erzählerischer Essay ins Zögern: „Und eine Reise nach Linz. Von wo? Wohin?“ Es sind vor allem Fragen, die auch in der großen Prosa-Tirade des Lyrikers Christian Steinbacher überdeutlich werden, der allerdings – allen widrigen Zuständen zum Trotz – jenes ästhetische Grundprinzip auf den Punkt bringt, dem jeder literarische Text, der diesen Namen verdient, zu folgen hat: „Daumenlutschen ist sicher eine Schwachstelle, aber Bohren in der Nase nicht minder.“ Was sonst noch bleibt ist bis auf Weiteres „Werktag“, von dem es in Richard Walls Gedicht heißt: „Apfel rot / Und Morgen blau / Der Tag lüftet seinen Hut. // Pendler stehn im Stau / Gieße mir Tee und Milch / In die Tasse. // Und warte / Bis des Nachbars Hofhund bellt / Und mir das erste Wort einfällt.“
( im Vorwort)
Aktualisiert: 2020-12-17
Autor:
Otto Johannes Adler,
Verena Dolovai,
Stephanie Doms,
Andrea Drumbl,
Ulrike Fellnhofer-Lamm,
Eva Fischer,
Angela Flam,
Dietmar Füssel,
Rudolf Habringer,
Lydia Haider,
Mario Keszner,
Erich Klein,
Peter Leisch,
Martin Klaus Menzinger,
Kurt Mitterndorfer,
Helmut Neundlinger,
Lisa-Viktoria Niederberger,
Robert Oltay,
Karin Peschka,
Hildegard Pramhas,
Susanne Purviance,
Wilhelm Rager,
Stefan Reiser,
Katharina Riese,
Benjamin Rizy,
Renate Silberer,
Christian Steinbacher,
Herbert Christian Stöger,
Ortrun Veichtlbauer,
Richard Wall,
Bernhard Widder,
Georg Wilbertz,
Katharina Wurzer,
Katharina Zanon,
Andrea Zipko
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“Oft habe ich versucht, das zu schreiben, was ich gerne lesen würde. Aber als ich dann später das Geschriebene gelesen habe, stellte ich fest, daß sich mein Geschmack entscheidend zu ändern hatte …” (HC Stöger)
Aktualisiert: 2022-10-01
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Literatur darf alles: parodieren, veralbern oder verarschen; wenn sie es kann, selbst blödeln. So wie es der späte Friedrich Achleitner, Klassiker der „Wiener Gruppe“ und Doyen der Österreichischen Architekturgeschichte und -kritik, der im März 2019 verstarb, in seinen späten Texten „ohne sense“ tat. Der gebürtige Schalchener griff nicht zufällig in seinen experimentellen Anfangsjahren zum Innviertler Dialekt, um ihn neu hören zu lassen; zuletzt hatte sich Achleitner in minimalistischen Stücken zur höheren Kunstform des Blödelns freigespielt. Zu „Heimat“ fiel ihm etwa ein: „mei muaddal woa a linzarin / drum hob i wean so gean.“ Oder er dichtete staatstragend subversiv: „heimat bist du großer söchter / ja da lob ich mir / die töchter.“
Mag es zum Gemeinplatz der österreichischen Literaturgeschichte gehören, dass am Ursprung der 2. Republik keine neue Welt ohne neue Sprache zu begründen war – wozu scheinbar paradox auf den regionalen Dialekt zurückgegriffen wurde –, in deren fortgeschrittenem Stadium ist für ihre „Töchter“ dessen Gebrauch im Dienste der Freiheit und der Frechheit selbstverständlich geworden. Dominika Meindls „Götterdämmerung“ entstellt damit die lokalen Verhältnisse zur Erkenntlichkeit: „LH: Des wird jetzt a Leistungsschau von unserem Kulturstandort! Vize: I gangad nia ins Theata, owa des schaut supa aus!“ Am Ende des Dramoletts erhebt sich dann, wenn auch unter einem „großen Haufen Gotteskot“, eine Stimme zum „Hoch auf die Macht der Literatur!“ Ein ähnlich sarkastischer Tonfall wird in Lydia Haiders „Grundlsee-Tatort“ angeschlagen: „K.: Sie san a Schriftstellerin, heat ma. S.: Ja. K.: Sprache heat jo a nie auf.“
Auch im Beitrag von Martin Pollack, einem der bekanntesten zeitgenössischen Autoren oberösterreichische Provenienz, verrät Sprache auf eindringliche Weise das absichtlich Unbewusste dieser Welt. In seiner Erinnerung an „meine Heimatstadt Linz“ in den späten 1950er Jahren berichtet Pollack eine abgründig skurrile Episode: „Meine Mutter war nicht sonderlich politisch, aber sie war verhaftet im alten System, das sie vermutlich nie wirklich in Frage gestellt hat. Ich weiß noch, wie sie einmal bei uns im Garten, wir waren allein, plötzlich, aus heiterem Himmel, zu singen begann, als wäre das das Normalste auf der Welt: Hey Babariba, die Nazi kommen wieder … Da war ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ich wusste also bereits, was das zu bedeuten hatte.“ Wenn achtzig Jahre nach Beginn des Zweigen Weltkrieges, an dessen Anfängen auch dieses Land nicht ganz unbeteiligt war, nicht nur Dreizehn-, Vierzehnjährige zu dieser Einsicht reiften, wäre einer alten Wahrheit Genüge getan: An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen!
Die dreiunddreißig Beiträge der Facetten 2019 sind in ihrer inhaltlichen, stilistischen und poetologischen Vielfalt nicht nur ein Beitrag zu dieser Form des Erkennens; sie stellen auch einen Querschnitt durch den Ist-Zustand dar; diesen immer wieder neu zu beschreiben, zu bedichten und damit zu erfinden, ist die eigentlich Aufgabe der Literatur.
( im Vorwort)
Aktualisiert: 2022-08-31
Autor:
Friedrich Achleitner,
Günther Androsch,
Corinna Antelmann,
Claudia Bitter,
Isabella Breier,
Stephanie Doms,
Andrea Drumbl,
Ulrike Eder,
Eva Fischer,
Dietmar Füssl,
Kurt Gebauer,
Nora Gomringer,
Judith Gruber-Rizy,
Lisa Gruener,
Lydia Haider,
Bodo Hell,
Christoph Janacs,
Günther Kaip,
Mario Keszner,
Erich Klein,
Sophie Krügl,
Peter Leisch,
Dominika Meindl,
Martin Menzinger,
Florian Neuner,
Ines Oppitz,
Martin Pollack,
Hildegard Pramhas,
Wilhelm Rager,
Stefan Reiser,
Katharina Riese,
Birgit Rivero,
Renate Silberer,
Herbert Christian Stöger,
Ortrun Veichtlbauer,
Richard Wall,
Katharina Wurzer
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Vorliegende Texte beinhalten das Textmaterial aus dem DDR Wörterbuch „Wörter und Wendungen”, aus „DAS NEUE CHINESISCHDEUTSCHE WÖRTERBUCH” und Wörterbuch der Gebrüder Grimm. Die Reihenfolge der Wörter wurde beibehalten – es wurde lediglich etwas hinzugefügt, das Textmaterial wurde entwendet.
Aktualisiert: 2022-10-01
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Der Fact-Fiction-Comic „Curt Kubin“ zeichnet Episoden aus dem Leben Alfred Kubins nach, Begegnungen mit anderen Künstlern, mit Frauen etc. Unter Benutzung von Originalzitaten der historischen Personen. Es gibt die anekdotische Erzählung, wonach Alfred Kubin bei starkem Sommergewitterregen gerne nackt in den Garten hinausgeeilt sei und vergnügt sich dem strömenden Nass hingegeben habe.
Was bleibt von Alfred Kubin, der als Künstler mit seherischen Fähigkeiten bedacht wurde und als Chronist der menschlichen Abgründe fast wie ein Guru über diesen Abgründen schwebt, dessen Roman „Die andere Seite“, in den Literaturhimmel gehoben wurde, der ein Hitlerbild in seiner Schreibtischlade aufbewahrt und einige Zentimeter darüber seine Bedürfnisse gezeichnet hat.
Aktualisiert: 2022-02-23
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