Einer der großen expressionistischen Stummfilme entfaltet - ohne Zwischentitel! - seine Wirkung durch das Zusammenwirken der Kameraarbeit und dem grandiosen Ensemble um Fritz Kortner:
Ein Ehemann ist von seiner Eifersucht getrieben. Bei einem abendlichen Dinner glaubt er, endlich den Beweis für die Untreue seiner attraktiven Ehefrau gefunden zu haben. Hinter den durchsichtigen Vorhängen einer Glastür belauert er gierige Schattenhände, die nach seiner Frau greifen. Doch die Schatten täuschen ihn. In Wahrheit handelt es sich um bedeutungslose Gesten. Seine Frau wird von den Männern nicht einmal berührt. Ein anwesender Schausteller bekommt den Wahn des Ehemanns mit und weiß um die Täuschung. Mit einer Hypnose führt er den Anwesenden ein Schattenspiel vor, das ihnen ihre erotischen Wünsche und Ängste vorführen soll. Das Spiel sorgt für Klarheit. Der Ehemann erkennt, dass seine Frau ihm treu ergeben ist und ihre Kavaliere verlassen das Haus, mit dem Wissen, dass sie bei dieser Frau keine Chance haben.
Zur Restaurierung:
SCHATTEN aus dem Jahr 1923 ist zweifelsohne einer der besten Filme des deutschen Expressionismus, und es sind heute noch viele Kopien dieses Films in Archiven weltweit erhalten. Der unter der Regie von Arthur Robison entstandene Film wurde maßgeblich von den Ideen Albin Graus geprägt, der sich für die Architektur, Dekoration und Kostüme verantwortlich zeichnete. Auch hatte Grau Einfluss auf den Inhalt des Films und verlieh diesem deutlich okkultistische Züge.
Für diesen Film – ein phantastisches Spiel um eine abenteuerliche Begegnung in einer Nacht – wollte man ursprünglich Friedrich Wilhelm Murnau als Regisseur gewinnen, der jedoch aufgrund anderer Vertragsverpflichtungen nicht zur Verfügung stand.
Die Restaurierung erfolgte auf der Grundlage eines Dup-Negativs einer amerikanischen Verleihversion des Museum of Modern Art, New York sowie einer viragierten Original-Nitro-Kopie mit französischen Zwischentiteln der Cinémathèque Française, Paris.
Die Restaurierungsarbeiten begannen mit dem Abgleich aller existierenden Materialien, mit einem Nachvollziehen bisheriger Bearbeitungen und der „Archivierungsgeschichte“ des Films, um sich so nah wie möglich an die Originalversion anzunähern. Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass alle existierenden Materialien und Kopien auf zwei unterschiedlichen Originalnegativen basieren.
Das erste Negativ, überliefert als Dup-Negativ des Museums of Modern Art, entsprach den Kopien aus Deutschland (Cinémathèque Française) und den Vereinigten Staaten (Museum of Modern Art) und höchstwahrscheinlich auch der Kopie aus Spanien (Filmoteca Espanola).
Das zweite Negativ, überliefert durch ein Nitro-Dup-Negativ, das in den 1940er Jahren von einer englischen Verleihkopie hergestellt wurde, unterschied sich vom ersten darin, dass es aus verschiedenen Aufnahmen – meistens mit sehr unterschiedlichen Handlungen und Kameraeinstellungen – zusammengeschnitten wurde. Dieses zweite Negativ bildete die Grundlage zur Herstellung von Kopien, die in Filmarchiven in London und Mailand aufbewahrt werden.
Gemäß aller aufgefundenen Dokumente wurde der Film ohne Zwischentitel uraufgeführt (bis auf die Einleitungstitel). Die aufgrund verschiedener Beschwerden durch Verleiher und Zuschauer später hinzugefügten Zwischentitel fanden in der rekonstruierten Fassung keine Berücksichtigung. (Autor: Luciano Berriatúa)
BIOGRAPHIEN: MUSIKPRODUKTION – REGIE – KOMPONIST –DARSTELLER
Johannes Kalitzke (*1959): Musik
Johannes Kalitzke studiert Klavier, Dirigieren und Komposition an der Musikhochschule in Köln, darauf folgt ein Studium der elektronischen Musik. Er gilt als ausgezeichneter Interpret klassischer und zeitgenössischer Musik, was regelmäßige Gastdirigate bei Ensembles und Sinfonieorchestern sowie Engagements an verschiedenen Opernhäusern unterstreichen. Neben Auftragsarbeiten für Opern sammelt Kalitzke Erfahrung als Komponist für neue Filmmusiken, z.B. für den Stummfilm DIE WEBER (1927), welche von ZDF/ARTE im Juli 2013 produziert und inzwischen mehrfach erfolgreich mit dem ensemble modern aufgeführt wurde.
Arthur Robison (1883 – 1935): Regisseur
Der Regisseur und Drehbuchautor Arthur Robison wird am 25. Juni 1883 in Chicago (Illinois, USA) als Sohn eines Deutsch-Amerikaners geboren, wächst aber in Deutschland auf. Nach dem Abschluss seines Medizinstudiums in München kommt er 1914 über die Schauspielerei zum Film. 1916 gibt er sein Regiedebüt mit NÄCHTE DES GRAUENS. Bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1935 dreht Robison 20 Filme in den USA und Deutschland, für die er teilweise auch das Drehbuch verfasst. Sein wichtigster und bekanntester Film ist SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION von 1923.
Fritz Kortner (1892 – 1970): Schauspieler (Eifersüchtiger Ehemann)
Der Wiener Fritz Kortner zeichnet sich durch eine vielseitige Karriere als Schauspieler, Film- und Theaterregisseur sowie Verfasser von Drehbüchern und Theaterstücken aus. Seine Schauspielkarriere startet er zunächst am Theater, doch schon während des Ersten Weltkrieges spielt er in Stummfilmen mit, in denen seine ausdrucksstarke Darstellung voll zur Geltung kommt. Zur Zeit der Weimarer Republik gilt er neben Emil Jannings und Paul Wegener als einer der angesehensten männlichen Schauspieler. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen SCHATTEN (1923) und ORLAC´S HÄNDE (1924). Kurz nachdem er die Regiearbeit DER BRAVE SÜNDER (1931) mit Heinz Rühmann vervollständigt, verlässt Kortner Deutschland wegen der Nationalsozialisten. Sein Weg führt ihn über Frankreich, Großbritannien, New York und Hollywood, 1949 schließlich wieder zurück nach München. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Kortner nur noch selten selbst im Film zu sehen, er avanciert vielmehr zur Regie-Ikone des Theaters im Nachkriegsdeutschland. Insgesamt tritt Fritz Kortner zwischen 1915 und 1968 in etwa einhundert Filmen auf.
Ruth Weyher (1901 – 1983): Schauspielerin (Ehefrau)
Noch während ihres Besuchs der Schauspielschule des Deutschen Theaters Berlin von 1919-1920 bekommt Ruth Weyher ihre erste Filmrolle in DER HIRT VON MARIA SCHNEE (1919). In der Stummfilmzeit spielt sie in Filmen mit wie SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION (1923), GEHEIMNISSE EINER SEELE (1926) und DIE KEUSCHE SUSANNE (1926). Ihre eigene Produktionsfirma, die Ruth Weyher-Film GmbH, stellt nur einen Film her: WAS IST LOS MIT NANETTE (1929). Nach dem Aufkommen des Tonfilms tritt sie nur noch selten in Erscheinung, z.B. in IM KAMPF MIT DER UNTERWELT (1930), und gibt ihren Beruf schließlich Anfang der 1930er Jahre auf.
Gustav von Wangenheim (1895 – 1975): Schauspieler (Liebhaber der Ehefrau)
Der Schauspieler, Regisseur und Dramaturg Gustav von Wangenheim entstammt einer Schauspielerfamilie und besucht ab 1912 die Schauspielschule Max Reinhardts. Neben Tätigkeiten für die Bühnen in Wien, Darmstadt und Berlin, gibt er 1915 in PASSIONELS TAGEBUCH sein Filmdebüt. Er spielt unter den bekanntesten Stummfilmregisseuren: KOHLHIESELS TÖCHTER (1920) von Ernst Lubitsch, NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1921) von F.W. Murnau, sowie FRAU IM MOND (1929) von Fritz Lang. Aufgrund seines politischen Engagements emigriert von Wangenheim 1933 in die Sowjetunion, wo er als Dramaturg und Schriftsteller aktiv bleibt. Nach 1945 lebt er in der DDR und arbeitet dort als Regisseur und Drehbuchautor für die DEFA.
Alexander Granach (1890 – 1945): Schauspieler (Schausteller)
Alexander Granach besucht ab 1909 die Schauspielschule Max Reinhardts in Berlin und debütiert 1919 im Film DAS GOLDENE BUCH. Der Höhepunkt seines Schaffens liegt in der Stummfilmzeit. Hier tritt er in Hauptwerken des expressionistischen Films auf wie F.W. Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1921), Arthur Robisons SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION (1923) sowie Leopold Jessners ERDGEIST (1923). Nach wenigen Rollen im deutschen Tonfilm muss er aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner jüdischen Herkunft emigrieren. 1938 landet er über Umwege in Hollywood und spielt in Ernst Lubitschs NINOTSCHKA (1939), Fritz Langs AUCH HENKER STERBEN (1943) und Sam Woods WEM DIE STUNDE SCHLÄGT (1943).
Aktualisiert: 2020-09-09
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