Anna von Cleve – Überlebenskünstlerin unter den Tudors von Norget,  Roland

Anna von Cleve – Überlebenskünstlerin unter den Tudors

Annas Lebenswelt (1515–1557) – Anna von Cleve-Trilogie

Aus Anlass der Inthronisierung von HM King Charles III (* 1948) in der Westminster Abbey am 6. Mai 2023 und im Gedenken an seine Mutter HM Queen Elizabeth II (1926–2022), die nur wenige Monate nach ihrem 70-jährigen Platin-Jubiläum ihrer Inthronisierung als Königin vom „Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland“ (1952–2022) am 8. September 2022 verstarb, sowie des 500-jährigen Gründungs-Jubiläums „Vereinigtes Herzogtum Jülich-Cleve-Berg“ (1521–2021) erzählt und illustriert Roland Norget in diesem Buch seiner Anna von Cleve-Trilogie das kontrastreiche Leben der Herzogstochter und kurzzeitigen Königin von England („Queen Consort“ 1540) Anna von Cleve (1515–1557).

Die Geschichtserzählung, die kein (fiktiver) Historienroman ist, thematisiert Annas wahrlich einzigartigen Lebens- und Karriereweg vom „Burgfräulein“ aus der niederrheinischen Provinz zur kurzzeitig gefeierten Königin von England und ihren steinigen Weg als „Überlebenskünstlerin“ nach ihrem abrupten Verstoß als Königsgattin von Heinrich VIII. im Juli 1540. Im 2022 erschienenen Trilogie-Band über Annas „Schattenfrau“, der gleichfalls kein (fiktiver) Historienroman ist, steht Annas Neffe und Sohn ihrer Schwester Sibylle, Johann Friedrich II. genannt der Mittlere (1529–1595), Herzog von Sachsen [-Gotha], im Mittelpunkt der dramatischen Ereignisse in den Jahren 1559 und 1560 um Annas verschwiegene Halbschwester Anna Johanna van Cleve genannt von Schenk (c.1516–c.1565), „natürliche“ Tochter ihres Vaters Johann III. von Cleve (1490–1539), Herzog vom „Vereinigten Herzogtum Jülich-Cleve-Berg“.

Annas ältere Schwester Sibylle (1512–1554), spätere Kurfürstin von Sachsen, ist über ihren zweitältesten Sohn Johann Wilhelm I. (1530–1573), Herzog von Sachsen [-Weimar], eine direkte Vorfahrin von Prinz Albert, Queen Victoria, Queen Elizabeth II und King Charles III. Die Mutter von Queen Victoria, Marie Louise Victoire von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Herzogin von Kent, stammt aus der Nebenlinie Saalfeld der Ernestinischen Wettiner des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha. Queen Victoria heiratete 1840 Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der über den älteren Bruder Ernst I. der Mutter Victoire von Queen Victoria gleichfalls aus dem Saalfelder Herzoghaus direkt von Johann Wilhelm I. abstammt. Bis 1917 trug das britische Königshaus den Familiennamen Sachsen-Coburg und Gotha, den die Königsfamilie auf Betreiben des Coburger Fürstenhauses ablegen musste und sich fortan bis heute Windsor nach der königlichen Residenz Windsor Castle nennt.

Im Gegensatz zu Heinrichs Herkunft als Nachkomme eines walisischen Höflings und einer Königinwitwe entstammen Annas Ahnen den mächtigsten Herrscherdynastien des Hoch- und Spätmittelalters aus Ost und West: u. a. Liudolfinger/Ottonen; slawische Gediminiden, Rurikiden und Nebenlinien Schlesien-Oppeln, Kujawien und Masowien der Piasten; Anjou-Plantagenêt; Valois-Burgund; Linie Niederbayern-Straubing-Holland der Wittelsbacher; Leopoldinische Linie der Habsburger (Haus Österreich); Ernestinische Kurfürstenlinie der Wettiner und Fränkische Kurfürstenlinie der Hohenzollern (Brandenburg-Ansbach).

Ihre Kindheit hatte Anna zusammen mit ihren drei Geschwistern Sibylle (* 1512), Wilhelm (* 1516) und Amalia (* 1517) in den Residenzen der elterlichen Herzoghäuser in Cleve, Hambach und Düsseldorf verbracht. Das Bergische Schloss Burg an der Wupper nutzte die Herzogfamilie nur selten, meist im Herbst bspw. für Familienfeste. Hier wurden ihre Eltern als Kleinkinder – ihre Mutter Maria von Jülich-Berg (* 1491) im Alter von fünf und ihr Vater Johann III. von Cleve (* 1490) im Alter von sechs Jahren – am 25. November 1496 verlobt („Kinderverlobung“).

Am 8. September 1526 wurde hier das Ehegelöbnis mit Beilager (Mindestalter der Braut 14 J.) von Annas Schwester Sibylle (*1512) mit Johann Friedrich I. (*1503), Erbe vom Kurfürstentum Sachsen, vor dem lutherischen Priester Friedrich Myconius aus Gotha und hochrangigen Gästen des mehrheitlich niederrheinisch-westfälischen und sächsischen Adels zelebriert und gefeiert. Zuvor waren alle Ehe-Formalitäten in Mainz geregelt worden. Martin Luther traute am 2. Juni 1527 in der Torgauer Stadtkirche die Brautleute, nachdem Sibylle das Gelöbnis ihrer Konvertierung vom katholischen zum lutherischen Glauben nach innerer Überzeugung abgelegt hatte. Am Kursächsischen Hof auf Schloss Hartenstein in Torgau folgte ein rauschendes, neuntägiges Fest mit Ritterturnieren in Anwesenheit von knapp 32.000 Hochzeitsgästen, darunter Martin Luther und Philipp Melanchton.

Anna wurde im Alter von knapp 12 Jahren mit ihrem zwei Jahre jüngeren, entfernten Cousin Franz I. von Lothringen verlobt. Franz ist als Enkelsohn von Philippa von Geldern aus dem nordholländischen Haus Egmond, Enkelin von Annas väterlicher Urgroßtante Katharina von Cleve und verwitwete Herzogin von Lothringen, potentieller Erbe dieses Herzogtums. Ohne Wissen und Einbezug des minderjährigen Paares verabredeten Annas Eltern und der Vater von Franz, Herzog Anton II. von Lothringen, zusammen mit seinem Schwager Karl von Egmond, Herzog von Geldern, die Verlobung. Die zuvor von Unterhändlern am 3. Juni 1527 in Köln vorbereitete Verlobung wurde im Sinne der zukünftigen Heiratsabsicht („sponsalia verba de futuro“) seitens beider vorgenannten Parteien schriftlich fixiert. Am 5. Juni 1527 erfolgte in Bonn bei Anwesenheit beider Parteien die Beurkundung und Besiegelung der „Heirats-Verschreibung“.

Überraschenderweise wurde das Verlöbnis mutmaßlich auf Initiative von Philippa von Geldern im Einvernehmen einerseits mit ihrem Sohn Anton von Lothringen und ihrem Bruder Karl von Egmond und andererseits mit Annas Eltern gegen Ende 1535 ohne viel Aufhebens formlos aufgelöst. Philippa hatte aufgrund der Veränderung in der politischen Großwetterlage im letzten Jahrzehnt zwischen Frankreich und dem HRR, in der sich ihr Sohn Anton von Frankreich ab- und dem HRR zugewendet hatte, eine überraschende, weitaus verlockendere Perspektive einer Ehepartie für Ihren Enkel Franz im Lager des Kaisers erkannt. Philippas Bruder Karl dagegen waren Parteigänger seines Intimfeindes, Kaiser Karl V. (HRR) als Herrscher über die Burgundischen Niederlande, ein Dorn im Auge. Die Verhinderung einer Stärkung der habsburgischen Position durch eine mögliche Heirat von Franz mit Anna dürfte ganz im Interesse des Geldrischen Herzogs, der kein Freund des Herzoghauses Jülich-Cleve-Berg war, gewesen sein. Beide niederrheinländischen Herzoghäuser waren traditionell Frankreich zugeneigt. Die Formlosigkeit der Entlobung sollte sich jedoch auf das Ehebündnis mit Heinrich VIII. für Anna im Juli 1540 fatal auswirken…

Annas Mutter, Herzogin Maria von Jülich-Berg, hatte nach der Verabschiedung von Sibylle im September 1526 ihre Lieblingsresidenz Schloss Hambach in Niederzier im Jülicher Land ihrer Vorfahren für sich und ihre drei Kinder als komfortablen Wohnsitz aufwändig sanieren und ausbauen lassen. Reparaturen nach einem Schlossbrand im Jahre 1512 waren bislang nur notdürftig ausgeführt worden. Ab Anfang der 1530er Jahre verbrachte Anna ihre Teenie- und Twenzeit bis 1539 ganz überwiegend auf Schloss Hambach zusammen mit ihrer jüngsten Schwester Amalia, die Emily genannt wurde, in Fürsorge und streng katholischer Erziehung ihrer Mutter.

Das vom elterlichen Herzoghof bei der Kölner Malerwerkstätte von Barthel Bruyn d. Ä. im Herbst 1538 oder Frühjahr 1539 beauftragte Porträtgemälde von Anna lehnte der Tudorhof als Annas „Bewerbungsbild“ ab. Dieses nur dem Grunde nach bekannte Gemälde war Jahrhunderte lang verschollen, tauchte 1930 in einer Londoner Christie’s Auktion wieder auf, wurde zufällig 2009 in einem privaten Museum in Philadelphia „wiederentdeckt“ und dort der Öffentlichkeit in einer Ausstellung gezeigt. Es ziert als Titelbild das Buch.

Mit dem im August 1539 im Wasserschloss Burgau in Niederau nahe Düren im Jülicher Land entstandenen, weltberühmten Porträtgemälde vom Tudorhofmaler Hans Holbein d. J. – heute im Pariser Louvre – wurde Anna letztlich aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt und unverhofft als vierte Ehefrau („Queen Consort“) an die Seite des verwitweten „Ladykillers“ Heinrich VIII. (* 1491) katapultiert. Mit einem notariell beurkundeten, von Bevollmächtigten beider Parteien gesiegelten Heiratsvertrag im Brautreisegepäck machte sich Anna mit einer 263-köpfigen Delegation und 228 Pferden mit Kutschen auf den beschwerlichen Reiseweg ab Schloss Burg zu Lande und ab Calais zu Wasser von der Wupper an die Themse. Am St. Katharinentag (25. November 1539) spendierte Annas an sich knauseriger wie klammer Bruder, Jungherzog Wilhelm V., seiner Schwester eine opulente Abschiedssause („Farewell Party“) auf der Schwanenburg Cleve.

Nach der glücklichen Anlandung auf dem königlichen Flaggschiff „The Lion“ in Deal an der englischen Kanalküste kam es im Bischofspalast in Rochester an Neujahr 1540 zum ersten persönlichen Kennenlernen des neuen Königspaares. Nach einem für Anna völlig überraschenden Blitztreffen („Speed-Dating“) verstieß der unberechenbare König die unscheinbare, „altmodisch“ gekleidete Anna ohne viel Aufhebens mit dem launisch-markigen Spruch: „Ich mag sie nicht!“ Aus „Pflichtbewusstsein“ gegenüber seinem Königreich unterwarf sich der König nur widerwillig seinem selbst eingebrockten „Ehejoch“. Am „Fest der Erscheinung des Herrn“ (Epiphania, Heilige Drei Könige) am 6. Januar 1540 traute Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury, das Brautpaar in der Kapelle von Heinrichs Geburtshaus Palace of Placentia in Greenwich.

Im siebten Ehemonat wurde die Ehe des ungleichen Paares nach einstimmigem Urteil der Kommission des Klerus unter Vorsitz der beiden Erzbischöfe von Canterbury und York mit Zustimmung des Kronrates und nach parlamentarischem Beschluss annulliert – mangels ehelichem „Vollzug“ und der besagten, nach Auffassung von Klerus und Kronrat weiterhin rechtsgültigen Heiratsvereinbarung aus dem Jahre 1527 für Anna von Cleve und den nach wie vor unverheirateten Franz I. von Lothringen. Der vom Ehejoch „befreite“, erleichterte König entschädigte Anna zum Dank für ihr „pflegeleichtes“ und widerstandsloses Eheverhalten fürstlich mit einer großzügig bemessenen Leibrente auf Lebenszeit und etwa 200 erstklassigen Liegenschaften, darunter prächtige Königsschlösser und Landhäuser sowie viele, ehemals klösterliche Anwesen mit Ländereien.

Als Bonbon verlieh der Souverän seiner „Ex“ das Alleinstellungsmerkmal einer „Schwester des Königs“. Im allseits respektierten Status der quasi ‚First Lady Royal‘ des Königreiches – offiziell „Lady Anna“ – blühte das Mauerblümchen auf. Ohne ihre guten und vertrauensvollen Beziehungen zum Tudorhof fürs Erste aufgeben zu müssen, zog sich Anna als eine der reichsten Landladies des Königreiches mit einem etwa 30-köpfigen Privathaushalt aufs Land zurück.

Wider Erwarten erwies sich Heinrich über alle Jahre bis zu seinem Tod 1547 Anna gegenüber als Gentleman und ihr „Schutzpatron“. Nach Heinrichs Tod 1547 geriet das von ihm seit 1509 regierte Königreich außer Rand und Band. Für Lady Anna begannen nunmehr zehn überwiegend abenteuerliche Lebensjahre. In der Löwenmanege der blutrünstigen Tudors und ihrer machthungrigen Favoriten musste Anna Überlebenskunst lernen und wiederholt unter Beweis stellen. Anna bewältigte diesen Parcours mit Geschick und Glück.

Anna durchlebte und überlebte in siebzehn turbulenten Jahren in England vier Königsherrschaften des Tudor-Clans unter ihrem „Ex“ Heinrich VIII. (1540 bis 1547), ihrem minderjährigen Stiefsohn Edward VI. (* 1537; König 1547 bis 1553), dessen blutjunger Nichte und „Neun-Tage-Königin“ Lady Jane Grey (* c. 1537; Königin 1553) und Annas nahezu gleichaltriger, befreundeten Stieftochter „Bloody Mary“ Maria I. Tudor (* 1516; Königin seit 1553). Trotz stets aufkeimendem Heimweh vermied Anna klugerweise, in ihre Heimat und in den Dunstkreis ihres nicht nur in ihrer Familie mehr als unbeliebten und selbstherrlichen Bruders Herzog Wilhelm V. zurückzukehren.

Schon 1541 hatte sich ihr Bruder vom französischen König Franz I. zu einer schlitzohrig eingefädelten, irrwitzigen Eheschließung mit dessen minderjähriger Nichte hinreißen lassen und damit Kaiser Karl V. als König von Spanien ganz im Sinne von Franz I. maßlos provoziert. Die 13-jährige Jeanne d’Albret, Erbtochter des von Spanien und Frankreich beanspruchten Königreiches Navarra, gab ihren verachteten Bräutigam der Lächerlichkeit preis, als Jeanne Wilhelm vor versammelter Hochzeitsgesellschaft regelrecht vorführte und während der Trauzeremonie im herzoglichen Schloss Châtellerault von Jeannes Cousin und französischen Königssohn Charles Zeter und Mordio schrie. Das ungleiche Paar sah sich nie wieder; die politisch motivierte Ehe wurde auf kaiserliche Veranlassung schließlich 1545 mangels Vollzug vom Papst annulliert.

Wilhelms Torheiten hatten in der gesteigerten Erzürnung des Kaisers gegipfelt, der der „Wilhelminischen“ Ignoranz und Arroganz ein desaströses Finale der seit 120 Jahren schwellenden Geldrischen Erbfolgefehde setzte. Bereits Anfang Oktober 1542 musste die Herzoginwitwe vor dem anrückenden Söldnerheer des Kaisers in die Clevische Landesburg in Büderich am Rhein bei Wesel fliehen. Die Jülicher Familienburgen in Nideggen, Stammburg ihrer Ahnen aus dem 12. Jh., und Hambach wurden von marodierenden kaiserlichen Söldnertruppen wenige Tage nach der Flucht der Heroginwitwe zerschossen und teils niedergebrannt. Die Folgen des Schocks der Nachrichten aus ihrer Heimat führten im August 1543 zum Tod von Annas Mutter. Vis-à-vis von Büderich im Kartäuserkloster auf der Gravinsel nahe der Lippemündung wurde die Herzogin bestattet.

Das Fass an Unerträglichkeiten von Seiten Wilhelms lief über, als er in seiner bekannten Feigheit ihre gemeinsame Schwester Sibylle, degradierte Kurfürstin von Sachsen, trotz aller Drangsalierungen seitens des Kaisers allenfalls halbherzig unterstützte, sie tatsächlich jedoch mangels Mumm schändlich im Stich ließ. Nach dem 1547 gegen die altgläubigen Kaiserlichen verlorenen Schmalkaldischen Krieg des Verbundes protestantischer Reichsfürsten unter Führung von Annas Schwager und Sibylles Ehemann, Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, hatte Kaiser Karl V. das Kurfürstenpaar degradiert, den Ex-Kurfürsten gefangen gesetzt und ihn im kaiserlichen Schlepptau zur Abschreckung im ganzen Land zur Schau gestellt.

1554 starben Sibylle und ihr geliebter Ehegatte in ihrer Residenzstadt Weimar völlig entkräftet vom jahrelangen Kampf um Friedrichs letztendlich 1552 erlangte Freilassung aus kaiserlicher Gefangenschaft. Drei Tage nach Sibylles Tod im Schloss zu Weimar „schenkte“ der mitleidig erscheinende Kaiser ihrem verwitweten Ehegatten großzügigerweise den Titel „geborener Kurfürst“, mit dem der halbwegs Rehabilitierte seiner Sibylle innerhalb von einer Woche ins gemeinsame Grab folgte.

Wilhelms familiäres Fehlverhalten, seine machtpolitischen Fehleinschätzungen und sein wankelmütiges Führungsverhalten als Landesfürst hatten Anna misstrauisch und vorsichtig werden lassen. Und es kam, wie es kommen musste. Wilhelms „langer Arm“ voller Nickeligkeiten erreichte 1556 auch Anna in ihrer Residenz ‚Dartford’s Royal Manor House‘. Ausgerechnet Annas Lieblingscousin Franz von Waldeck-Eisenberg (* 1526), jüngster Sohn von Annas gleichnamiger Patentante Anna von Cleve, zettelte gegen Annas engste Vertraute eine folgenschwere Intrige an, der Wilhelm voll und ganz auf den Leim ging.

Franz war schon 1539 als Annas Knappe im Alter von 14 Jahren mit nach England gekommen, hatte sich bei seiner allzu gutmütigen Tante Anna wiederholt eingenistet, es sich über alle Jahre zwischen 1540 und 1556 bei ihr gemütlich gemacht und nebst eigenem Personal von seiner Tante aushalten lassen. Der als arrogant geltende Grafensohn und Taugenichts Franz entpuppte sich als hinterhältig, rücksichtslos und selbstsüchtig.

Franz verleitete im Sommer 1556 seinen Cousin Wilhelm dazu, Annas noch verbliebene, treueste „Cleveslander“ angeblich aus Gründen von Misswirtschaft in Annas Haushalt und deren Gefährdung als Protestanten in Englands religiösem Bürgerkrieg ohne Annas Wissen zurück nach Hause zu beordern. Durch die Unterstützung Philipps II. (* 1527), Kaisersohn und Bloody Marys gleichfalls erzkatholischer Ehegatte und König von Spanien, war die Ausweisung trotz Annas scharfer Proteste nicht zu verhindern. Der Schock der Zwangsausweisung von drei ihrer protestantischen, engsten Freunde wirkte auf Anna wie eine tödliche, seelische Verletzung, von der sich Anna nicht mehr erholte. Es entbehrt nicht einer Ironie des Schicksals, dass Anna wie schon zuvor ihre Mutter und Schwester Sibylle Wilhelms fatalem Herrschaftsgebaren nicht entrinnen konnten.

Und wie zog sich Franz aus der Affäre? Der fanatische Protestant verfolgte stets vorrangig eigene Interessen. Das Wohlergehen von Anna und ihrer Getreuen waren ihm schnuppe. Franz nahm alsbald zurück in seiner Heimat die reiche Bergische Herrschaft Beyenburg an der Wupper ins Visier, um dort als zukünftiger Amts- und Pfandherr seine Mutter Anna Gräfin von Waldeck-Eisenberg als Pfandherrin abzulösen. Im Jahre 1560 würde Franz schließlich seine Herrschaftsinteressen in Beyenburg durchsetzen, nachdem zuvor im Jahre 1558 Maria Ghogreff (* nach 1531), Tochter des Kanzlers Johann Ghogreff des Vereinigten Herzogtums, seine Ehefrau werden sollte. Beide sollten in den kommenden Jahrzehnten nicht nur als Förderer der Reformation, sondern auch des Schulwesens und des Montangewerbes Heimatgeschichte schreiben.

Im Schlepptau der ausgewiesenen Protestanten aus „Clevesland“ könnte sich auch Annas Gürtelmagd (Kleiderkammerfrau) Anna Johanna befunden haben. Diese durchtriebene Person, die Anna verblüffend ähnlich sieht, wird sich nach Annas Tod posthum als Racheengel aufspielen. Als Zielperson wird sie den Verursacher all des Übels ausgucken: Annas Bruder Wilhelm V.. Diese „Schattenfrau“ Annas wird an Kurfürsten- und Herzoghöfen im HRR aufkreuzen und bei Annas Neffen Johann Friedrich II. von Sachsen – genannt „der Mittlere“ – an dessen Herzoghof auf Burg Grimmenstein in Gotha landen. Dort wird ein wahrlich abenteuerliches, lebensbedrohliches Verhör- und Folterdrama geginnen, das über 15 Monate Spannung pur erzeugen sollte.

Am 16. Juli 1557 starb Anna umsorgt von ihren getreuen Engländern und Marys königlichen Leibärzten im ‚King Henry VIII’s Manor House‘ in Chelsea. Wenige Tage zuvor hatte sie ihr detailreiches Testament bei klarem Verstand aufgesetzt. Alle ihr wichtigen Weggefährten aus ihrem Lebens- und Wohnumfeld aller Lebensjahre in Heimat und Wahlheimat – egal ob arm oder reich – bedachte die gutherzige Anna gerecht verteilt mit ihren wertvollen Kleinodien und teils ansehnlichen Geldgeschenken.

Am 3. August 1557 bewegte sich ein von einer großen Menschenmenge flankierter und von hochstehenden Persönlichkeiten des Königreichs begleiteter Trauerzug vom Themseufer zur Westminster Abbey. Der reich mit Trauerflor und Blumen dekorierten Kutsche mit Annas Sarg folgte Annas in schwarz gehülltes Lieblingspferd. Die Königskutsche dahinter beförderte Königin Maria I. Tudor und Prinzessin Elisabeth I. Der Trauergottesdienst fand auf Annas Wunsch hin nach katholischem Ritus statt. Das Pontifikalrequiem in der Westminster Abbey zelebrierte Edmund Bonner, Bischof von London.

Am Ort nahezu aller Inthronisierungen der Könige und Königinnen von England seit der Krönung von Wilhelm der Eroberer am 25. Dezember 1066 vor dem Hochaltar der Westminster Abbey (Fertigstellung 1064) hat Anna von Cleve als einzige der sechs Ehefrauen von Heinrich VIII. ihre letzte Ruhestätte gefunden. Annas „Ex“ ruht in der St George’s Chapel im Windsor Castle an der Seite seiner dritten Ehefrau Jane Seymour. Die Grablege am seitlichen Hochaltar vis-à-vis der Kapelle vom hochverehrten Edward the Confessor (c. 1004–1066) gilt auch wegen hier stattfindender Krönungszeremonien, zuletzt für King Charles III und Queen Camilla am 6. Mai 2023, als exquisit.

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