„Allegoria“ und „Anagoge“ bei Didymos dem Blinden von Alexandria
Wolfgang Bienert
Die Erforschung der Geschichte der biblischen Hermeneutik geht von der Voraussetzung aus, daß menschliches Verstehen immer geschichtlichesVerstehen ist. „Je radikaler die Geschichtlichkeit des Verstehens erkannt wird, desto umfassender weitet sich das hermeneutische Problem. Zur Besinnung auf das Wesen der Hermeneutik gehört darum notwendig die Besinnung auf ihre Geschichte“. Da es in Theologie und Verkündigung immer wieder um die Auslegung von biblischen Texten geht, stellt sich für sie das Problem der Hermeneutik und der Erforschung ihrer Geschichte mit besonderer Notwendigkeit. Eine Untersuchung zur altkirchlichen Bibelexegese kann sich in diesem Zusammenhang nicht damit begnügen, die geschichtliche Bedingtheit dieser Exegese herauszustellen. Auch die theologische Beurteilung muß den geschichtlichen Zusammenhang berücksichtigen; sie muß, wenn sie gerecht sein will, danach fragen, welche theologische Bedeutung eine geschichtlich bedingte Methode in ihrem historischen Kontext gehabt hat. Bei der modernen Beurteilung der allegorischen Bibelauslegung der alten Kirche wird dieser Zusammenhang zu wenig berücksichtigt. Wenn man jedoch davon ausgeht, daß die Exegeten der alten Kirche die Methode der Allegorese ihrer heidnischen Umwelt entlehnt haben, diese also keine genuin christliche Form der Auslegung darstellt, dann wird man danach fragen müssen, welche theologische Bedeutung sie für die altkirchlichen Exegeten gehabt hat.