Vorwort
In diesem Buch findet der Leser eine Auswahl meiner zu den verschiedensten Gattungen gehörenden Texten, die in den letzten zwölf Jahren geschrieben und veröffentlicht wurden. Was diese Gedichte, Erzählungen, Essays, Protestbriefe, Reden und Gespräche dennoch zu einer Art Antikriegsfibel vereint, sind die tragischen historischen Ereignisse, die in mein Schicksal und in das meines Landes jäh eingegriffen und mein Schreiben entscheidend verändert haben. Gemeint sind die Ereignisse in der Zeit der (post)jugoslawischen Kriege, insbesondere während des überaus entsetzlichen bosnischen Krieges (1992-1995), den ich am eigenen Leib erfahren habe, sowie in der Zeit meines Exils in Deutschland (1993-2001), in die (1999) auch noch der NATO-Krieg gegen das unliebsame „Restjugoslawien“ – Serbien und Montenegro – fiel. Mit diesem Krieg setzte das westliche Militärbündnis der blutigen Geschichte des Balkans, aber auch der des europäischen 20. Jahrhunderts, die Krone auf.
Beinahe alles, was ich seit 1992 bis heute geschrieben habe, steht in einem Zusammenhang mit der Apokalypse des Krieges in Sarajevo, Bosnien und Ex-Jugoslawien. Ich schrieb aus einer inneren Auflehnung gegen die Lügen der Kriegsideologen und deren Trabanten in den Medien, aber auch weil ich mich verpflichtet fühlte, in dichterischer Sprache Zeugnis über die Kriegsgreuel, über die Hybris abzulegen, über die man unmöglich schweigen kann. Ich spürte diese Verpflichtung – insbesondere wenn die Haßpropaganda einen ihrer hysterischen Höhepunkte erreichte – als den Auftrag einer absolut anderen, menschlich und dichterisch glaubwürdigen Sprache. In der Zeit des entfesselten Bösen war dieser Auftrag ein Prüfstein sowohl für die Ethik als auch für die Ästhetik des dichterischen Wortes.
Über die Schrecken des Krieges habe ich während des Krieges selbst (in meinem Lyrikband Handschrift aus Sarajevo) und noch mehr im Exil – das Exil ist ja meist eine direkte Folge des Krieges – geschrieben.
Meine Exilerfahrungen sind zwiespältig. Auf der einen Seite bedeutet das Exil, den Boden unter den Füßen zu verlieren, auf der anderen ist es das rettende Ufer. Mit dem Verlust des Bodens unter den Füßen meine ich nicht in erster Linie den vielbeweinten Verlust der Heimat, aus der zu flüchten manchmal heilsam ist, sondern das Abgeschnittensein von der sprachlichen und kulturellen Gemeinschaft, der man selbstverständlich angehört. Auf der Verlustseite verbucht man insbesondere die Existenzgrundlage. Zudem verliert man im Exil – als hätte es sie zuvor im Überfluß gegeben – einige Menschen- und Bürgerrechte.
Aber bei allem Übel hat das Exil auch seine guten Seiten. Vor allem rettet man seinen auch noch so verrückten Kopf, an dem einem offensichtlich am meisten liegt. Man erlernt die Sprache des Landes, das einem das Aufenthaltsrecht (wenn auch nur die Duldung) gewährt, man lernt seine Menschen, Institutionen, Sitten und Gebräuche kennen. Zuweilen geschieht es auch, daß man fortan das eigene unglückselige Heimatland und auch das eigene bisherige Leben aus einem anderen, kritischeren Blickwinkel sieht.
Diese neue Optik hilft nun, Dinge und Ereignisse, ja sogar jenes, was man als den intimsten Besitz, um nicht zu sagen als das „Vermächtnis“ der eigenen, schon halb verrückt gewordenen Seele mit sich trägt, genauer zu beurteilen. Und das Exil – man bedenke nur! – beraubt einen auch der Gelegenheit, sich in einer Notlage vielleicht die Hände blutig zu machen. Denn die Gelegenheit macht nicht nur Diebe, wie der Volksmund sagt, die Gelegenheit macht im Krieg auch Verbrecher.
Wenn man dann zufällig ein Dichter ist, der auch noch übersetzt und veröffentlicht wurde, dann beschert einem das Exil ausnehmend schöne, sogar innige Bekanntschaften und Freundschaften, ohne die der Druck des Exilantenschicksals schwer zu ertragen wäre. Diese Bekanntschaften und Freundschaften waren und sind für mich außerordentlich kostbar. Ihnen habe ich zum großen Teil die Entstehung, die Übersetzung und die Veröffentlichung dieses Buches zu verdanken, das es in dieser Form als Original nicht gibt.
Diese kurze Einleitung schreibe ich nicht in Sarajevo, wohin ich Ende 2001 zurückgekehrt bin, sondern in dem kleinen Ort Kaditzsch, eine halbe Autostunde östlich von Leipzig, wo ich vor einigen Tagen ankam, um zwei Monate in der Künstlerkolonie Denkmalschmiede Höfgen zu verbringen. Dazu hat mir die Heinrich-Böll-Stiftung verholfen, deren Hilfsbereitschaft ich schon 1993/94 erfuhr, da ich als neuer, psychisch zermürbter Exilant und Kriegsflüchtling neun aufbauende Monate in Bölls Haus in der nördlichen Eifel genießen durfte. In diesem gastfreundlichen, mir unvergeßlichen Haus in Langenbroich entstanden auch einige der Texte dieses Buches wie etwa die Erzählung von dem Vogel, der in einer Mauerspalte hinter meinem unruhigen Kopfkissen hoffnungslos eingeklemmt war. Es fiel mir nicht schwer, mich mit ihm zu identifizieren.
Nun lebe ich als arbeitsloser „Heimkehrer“ im heutigen Sarajevo, im Staat Bosnien und kehre wiederum von Zeit zu Zeit in „mein“ Deutschland zurück, um noch ein Jahr hinter mich zu bringen, um noch einen deutschen Lyriker ins Serbische zu übersetzen. Auf die Frage, wo ich eigentlich lebe, antworte ich oft, ich versuche, in Sarajevo zu leben, denn ich habe mich auf ein Experiment mit ungewissem Ausgang eingelassen.
In Wirklichkeit pendele ich jedoch immer noch zwischen Sarajevo und Berlin.
Stevan Tontic
Kaditzsch, im Juli 2004
Aktualisiert: 2019-12-05
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