Autor: Inga Wagenknecht

Diese Arbeit untersucht die Kosten und den Nutzen Früher Hilfen in der Lebensverlaufsperspektive. Ökonomischen Fragestellungen gewinnen in der Kinder- und Jugendhilfe seit den 1990´er Jahren zunehmend an Bedeutung und rücken insbesondere vor dem Hintergrund steigender Ausgaben und knapper öffentlicher Kassen verstärkt ins Blickfeld. In der Folge werden vermehrt Möglichkeiten diskutiert, wie die Ausgaben in diesem Bereich gesenkt werden können. Dass Angebote der Kinder- und Jugendhilfe einen Nutzen stiften, der auch der Gesellschaft zugutekommt, wird kaum betrachtet. Dies entspricht der Sichtweise der Wirtschaftswissenschaften, in der Leistungen von Familien und unterstützenden Diensten kein Wert beigemessen wird, da es sich hierbei um nicht marktförmige (Dienst-)Leistungen handelt. Dieser Logik folgend konzentrieren sich Steuerungsversuche in diesem Bereich vorrangig auf die Steigerung der Effizienz und Reduzierung der Kosten. Präventive, freiwillige Leistungen – wie die Frühen Hilfen – werden in dieser Situation oftmals hinter die Pflichtaufgaben zurückgestellt. Hierdurch besteht langfristig die Gefahr von Fehlsteuerungen, da nicht einbezogen wird, welche Folgekosten entstehen, wenn Hilfen und Unterstützungsangebote nicht rechtzeitig und in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen (BMFSFJ 2013). In diesem Kontext ist das Forschungsvorhaben dieser Arbeit entstanden mit dem Ziel, eine umfassendere Betrachtung der Kosten und des Nutzens Früher Hilfen zu erreichen. Die Analyse wurde im Projekt „Guter Start ins Kinderleben“ (Ziegenhain et al. 2010) umgesetzt. Die Kosten wurden am Standort Ludwigshafen fallbezogen erhoben. Zur Berechnung des Nutzens wurden basierend auf Erkenntnissen der Lebensverlaufsforschung, der Neurobiologie, Entwicklingspsycho(patho)logie und Bindungsforschung (Dragano, Siegrist 2009; Kuh et al. 2003; Gilbert et al. 2009; Sroufe et al. 2011; Scheithauer, Petermann 1999) unterschiedliche Fallszenarien erstellt und berechnet. Diese zeigen auf, welche kumulativen Kosten durch Kindesmisshandlung und -vernachlässigung kurz-, mittel- und langfristig entstehen. Solche Kosten werden insbesondere in den Bereichen der interventiven Jugendhilfe, für kurative Angebote des Gesundheitssektors (Behandlung von Folgeerkrankungen, z. B. bei psychischen Störungen) sowie durch Delinquenz und Wertschöpfungsverluste im Erwerbssystem (Arbeitslosigkeit, Wertschöpfungsverluste durch geringe Qualifikation) erwartet. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Folgekosten immens sind. Diese betragen nach den hier vorgenommenen Berechnungen über 400.000 Euro unter der Annahme eines moderaten Verlaufs; in den pessimistischen Szenarien liegen die Kosten noch deutlich höher und betragen 1,1 bzw. 1,2 Millionen Euro pro Fall. Die Kosten der Frühen Hilfen wurden im Durschnitt mit 7.274 Euro ausgewiesen. Werden weitere Aufwendungen im Lebensverlauf einbezogen, betragen die Kosten 34.105 Euro pro Fall. Die Folgekosten durch Kindeswohlgefährdung liegen damit gegenüber den Kosten der Prävention durch Frühe Hilfen um das 13-fache bzw. unter der Annahme eines pessimistischen Verlaufs um das 34-fache darüber. Die Ergebnisse machen deutlich, dass in den Frühen Hilfen hohe Nutzenpotentiale für die Kinder, ihre Familien wie auch die Gesellschaft liegen. Da für die Frühen Hilfen in Deutschland bisher noch keine längsschnittlich angelegte Evaluationsforschung über einen längeren Zeitraum vorhanden ist, besteht in diesem Gebiet weiterer Forschungsbedarf. Das derzeitige Wissen und der Forschungsstand verweisen darauf, dass Frühe Hilfen dazu beitragen können, die Beziehungs- und Erziehungskompetenzen der Eltern zu verbessern (Zwönitzer 2015), womit sie als (Ko-)Produzenten zur Wohlfahrtsproduktion beitragen (Oelkers 2011). Damit sie dieses Potenzial entwickeln können, bedarf es einer soliden Finanzierung qualitativ guter Angebote, die den Bedarfen der Familien entsprechen. Die Ausgaben, welche hierdurch entstehen, sollten deshalb als strukturelle Voraussetzung statt als „notwendiges Übel“ betrachtet werden, die zur Erhöhung des Humanvermögens beitragen und dadurch eine Zukunftsinvestition darstellen.