Meinem Freund Gerhard Uhlenbruck zum achtzigsten Geburtstag
Ein guter Freund, ein guter Arzt.(Sprichwort)
Am 17. Juni 2009 feiert der bekannte Medizinprofessor und Schriftsteller Gerhard Uhlenbruck seinen achtzigsten Geburtstag, wozu es zweifelsohne viele Gratulationen und Geschenke aus aller Welt geben wird. Als besondere Überraschung und als Zeichen der Anerkennung und Bewunderung legt Uhlenbrucks bewährter Verleger Ralf Reglin einen weiteren Band mit bereits veröffentlichten sowie neuen Aphorismen des Jubilanten vor, und für mich ist es als Freund dieses einmaligen Menschen eine große Ehre, einige einleitende Worte hinzuzufügen. Dieses Glück hatte ich eigentlich bereits dreimal, denn als Sprichwortforscher gab mir Ralf Reglin die Gelegenheit, die folgenden drei Bände mit sprichwörtlichen und redensartlichen Aphorismen aus dem Lebenswerk Gerhard Uhlenbrucks herauszugeben: “Der Klügere gibt nicht nach”: Sprichwörtliche Aphorismen (2003), “Kein Blatt von den Mund nehmen”: Redensartliche Aphorismen (2005) und “Auf Herz und Nieren prüfen”: Phraseologische Aphorismen (2007). Diese Bücher ergeben gerade ein Zehntel der unglaublichen Produktivität dieses großen Aphoristikers, dessen Gesamtwerk in gut dreißig Aphorismusbänden vorliegt. Damit ist Gerhard Uhlenbruck der fruchtbarste deutschsprachige Aphoristiker der Moderne, aber natürlich nicht nur das! Quantität allein tut es ja bekanntlich nicht. Ohne Zweifel gehört dieser sprachgewandte und geistreiche Virtuose auf dem Gebiete dieser literarischen Kleinform überhaupt zu den besten Schriftstellern dieser Gattung.So war ich eigentlich ein wenig enttäuscht, als sein Name und Bild in Florian Illies‘ Feuilleton-Beitrag in der Wochenzeitung Die Zeit (Nr. 12, 12. März 2009, S. 45) fehlten: “Jahrgang 1929. Zum achtzigsten Geburtstag: Was ist das geheime Band, das Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger, Eduard Zimmermann und Heiner Müller verbindet?” Wie aus diesem Titel hervorgeht, stehen hier Schriftsteller, Philosophen und Schauspieler zur Diskussion, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben und dann “das geistige und kulturelle Nachkriegsdeutschland auf einzigartige Weise geprägt” haben. Schriftsteller wie Walter Kempowski, Christa Wolf, Peter Rühmkorf, Michael Ende und Heiner Müller kommen noch dazu, und es fehlen auch Nadja Tiller, James Last und Ralf Dahrendorf nicht. Auch an Anne Frank wird gedacht! Ich vermisse allerdings die Schriftsteller Walter Helmut Fritz, Günter Kunert und auch Josef Reding, und besonders auffallend ist, dass keine Naturwissenschaftler des Jahrgangs 1929 genannt werden. Hier hätte demnach Gerhard Uhlenbruck als Doppelgenie – renommierter Wissenschaftler und großer Aphoristiker – eine bedeutende Lücke ausfüllen können. Auf jeden Fall gehört er in diese Gruppe von gewichtigen Personen, die dieses Jahr achtzig geworden wären, es geworden sind oder noch werden. Natürlich gilt ganz allgemein, dass es gerade für Lyriker und Aphoristiker nicht leicht ist, den Durchbruch in die allgemeine Hochschätzung zu schaffen. Doch wie dem auch sei, Gerhard Uhlenbruck, der Achtziger, ist eine bedeutende Persönlichkeit seines Jahrgangs und wird mit der Zeit weiterhin an Beachtung gewinnen.Wie gratuliert man nun einem bewundernswerten Menschen und besonderen Freund zu seinem achtzigsten Geburtstag? Da ich weiß, dass viele seiner Kurzprosatexte von geflügelten Worten, Sprichwörtern und Redensarten ausgehen, habe ich einmal nachgeschaut, was denn die Volkssprache über dieses biblische Alter zu sagen hat. Meinem Medizinerfreund Gerd wird es dabei nicht überraschen, dass es da unter den Tausenden von Volksweisheiten nicht viele gibt. Schließlich wurde man früher selten so alt, und es ist doch eigentlich erst die moderne Medizin, die es immer mehr Menschen ermöglicht, ein hohes Alter zu erreichen. Daran hat Gerhard Uhlenbruck als Arzt, Medizinprofessor und Leiter des Instituts für Immunbiologie an der Universität Köln erfolgreich mitgewirkt, was ganz besonders von seiner Forschung und seinen wissenschaftlichen Publikationen in der Sportmedizin und überhaupt der Gesundheitspflege gilt. Gerade auf diesen Gebieten sowie der Krebsforschung hat Uhlenbruck seinen Mitmenschen geholfen, ein gesundes, ausgeglichenes und langes Leben zu führen.Was das Volk so über die Jahrhunderte hinweg über die verschiedenen Altersstufen zu sagen hatte, sei an dem folgenden Priamel-Sprichwort aus dem sechzehnten Jahrhundert aufgezeigt: “Zehen iar ein kindt, zwentzig iar ein iungling, dreyssig iar ein man, viertzig iar wolgethan, funfftzig iar stille stahn, sechtzig iar geht dichs alter an, siebentzig iar ein greyss, achtzig iar nymmer weiss, neuntzig iar der kinder spott, hundert iar genad dir gott!” Doch wie immer in der Volksüberlieferung gibt es etliche Varianten, wobei die folgende besser auf den weisen Achtziger Uhlenbruck passt: “Zehn Jahr ein Kind, zwanzig das wilde Ding, dreissig ein Mann, vierzig ein Stamm, fünfzig mag noch stehen, sechzig abwärts gehen, siebzig alter Greis, achtzig vor allem weis, neunzig ein Spott, hundert da gnad‘ ihm Gott.” Doch da aller guten Dinge drei sind, sei noch folgende Volksweisheit genannt, die absolut nicht zu der intellektuellen Geisteskraft Uhlenbrucks passt: “Zehn Jahr ein Knab‘, zwanzig Jahr ein Jüngling, dreissig Jahr ein Mann, vierzig Jahr Stillstand, fünfzig Jahr tritts Alter an, sechzig Jahre ein Greis, siebzig Jahre weis, achtzig Jahre Kinderspott, neunzig hohe Gnad‘ von Gott, hundert Jahr mit der Axt vorn Kopf.”Natürlich aber gibt es auch kürzere Volksweisheiten über Menschen, die das schöne Alter von achtzig erreichen. Doch wie schon bei den Priameln wird dabei ersichtlich, dass sich Sprichwörter wirdersprechen, da sie nun einmal nicht Universalweisheiten sind sondern immer nur in gewissen Kontexten stimmen. So heißt es einmal sehr positiv “Wenn ein Achtziger spricht, muss man beide Ohren gebrauchen”, und dann sagt man aber auch “Wenn Achtziger tanzen, gibt der Tod Ordonnanzen.” Auch heißt es zuversichtlich “Wer mit achtzig Jahren Musik lernt, kann am Jüngsten Tage aufspielen”, und anscheinend kann ein alter Mensch sich noch bessern, denn “Gott spricht auch mit einem Achtziger, wenn er ihn nur hören will.” Doch das Volk ist nicht immer so didaktisch bedacht, und so gibt es durchaus humorvolle Texte, die sexuelle Motive einbeziehen, wie etwa in dem Dialektsagwort “Oll (alte) Höhner sünd tâg (zäh), säd‘ Hans, dar harr he bi‘ne Jungfer von tachentig (achtzig) Johr legen” oder dem Sprichwort “Eine gute Frau macht aus dem Achtziger einen Vierziger, eine böse aus dem Vierziger einen Achtziger.”Schließlich sind da noch folgende zwei sprichwörtliche Redensarten, wovon die erste nun wirklich nicht auf Gerhard Uhlenbruck gemünzt ist, nämlich “Er hat seine achtzig Eimer weg.” Diese Metapher bezieht sich auf einen soliden Trinker, der angeblich in seinem Leben achtzig Eimer Branntwein zu konsumieren hat. Da schließe ich diese knappe Revue dieser Achtziger-Texte doch lieber mit dieser letzten Redensart ab, die in der Tat meinen guten Freund charakterisiert: “Er hat achtzig Rusches im Ponim.” Die im neunzehnten Jahrhundert in Königsberg aufgezeichnete Redensart stammt aus der jüdisch-deutschen Volkssprache und sagt, dass jemand achtzig Geister im Gesicht hat (d.h. sehr gescheit aussieht). Das hat mit dem Alter von achtzig Jahren nichts mehr zu tun, aber der Achtziger Gerd Uhlenbruck sieht nicht nur gescheit aus, sondern er ist es auch als Mediziner und Aphoristiker. Und so geht es in seinen Aphorismen immer wieder um tiefgreifende Erkenntnisse, die sich als Lebensweisheiten entpuppen, wobei es sich allerdings weniger um vordergründige Didaktik sondern um satirische, ironische oder humorvolle Formulierungen über Menschen und das Leben schlechthin handelt.Allein schon einige Titel seiner zahlreichen Aphorismenbände lassen erkennen, dass er sich des öfteren kritisch mit altüberlieferten Sprichwortweisheiten auseinandersetzt, denen keine absolute Allgemeingültigkeit zukommt, und die demnach nicht immer auf die Realität des modernen Lebens passen. Dabei widerspricht Uhlenbruck den Volksweisheiten nicht unbedingt, sondern er entstellt und verfremdet sie, um so zum Mit- und Nachdenken anzuregen. Buchtitel in der Form von Antisprichwörtern wie Eigenliebe macht blind (1985), Die Wahrheit lügt in der Mitte (1999) und Der Zweck heiligt die Kittel (2007) zeigen das sehr deutlich, aber redensartliche Titel wie etwa Den Nagel auf den Daumen getroffen (1980), Das darf doch wahr sein! (1994), Ein Körnchen Wahrheit für alle Tage (2001), Klartexte aus dem Trüben gefischt (2002) und Diagnosen, die gerade noch gefehlt haben (2004) lassen Uhlenbrucks Vorliebe für das provozierende Spiel mit der Volkssprache ebenfalls erkennen. Sehr gelungen scheint mir darunter der auf einem kleinen Wortspiel mit dem englischen Sprichwort “Nobody is perfect” beruhende Titel No body is perfect (1989) zu sein, der aufzeigt, wie Uhlenbruck allein durch eine orthographische Trennung einem alten Sprichwort einen völlig neuen Sinn geben kann. Diese innovative Formulierung könnte ein neues Sprichwort werden, und ich kann dazu hier aussagen, dass ich eben diese Formulierung in einer amerikanischen Werbung aus dem Jahre 1984 gefunden habe.Selbstverständlich ist sich der so beflissen an vorgeprägten Sprachformeln arbeitende Uhlenbruck bewusst, dass viele aber bei weitem nicht alle seiner Aphorismen von dieser fertigen Sprachware ausgehen. Er hat dies verschiedentlich in seinen Meta-Aphorismen zum Ausdruck gebracht, und das gilt erneut für etliche in dem hier vorliegenden Jubiläumsband stehende Texte. Solche Überlegungen verdeutlichen, worum es Uhlenbruck in seinen sprachgewandten und geistreichen Aphorismen geht:Aphorismen sind wie Sprichwörter, nur mit dem Unterschied, dass man dabei namentlich als Autor genannt werden möchte.Mancher Aphorismus schmückt sich mit den Federn geflügelter Worte.Das Ansinnen von Aphorismen: Scharfsinn gegen Stumpfsinn!Aphorismen stellen die Stenografie eines Gedankenganges dar.Der Aphorismus verdichtet die Quintessenz einer Erfahrung in der Sentenz einer Erkenntnis.Ein Aphoristiker bringt die Dinge auf den Punkt, der hinter einem einzigen Satz steht. Oft wirkt ein Sprichwort wie ein Stichwort für Aphoristiker.Aphorismus: In einem einmaligen Satz einmal etwas Gesetzmäßiges formulieren als eines der vielen Naturgesetze des Menschlichen.Aphorismen zu schreiben ist der Versuch, in einem Satz mehr zu sagen als sich sagen lässt.Ein Aphorismus kann ein Samenkörnchen Wahrheit sein.Aphorismen, das sind wenige Worte in einem Satz, aber vielsagend.Ein Sprichwort ist für den Aphoristiker ein Rohdiamant, den er für einen fein geschliffenen Satz verwenden kann.Als Aphoristiker kommt man beim Schreiben nie über einen Satz hinaus.Was nun die Themen dieser Aphorismen betrifft, so kann man tatsächlich sagen, dass sie unbegrenzt sind und das ganze moderne Dasein umfassen, wie etwa den Arztberuf, Gesundheit, Krankheit, Menschheit, Wahrheit, Wissenschaft, Umwelt, Politik, Wirtschaft, Geschlechterkampf, Ehe, Liebe, Sexualität, Geld, Glück, Karriere, Sport, Stress, Zeit usw. Überall kommt eine verständnisvolle Menschenkenntnis zum Vorschein, die bei aller Gesellschaftskritik nicht in Zynismus oder Pessimismus mündet sondern Hoffnung auf eine bessere Einrichtung der gebrechlichen Welt zum Ausdruck bringt. Das sei an einigen Beispielen aus diesem Geburtstagsband aufgezeigt. Ralf Reglin hat mir das Manuskript zugeschickt, und so habe ich mir für gewisse Themenbereiche einige “Aphorismusrosinen” herausgepickt, die Uhlenbrucks Arbeitsweise und Gedankenwelt aufzeigen. Überall handelt es sich um Geistesblitze, Denkanstöße und Feststellungen, die diesen brillanten Aphoristiker als hervorragenden Virtuosen auf dem Gebiete der Kürzestprosa auszeichnen. Ich brauche und kann hier jeweils nur drei Texte zitieren, und ich möchte natürlich auch nicht alle Geheimnisse des Buches vorwegnehmen:Wahrheit:Die Wahrheit macht uns sprachlos, deshalb sprechen wir auch so selten von ihr.Oft ist Wahrheit ein noch nicht entlarvter Irrtum.Die Wahrheit ist das, was jeder einzelne dafür hält.Menschen:Viele Menschen leiden unter der Vollbeschäftigung – mit sich selbst.Bei manchen Menschen verläuft das Leben schnurgerade – nach einer Richtschnur.Es gibt Menschen, die haben deswegen ein dickes Fell, weil sie sich nie gehäutet haben. Liebe:Liebe macht blind, weil wir vor der Wahrheit gerne die Augen verschließen.Erst ineinander verliebt, dann auseinander gelebt.Liebe auf den ersten Blick ist vergleichbar mit der Liebe zu einem Buch, von dem man nur das Titelblatt kennt.Ehe:Wenn eine Ehe Langeweile mit sich bringt, weilt sie auch nicht lange.Manche Ehe endet in einer gähnenden Lehre, die einen lehrt, was Leere ist.Die Ehe ist eine Verbindung, bei der jeder von beiden das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden möchte.Gesundheit/Krankheit:Der Kranke fiebert seiner Gesundung entgegen.Alzheimer: Die Gedankengänge gehen ins Leere und verlieren sich.Gesundung ist ein kreativer Prozess mit dem Willen zum Erfolg.Sport:Eine Lebensweise ohne Sport ist Mord.Der sporttreibende Mensch fühlt sich von seinem Körper wiedergeliebt, der Kranke fühlt sich von ihm im Stich gelassen.Gesundheitssport ist kein Steckenpferd, sondern ein Zugpferd für die Gesundheit.Stress:Stress: Wer am Beginn seines Lebens immer der erste sein wollte, der wird es auch am Ende sein.Party-Stress: Man sollte nur den Leuten zusagen, die einem auch zusagen.Der Stress-empfindliche Hypochonder hat aus Angst vor der ewigen Ruhe ewige Unruhe.Glück:Im Leben findet man manchmal das Glück – bei anderen Menschen, die glücklich sind.Glück kann zufrieden machen, Zufriedenheit aber nicht glücklich.Glück kann man einem weder ein- noch ausreden.Geld:Je mehr die Menschen im Besitz von Geld sind, umso mehr sind sie vom Geld besessen.Wer im Geld schwimmt, schwimmt immer gegen den Strom, unermüdlich auf der Suche nach weiteren Geldquellen.Geld stinkt nicht, es stinkt nur denen, die es nicht haben.Politik:Bei der Wahl gibt man seine Stimme ab, um anschließend über das Resultat sprachlos zu sein.Wenn die Wahlplakate entfernt sind, haben die Gewählten auch schon ihr Gesicht verloren.Der Nachteil einer Demokratie besteht in dem Mitspracherecht unwissender Besserwisser.Zeit:Wenn man nur die Zeit noch totschlägt, dann kann man sich schon begraben lassen.Wer die Zeit totschlägt. begeht Selbstmord am eigenen Leben.Die Zeit heilt Wunden, hinterlässt aber zeitlose Narben.Diese Beispiele zu einigen Themen bezeugen, dass Gerhard Uhlenbruck oft von Sprichwörtern und Redensarten ausgeht. Das zeigen in diesem Band ebenfalls Texte, die sich über das ganze Buch verteilt zu den beiden Sprichwörtern “Der Klügere gibt nach” und “Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg” finden lassen. Hier erkennt man Uhlenbrucks ständige Versuche, zu immer neuen aussagekräftigen Formulierungen durchzudringen. Mich überrascht bei all diesen Mutationen eines Sprichworts, dass sich der Autor nur ganz selten in all seinen Aphorismenbüchern wiederholt. Ich habe in meinem internationalen Sprichwörterarchiv an der University of Vermont alle Aphorismen meines Freundes verzettelt und nur ganz wenige Doppelaussagen notiert. Da ich weiß, dass Gerhard Uhlenbruck keinen Zettelkasten seiner Aphorismen besitzt (das tut halt nur sein dilettantischer Freund), wo er nach möglichen Wiederholungen suchen könnte, halte ich diesen Umstand für einen weiteren Beweis der Originalität dieses hellen Kopfes! Doch hier nun die beiden Belegreihen aus nur diesem Buch, wobei auffällt, wie der Autor durch Hinzufügung oder Austausch nur eines Buchstabens beziehungsweise durch kurze Erweiterungen aufschlußreiche Antisprichwörter formuliert:Der Klügere gibt nach? Er sollte die Stirn haben, seinen Kopf durchzusetzen!Der Klügere gibt nach, weil er am Ende nicht der Dumme sein will.Der Klügere gibt nach, bis der Dümmere aufgibt.Nicht jeder, der nachgibt, ist deshalb auch schon der Klügere.Der Klügere gibt nach, und der Dümmere gibt nicht auf.Dem Klügeren gibt man nach.Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.Wo Dein Wille ist, ist auch Dein Weg.Wo ein Weg ist, ist nicht immer ein Wille: Resignation.Wo ein Wille des Patienten ist, ist auch ein Arzt, der den richtigen Weg weist.Da nun meine Einleitung einmal eine subjektive Diskussion der Aphoristik meines guten Freundes darstellt, sei mir gestattet, auf Uhlenbrucks Interesse an der englischen Sprache aufmerksam zu machen. Er hat vor vielen Jahren in Oxford studiert, und als er mich vor einigen Jahren hier in Burlington im Bundesstaat Vermont besuchte, waren seine Englischkenntnisse so perfekt wie eigentlich alles, was dieser großartige Mensch unternimmt. Es war also für diesen Herrn Professor Uhlenbruck überhaupt kein Problem, in den Vereinigten Staaten als deutscher Wissenschaftler mit einem elegant vorgetragenen englischsprachigen Fachvortrag aufzutreten. Hier nur einige Beispiele dafür, wie angloamerikanisches Vokabular in seinen Texten zum Vorschein kommt. Oft handelt es sich dabei um ein englisches Stichwort, dessen Bedeutung dann auf Deutsch herausgestellt wird. Diese Art der Definitionsaphorismen erscheint natürlich in Uhlenbrucks Gesamtwerk ebenfalls völlig in deutscher Sprache: Walking: Wenn man die Beine in die Hand nimmt, so hat das Hand und Fuß!In der Liebe ist die Lüge erlaubt, wenn die Liebe nicht erlaubt ist: undercover lover.Mainstream: Wenn alles gleich gültig ist, wird man gleichgültig.Small talk besteht in der Kunst, so lange um den heißen Brei zu reden, bis er kalt ist.Stalking: Willst du nicht mein Liebster sein, so schlag ich dir den Schädel ein.Zwischenmenschliches: Seid inter-nett zueinander!Brainstorming: Heiße Luft gegen geistige Windstille.Homepage: Die globalisierte Heimat?No thing is nothing.The sense of nonsense is no sense.Publicity: Die Welt als Wille zur Vorstellung.My Homepage is not my castle.Selbstverständlich weiß mein Freund sehr gut, welche Freude ich gerade an diesen Texten habe, und zwar vor allem, wenn ihm ein “tolles” Sprachspiel mit einem vollständigen englischen Sprichwort gelingt. Und schließlich ist da noch der Aphorismus “Schönheit liegt im Auge des Betrachters, Hässlichkeit im Auge des Verachters”, wobei es sich um eine Erweiterung des aus dem Englischen lehnübersetzten Sprichwortes “Beauty is in the eye of the beholder” handelt.Erwähnt sei noch, dass Gerhard Uhlenbruck neben Sprichwörtern auch geflügelte Worte bearbeitet, und so fußt sein Aphorismus “Am Anfang war das Wort – am Ende der Wortsalat” auf der Bibel, der Aphorismus “Es irrt der Mensch solange er liebt – vor allem sich selbst” beruht auf Goethes Faust, und der Aphorismus “Gegen die Dummheit mancher Patienten kämpfen selbst Halbgötter vergebens” geht auf Schillers Die Jungfrau von Orleans zurück. Wiederholt bezieht sich Uhlenbruck auch auf seine Geburtsstadt Köln, die ihm als Rheinländer so viel bedeutet, wie zum Beispiel “Da eine Hand die andere wäscht, hat man in Köln alle Hände voll zu tun”, “Karneval: Die Kölner sind jeck – aber mit welch einer Begeisterung!”, “In Köln kann man mit seinem Vogel auf einen grünen Zweig kommen” und “Kölner Klüngel: Wer sich im Unterholz bewegt, befindet sich nicht auf dem Holzweg.” Das ist alles nicht böswillig gemeint, denn hier spielt ein verständnisvoller Humor mit hinein. Überhaupt ist der Autor sehr auf Humor bedacht, der zu seiner positiven Lebenseinstellung gehört:Ob einer Humor hat oder nicht, das zeigt sich dann, wenn ihm das Lachen vergangen ist.Nicht jeder, der lacht, hat Humor, aber alle, die Humor haben, können auch lachen.Humor, das sind Lichtblicke, die auf der Schattenseite des Lebens Wärme spenden.Humor bedeutet auch, dass man sich krank lacht, um als Genesender zu gesunden.Humor gibt uns die Kraft, gegen den Strom von Selbstmitleid zu schwimmen.Und wer wird bei solchen Aphorismen wie “Ein Elefant im Porzellanladen hat selten alle Tassen im Schrank”, “Lebensregel: In dubio pro fit – das bringt Profit für unsere Lebensqualität” und “Lügen haben kurze Beine: Das ist ihr Pferdefuß!” nicht schmunzeln? Doch dann kommen sofort ernsthaftere Überlegungen dazwischen, wie etwa “Raser im Autoverkehr beweisen, dass die Technik sich schneller entwickelt als das Gehirn des Menschen”, “Unwissen ist ein sanftes Ruhekissen” und “Nach uns die Sintflut durch die globale Erwärmung und den Anstieg des Meerespiegels: Wird eine Redensart Realität?” Das Fragezeichen am Endes dieses letzen Belegs macht noch einmal deutlich, dass Gerhard Uhlenbrucks Aphorismen bei aller Wort- und Sprachspielerei das Wertsystem des modernen Lebens hinterfragen. Diese Infragestellung ausgedienter Denkmuster und fragwürdiger Handlungsweisen charakterisiert die Aphoristik dieses engagierten und bedachten Menschen, der seinen Mitmenschen in aller Wort- und Bildschärfe den Spiegel der Selbsterkenntnis vorhält, ohne seine Leser mit Regeln und Geboten zu schikanieren. Als Intellektueller, als Wissenschaftler und als Zeitgenoose will Gerhard Uhlenbruck an einer menschlicher gesinnten Welt mitarbeiten, und seine “gesunden” Aphorismen sind deshalb trotz aller Sozial- und Zeitkritik ein Werk der Genesung. Ich wenigstens sehe in den Aphorismen meines guten Freundes, wenn auch oft nur indirekt, einen Hoffnungsfunken für die Menschheit, in etwa wie es Barack Obama mit seinem aufbauenden Dreiwortslogan “Yes we can” ausgedrückt hat.Zum Schluss meiner recht persönlichen Einleitung zu diesem Geburtstagsgeschenk für Gerhard Uhlenbruck möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass ich als Sprichwortforscher verständlicherweise Aphorismen als Beispiele ausgewählt habe, die auf Sprichwörtern und Redensarten, oft sogar mit zwei Ausdrücken in einem Text, beruhen. Selbstverständlich aber sind die Aphorismenbücher sowie dieser neue Band Uhlenbrucks angefüllt mit Texten, die nicht von vorgeprägten Ausdrücken ausgehen. Das wäre dann doch zu viel des Guten! Dennoch aber möchte ich meine kurzen Bemerkungen mit zwei redensartlichen Aphorismen aus diesem Jubiläumsband abschließen. Da ist einmal diese Bemerkung über die Bedeutung einer wirklichen Freundschaft: “Nur von einem Freund kann man sich ein Stück abschneiden, ohne ihn zu verletzen.” Seit dreißig Jahren verbindet uns eine tiefe Freundschaft, wie es unsere reichhaltige Korrespondenz zu erkennen gibt. Getroffen haben wir uns nur zweimal in diesen drei Jahrzehnten, und zwar einmal Anfang der 1980er Jahre in Köln bei ihm, und dann ein zweites Mal vor zwei Jahren hier bei mir in Burlington. Aber unsere Freundschaft wuchs dennoch über die große Entfernung hinweg, weil es zwischen uns eine Seelenverwandtschaft gibt, die uns ohne jeglichen Zweifel verbindet. Unser Briefwechsel ist ein umfangreicher und ehrlicher Beweis dafür, wie sich zwei Wissenschaftler durch alle Krisen, Selbstzweifel und Depressionen hinweg unterstützen und fördern und natürlich auch die Erfolge und Ehrungen des Freundes mit Freude anerkennen. Ich habe während der letzten Tage etliche Briefe noch einmal gelesen, und so wurde mir erneut klar, dass unsere Freundschaft etwas ganz Besonderes ist, die sich sehr treffend mit dem Sprichwort “Ein guter Freund, ein guter Arzt” zusammenfassen lässt.Indem ich nun meinem verehrten Freund Gerhard Uhlenbruck alles Gute und Liebe zu seinem achtzigsten Geburtstag wünsche, und zwar zusammen mit Maggie, Barbara, Felicitas und Ralf Reglin, Verwandten, Freunden, Kollegen, Studenten und seiner gesamten Leserschaft, zitiere ich zum Schluss noch ein bekanntes Sprichwort, das alles, was ich auszudrücken versucht habe, in wenigen Worten zusammenfasst: “Freundschaft ist des Lebens Salz.” Doch natürlich gehört das Schlusswort dem Achtziger selbst, dem noch viele Jahre der Schaffenskraft und Lebensfreude zu wünschen sind. Er hat seinen Mitmenschen noch viel zu sagen, und seine Aphorismen tun das in aller Kürze schon seit über vier Jahrzehnten! Für alle seine Aphorismenbände und auch für dieses Geburtstagsbuch gilt, was Gerhard Uhlenbruck in einem Aphorismus in eben diesem Band pointiert zum Ausdruck bringt: “Ein Buch eines Aphoristikers spricht Bände.” Herzlichsten Glückwunsch, mein guter und lieber Gerd, und ad multos annos! – Dein treuer Freund Wolfgang.Wolfgang MiederFrühjahr 2009